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Woher kommen unsere Bestände?

Stadtbibliothek Bautzen erforscht die Herkunft ihrer Bücher

Mit Blick auf das Thema NS-Raubkunst ist der „Schwabinger Kunstfund“ besonders spektakulär: 2012/13 wurden in Wohnungen von Cornelius Gurlitt (1932-2014) über 1.500 Gemälde, Grafiken und Zeichnungen entdeckt, deren Herkunft und Eigentumsverhältnisse bis heute weitgehend ungeklärt sind. Neuer testamentarischer Alleinerbe ist das Kunstmuseum Bern, das derzeit gemeinsam mit der Bundeskunsthalle in Bonn eine Schau erarbeitet, um ausgewählte Stücke der Sammlung Gurlitt zu präsentieren. (Anm. 1)

Mehr Aufmerksamkeit für Provenienzforschung

Seit rund 20 Jahren gewinnt die Erforschung über die Herkunft der Bestände in öffentlichen Archiven, Bibliotheken, Museen u.a. Sammlungen an Bedeutung. Mit Unterzeichnung der Washingtoner Erklärung (1998) hat sich auch Deutschland verpflichtet, NS-bedingt beschlagnahmte Werke ausfindig zu machen, die rechtmäßigen Eigentümer zu suchen und gerechte Lösungen zu finden. (Anm. 2) Kulturbetriebe richten Stellen ein, um die Herkunft ihrer Bestände zu erforschen, so z.B. Museum Georg Schäfer (Schweinfurt), Staatsbibliothek Hamburg, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin) oder die Ulmer Museen. Auch auf universitärer Ebene tut sich etwas: Die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn erhält aktuell den bundesweit ersten Lehrstuhl zur Provenienzforschung, der zunächst von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung getragen wird. (Anm. 3) Hierzulande bündelt die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (DZK) die Aktivitäten aller staatlichen Ebenen im Bereich der Provenienzforschung. (Anm. 4) Das DZK fördert konkrete Projekte und hat u.a. eine Handreichung erarbeitet, die eine „rechtlich nicht verbindliche Orientierungshilfe für eigenständige Provenienzrecherchen/-forschung in den Museen, Bibliotheken und Archiven“ bietet. (Anm. 5) Darüber hinaus gibt es private Dienstleister, die Kulturbetriebe darin unterstützen, die Herkunft der eigenen Bestände zu untersuchen. (Anm. 6)

„Schwabing“ kann überall sein

Das Ausmaß des NS-Kunstraubes zwischen 1933 und 1945 ist kaum zu überblicken. Schätzungen zufolge geht es national und international um einige 100.000 Kunstwerke und Kulturgüter, darunter Möbel, Porzellan, Schmuck, Archivalien und – Bücher. (Anm. 7) Die Wege, die geraubtes Kulturgut genommen haben kann, sind oft verschlungen. So auch im Fall der Stadtbibliothek Bautzen: Dort wurden im vergangenen Jahr rund 500 Bücher entdeckt, die einst der jüdischen Unternehmerfamilie Tietz gehörten, Mitinhaber des Kaufhauskonzerns HERTIE. Enteignet wurde nicht nur Firmeneigentum, sondern 1938 auch die rund 4.500 Bände umfassende Privatbibliothek von Edith und Georg Tietz, darunter limitierte kunsthistorische Drucke und seltene Werke aus dem 18. und 19. Jahrhundert. 1944 hat die Reichstauschstelle den Bestand erworben und 1945 in einem Außendepot in der Nähe von Bautzen eingelagert. Ursprüngliche Aufgabe der 1926 aufgebauten Stelle war es, den Austausch amtlicher Drucksachen zu regeln. Ab 1943 wurde das Haus mit dem Aufbau kriegszerstörter Bibliotheken beauftragt. Dazu wurden u.a. doppelte Ausgaben von Druckschriften aufgekauft, vermutlich teilweise unter rechtlich unklaren Bedingungen. (Anm. 8) Die Bibliothek Tietz sollte „der Stadtbibliothek Leipzig zugeschlagen werden. Dort kam sie aber nie an. Bisher war davon ausgegangen worden, dass Soldaten der Roten Armee nach Ende des Zweiten Weltkriegs die 30 Bücherkisten in die damalige Sowjetunion mitnahmen. Stattdessen stieß ein Wissenschaftler im vergangenen Jahr bei Recherchen zu Raubkunst in der Stadtbibliothek Bautzen auf knapp 500 der als verschollen geltenden Bücher. Dort sind sie offenbar schon seit 1946 im Bestand.“ (Anm. 9)
Das DZK unterstützt die Stadtbibliothek Bautzen bei der Provenienzforschung: „Ziel dieses Projekts ist es, die eigenen Bibliotheks-Bestände systematisch auf unrechtmäßig in den Bestand gelangte Bücher zu untersuchen. `Ich freue mich, dass durch unsere Förderung dieser bedeutende Fund gelungen ist und hoffe sehr, dass weitere Bände aus der Bibliothek von Edith und Georg Tietz sehr bald auch an anderen Orten identifiziert werden können´, sagte Uwe Hartmann, Leiter des Fachbereichs Provenienzforschung beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste.“ (Anm. 10) Georg Tietz (1889-1953) überlebte den Holocaust. Über das Schicksal seiner Frau ist nichts bekannt.

Berthold Schmitt, Herausgeber der Fachzeitschrift KulturBetrieb

Anm. 1: „Bestandsaufnahme Gurlitt. Entartete Kunst – Beschlagnahmt und verkauft“, Kunstmuseum Bern (02.11.2017-04.03.2018) bzw. „Bestandsaufnahme Gurlitt. Der NS-Kunstraub und die Folgen“, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn (03.11.2017-11.03.2018); Quelle: http://www.kunstmuseumbern.ch/de/service/medien/medienmitteilungen-2017/15-02-17-gurlitt-ausstellungen-1687.html; Abfrage: 24.02.2017
Anm. 2: Vgl. Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden (Washington Principles), Quelle: https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Stiftung/Grundlagen/Washingtoner-Prinzipien/Index.html; Abfrage: 24.02.2017
Anm. 3: Bundesweit erste Stiftungslehrstühle für Provenienzforschung (16.12.2015), Quelle: https://www.uni-bonn.de/neues/285-2015/; Abfrage: 24.02.2017; zugleich richtet die Uni Bonn einen Lehrstuhl für Kunstrecht und Kulturgutschutz ein.
Anm. 4: Zu der 2015 gegründeten und in Magdeburg ansässigen Einrichtung vgl. https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Start/Index.html.
Anm. 5: Kostenloser Download: https://www.kulturgutverluste.de/Content/08_Downloads/DE/Handreichung.pdf?__blob=publicationFile&v=3
Anm. 6: Vgl. Tanja Bernsau, Auf der Suche nach geraubter Kunst. Externes Know-how kann die Provenienzforschung fördern, in vorliegender Ausgabe von KulturBetrieb.
Anm. 7: Zum Ausmaß des Raubes vgl. Jonathan Petropulos, Written Comments for House Banking Committee, Hearing of 10 February 2000, Quelle: http://archives.financialservices.house.gov/banking/21000pet.shtml; Abfrage: 24.02.2017
Anm. 8: Vgl. Reichstauschstelle im Reichsministerium des Innern, in: Wikipedia, Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Reichstauschstelle_im_Reichsministerium_des_Innern; Abfrage: 24.02.2017. Vgl. dazu auch: Michael Sontheimer, Stumme Zeugen. In deutschen Bibliotheken stehen geschätzt eine Million Bücher, die in der Nazi-Zeit geraubt wurden. Während manche Bibliothekare wie Detektive nach ihnen suchen, interessieren sich viele nicht für das schwierige Erbe in ihren Beständen, in: DER SPIEGEL, 43/2008, Quelle: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-61366521.html; Abfrage: 24.02.2017
Anm. 9: Vgl. Stadtbibliothek Bautzen: Forschungsprojekt zu geraubten Tietz-Büchern, in: MDR Sachsen, Region Bautzen (zuletzt aktualisiert am 26.01.2017), Quelle: http://www.mdr.de/sachsen/bautzen/forschung-tietz-sammlung-bautzen-100.html; Abfrage: 24.02.2017
Anm. 10: Stadtbibliothek Bautzen entdeckt Teile der Bibliothek der jüdischen Unternehmerfamilie Tietz (18.10.2016), Quelle: https://www.kulturgutverluste.de/Content/02_Aktuelles/DE/Meldungen/2016/Oktober/16-10-18_Stadtbibliothek-Bautzen-Familie-Tietz.html; Abfrage: 24.02.2017

Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in KulturBetrieb, eins 2017, S. 36-37.

Zum Magazin: http://www.kulturbetrieb-magazin.de/fileadmin/user_upload/kulturbetrieb-magazin/magazin/KulturBetrieb-2017-Ausgabe-1-April.pdf