Was früher einmal recht unspezifisch Museumspädagogik genannt wurde, ist durch eine Fülle neuer Begriffe überdeckt worden, darunter Museum Communicator, MuseumsGuide, Mediator, Host, Cicerone, Kunstagent, Explainer, Vermittlung & Austausch u.v.a. Im Kern bleibt das Ziel, Menschen an Werke von Kunst und Kultur heranzuführen, ihnen Informationen zu vermitteln und eine Verbindung zu den Exponaten herzustellen. Grundlage dieser Tätigkeit ist die ICOM-Definition, wonach (öffentliche) Museen „im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung“ stehen. Die „Kultivierung“ der Menschen ist aber ein mühsames Geschäft: Auch nach über 40 Jahren bleibt Hilmar Hoffmanns Dictum „Kultur für alle!“ eine Utopie. Es gibt zwar mehr Museen und mehr Besuche, aber nicht mehr Besucher. Schätzungen zufolge gehen nur acht bis zehn Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung regelmäßig in Museen und Kulturbetriebe. (Anm. 1) Nun soll das sog. Outreach es richten.
Menschen erreichen, die man bisher nicht erreicht hat
Outreach ist nicht auf die Kultur beschränkt, sondern z.B. auch in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft anzutreffen. Stets geht es um jenes Bündel an „Maßnahmen, die Organisationen ergreifen, um aktiv mit ihren Angeboten Menschen zu erreichen, die bisher aus verschiedenen Gründen nicht daran teilhaben können.“ (Wikipedia) So unterhält das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle seit 2006 diverse Outreach-Projekte, um Partnerländer bei der Entwicklung und Stärkung ihrer Exportkontrollsysteme bei Rüstungsgütern zu unterstützen. Und Hochschulen nutzen Outreach, um Themen und Arbeitsweisen aus der Wissenschaft verschiedenen Zielgruppen der Gesellschaft näher zu bringen. Als Verb („to outreach“) bedeutet der aus dem Englischen stammende Begriff hinausreichen, übertreffen oder überwinden. Als Nomen kann „outreach“ mit Reichweite übersetzt werden, aber auch mit Zugänglichmachen von Informationen oder Dienstleistungen an Personen, die andernfalls ausgeschlossen sein könnten.
Mit Blick auf das Kulturpublikum geht es darum, wie Gesellschaftsgruppen einbezogen werden können, die nicht zum traditionellen Publikum zählen. Outreach ist demnach ein „systematischer Prozess, bei dem die Kulturinstitution strategische Maßnahmen abteilungsübergreifend plant, durchführt und evaluiert, um Gesellschaftsgruppen einzubeziehen, die das Kulturangebot aus unterschiedlichen Gründen nicht eigeninitiativ wahrnehmen. Dieser Prozess bewirkt eine Veränderung in der Haltung der Institution, der Diversität des Personals, ihrer Programmgestaltung und Kommunikation. Ziel ist eine diversere, die Gesellschaft widerspiegelnde Besucherschaft.“ (Anm. 2) Mittels Outreach sollen Kulturbetriebe in die Lage versetzt werden, Zugangschancen zu erhöhen, um soziale Ausgrenzung und Benachteiligung zu reduzieren. Ziel sind u.a. interkulturelle, interdisziplinäre, partizipative und generationsübergreifende Vermittlungsangebote für eine diverse Besucher/innenschaft. Die sprunghafte Zunahme von Stellenausschreibungen, in denen Personal für das Outreach gesucht wird, zeigen, dass immer mehr Kulturbetriebe offenbar davon überzeugt sind, via Outreach mehr Menschen für ihre Arbeit zu interessieren.
»Outreach« nicht ohne »Inreach«!
Während das Outreach vor allem neue Zielgruppen außerhalb des Kulturbetriebes erschließen will, fordert die Kulturmanagerin Susan Kamel, diesen Ansatz parallel um das „Inreach“ zu erweitern: „Inreach ist ein unsystematischer Prozess, bei dem diversen bisher marginalisierten Communities Handlungsmacht und ausreichend Ressourcen gegeben werden, um disziplinlos strategische Maßnahmen zu planen, durchzuführen und zu evaluieren, um Museumsmitarbeiter*innen einzubeziehen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht aus eigenen Stücken an der Gesellschaft teilnehmen. Dieser Prozess bewirkt eine Veränderung in der Haltung der Institution, ihrer Programmgestaltung und Kommunikation. Ziel ist eine diversere, die Gesellschaft widerspiegelnde Belegschaft.“ (Anm. 3) Demzufolge darf es beim Outreach nicht nur darum gehen, um jeden Preis neue Zielgruppen für die Kultur zu erschließen. Vielmehr müssten gleichzeitig innerhalb der Einrichtungen alle relevanten Strukturen und Hierarchien kritisch hinterfragt werden, um interne Barrieren zu identifizieren und abzubauen. Change-Management-Prozesse des Outreach und Inreach sind demnach zwei Seiten derselben Medaille.
Warnung vor Mythologisierung des Teilhabebegriffs
Mit Blick auf die unterschiedlichsten Ansätze für eine bessere Teilhabe breiterer Schichten der Gesellschaft an der Arbeit der Kulturbetriebe weist der Kultur- und Medienmanager Gernot Wolfram auf die Gefahr „einer semantisch immer weiter ausdifferenzierten und aufgeladenen Partizipationsrhetorik“ hin: „Je stärker er zu einem Instrument wird, komplexe politische, soziale und ökonomische Herausforderungen der Museumsarbeit unter positiven Vorzeichen zu diskutieren, umso stärker entfernt er sich von einer tatsächlichen Erkundung dessen, was Teilhabe im Museum konkret und messbar bedeutet. Die beiden Schweizer Konzeptkünstler Frank und Patrik Riklin betonten einmal in einem Interview den zentralen Aspekt dieses Problems: „Partizipation findet dann statt, wenn man nicht über sie redet. (…) Du musst über andere Dinge sprechen, damit Partizipation entsteht.“ (Anm. 4)
Berthold Schmitt, Herausgeber der Fachzeitschrift KulturBetrieb
Anm. 1: Vgl. Björn Thümler, Museumspolitik ist Standortpolitik, in: Matthias Dreyer und Rolf Wiese (Hrsg.), Den Museumsstandort entwickeln und stärken. Impulse, Strategien und Instrumente (Schriften des Freilichtmuseums am Kiekeberg; Bd. 100), Ehestorf 2020, S. 14.
Anm. 2: Ivana Scharf, Julia Heisig und Dagmar Wunderlich, Museen und Outreach. Outreach als strategisches Diversity-Instrument. Das Blog zum Buch, 2017; Quelle: https://www.museum-outreach.de/definition/ ; Abfrage: 20.02.2022
Anm. 3: Tagungsbericht „Outreach: Trend, Haltung, Notwendigkeit“, Landesverband der Museen zu Berlin, 19.11.2019; Quelle: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/index.asp?id=8780&view=pdf&pn=tagungsberichte&type=tagungsberichte ; Abfrage: 20.02.2022
Anm. 4: Gernot Wolfram, Mythos Partizipation? Neue Fragen an die Umgestaltung von Museen zu „Dritten Orten“, in: Dreyer / Wiese, Den Museumsstandort entwickeln und stärken, S. 126.
Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb, eins 2022, S. 12 f.