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Was ist eigentlich ... Augmented Reality?

Eine hilfreiche Technologie mit Tradition und hohen Ansprüchen

Die schnelle und zuverlässige Übermittlung von Nachrichten ist ein Kriterium unserer Kommunikation. Um zugleich möglichst umfassend zu informieren, bietet die sog. Augmented Reality (AR) bzw. „erweiterte Realität“ zusätzliche Verfahren und Inhalte.

Ein digitaler Guckkasten

Unter AR versteht man die computergestützte Erweiterung der Wahrnehmung von Realität. Obwohl der Begriff auch für das `Tasten´ gilt, z.B. mit Hilfe von Datenhandschuhen, wird er vorwiegend auf das Sehen bezogen. Bei der AR wird die soeben betrachtete reale Welt mit digital erzeugten Zusatzinformationen in Form von Texten, Bildern oder Grafiken angereichert – in Echtzeit. Da sowohl bei der „erweiterten Realität“ wie bei der sog. „erweiterten Virtualität“ (augmented virtuality) wirkliche (physische) und virtuelle Elemente vermischt werden, sind beide Formen Teil der sog. „gemischten Realität“ (mixed reality). Die AR ist daher nicht zu verwechseln mit der sog. „Virtuellen Realität“. (Anm. 1) Zu den wesentlichen Merkmalen der „erweiterten Realität“ zählen a) die Kombination bzw. teilweise Überlagerung von physischer Realität und virtueller Realität, b) die Interaktivität in Echtzeit und c) der dreidimensionale Bezug realer und virtueller Objekte. Für die Umsetzung von AR werden nicht nur Kamera und Sensoren benötigt, sondern auch geeignete Software, um via GPS (Global Positioning System) die genaue Position des Nutzers zu erkennen (Tracking) und die für diesen Ort relevanten Informationen einzublenden – auch bei Bewegung. In gewisser Hinsicht steht die Wirkungsweise der AR in der Tradition des Guckkastens, der ab der zweiten Hälfte des 18. Jhs. in ganz Europa verbreitet war. Dabei handelte es sich um einen Schau- oder Betrachtungsapparat, mit dem optische Illusionen und Täuschungen mittels lupenartiger Linsen erzeugt wurden. Besonders faszinierend war offenbar der überzeugende dreidimensionale Eindruck des Gezeigten. Bevorzugte Bilder waren europäische Sehenswürdigkeiten sowie exotische Szenen und theatralische Darstellungen. Neben biblischen und mythologischen Geschichten waren Kämpfe, Brände, Erdbeben oder Vulkanausbrüche beliebte Motive. Der Guckkasten war nicht nur eine Attraktion auf Jahrmärkten, sondern ein frühes Massen- und Bildungsmedium, mit dem es möglich war, die reale und geistige Welt in Bildern darzustellen.

Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten

Die Vorzüge der „erweiterten Realität“ werden in verschiedenen Bereichen des Alltags angewendet, so z.B. im Luft- und Straßenverkehr. Damit Flugzeugpiloten oder Autofahrer bei höherer Geschwindigkeit ihre Blickrichtung nicht ändern müssen, werden relevante Hinweise zu Tempo oder Navigation in das Cockpit bzw. auf die Windschutzscheibe projiziert. (Anm. 2) Durch ähnliche Verfahren lassen Monteure sich bei der Installation oder Wartung von Industrieanlagen die notwendigen Angaben zu einzelnen Arbeitsschritten in das Sichtfeld einblenden und Chirurgen `sehen´ während der Operation hilfreiche Informationen zur Steuerung des Eingriffs. Freunde des Fußballs kennen die AR u.a. aus TV-Übertragungen: So werden z.B. bei Freistößen die Entfernungen mithilfe virtueller Linien eingeblendet. In den Kontext der AR gehören auch die sog. Datenbrillen, an deren Entwicklung Unternehmen wie Google oder Samsung arbeiten. (Anm. 3) Augmented Reality wird zunehmend im Bereich der Präsentation und Vermittlung von Kunst und Kultur eingesetzt. Typische Anwendungen sind virtuelle Rekonstruktionen verlorener oder fragmentarisch überlieferter Bauwerke. Ein Beispiel hierfür ist das Projekt „Cluny 2010“, bei dem u.a. ein detailliertes digitales 3-D-Modell die weitgehend zerstörte Abtei von Cluny visualisiert. Mittels virtueller Einblendungen können museale Exponate in ihrem urspr. Kontext gezeigt werden. So konnten Besucher des Bayerischen Nationalmuseums in München Tilman Riemenschneiders Altarstatue der Hl. Maria Magdalena (um 1490) im originalen Kontext der Münnerstädter Kirche `erleben´. (Anm. 4) Weitere Optionen sind Komplett- oder Detailbetrachtungen: Im J. Paul Getty Museum in Los Angeles kann ein barocker Kabinettschrank nach allen Richtungen `gedreht´ und betrachtet werden und im Dornier Museum Friedrichshafen kann das legendäre Flugboot Dornier X als virtuelles 3-D-Modell bestaunt werden. (Anm. 5) Ein anderer Aspekt ist der Schutz vor schädlichen Einflüssen durch Licht, Klima oder Gebrauch. So kann neuerdings das in der Bayerischen Staatsbibliothek aufbewahrte Reichenauer Evangeliar (11. Jh.) von jedermann angeschaut werden: Die eingescannte Handschrift wird mittels Software dreidimensional präsentiert, wobei der Betrachter durch Gesten einzelne Seiten `umblättert´ oder Details heranzoomt. (Anm. 6)

Homo ludens

Nach Friedrich Schiller ist der Mensch „nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Hieran anknüpfend bietet Augmented Reality auch Kulturbetrieben eine geeignete Technologie, um auf innovative, attraktive und spielerische Weise zusätzliche Informationen über Exponate und Bestände zu vermitteln. Bei Vorbereitung und Umsetzung solcher Projekte sind die Einrichtungen jedoch gut beraten, diese nicht nebenbei zu betreiben, sondern sich sehr präzise über konkrete Anliegen, Inhalte, Methoden und Zielgruppen zu verständigen. Die Nutzer orientieren sich und ihre Ansprüche an aufwändig produzierten Spielen wie INGRESS oder ARQuake, die auf technisch, grafisch und dramaturgisch hohem Niveau Standards setzen! Die Branche der elektronischen Unterhaltungsspiele boomt, zumal „mehr als 40 Prozent der Smartphone-Besitzer regelmäßig spielen.“ „Augmented Reality verspricht ein Riesenmarkt zu werden. Die Analysten (…) prognostizieren den jährlichen Umsatz von Software, Diensten und Geräten in diesem Bereich für 2020 auf 120 Milliarden US-Dollar.“ (Anm. 7)

Dr. Berthold Schmitt, Herausgeber der Fachzeitschrift KulturBetrieb

Anm. 1: Bei der sog. Virtuellen Realität (virtual reality = VR) taucht der Nutzer ganz in eine virtuelle Welt ein. Dabei werden die Darstellung und die gleichzeitige Wahrnehmung der Wirklichkeit mit ihren physikalischen Eigenschaften in Echtzeit von Computern generiert. Spezielle Ein- und Ausgabegeräte werden benötigt, darunter Head-Mounted Displays (HMD) oder Datenhandschuhe.
Anm. 2: Das sog. Head-up-Display-Verfahren (HUD; dt.: Kopf-oben-Anzeige) wurde bereits in den 1940er-Jahren für den Einsatz in Kampfflugzeugen entwickelt.
Anm. 3: Vgl. Berthold Schmitt, Wie funktioniert eigentlich … eine Datenbrille?, in: KulturBetrieb, zwei 2014, S. 72.
Anm. 4: Dazu und zu weiteren Anwendungsmöglichkeiten wie z.B. der vergrößerten Wiedergabe von Details vgl. Hannes Schleeh, Mit Google Glass und iPad durch das Museum – Augmented Reality, in: schleeh.de/mit-google-glass-und-ipad-durch-das-museum-augmented-reality/; Abfrage: 30.12.2015
Anm. 5: Dazu und zu weiteren Beispielen vgl. culture-to-go.com/mediathek/augmented-reality-im-museum/; Abfrage: 30.12.2015
Anm. 6: Vgl. dazu Zeutschel bietet 3D-Erlebnis für Bücher und Objekte, in: www.zeutschel.de/de/aktuelles/pressemitteilungen/items/keyNews_0060.html; Abfrage: 30.12.2015
Anm. 7: Tilmann Prüfer und Sebastian Mondial, Angriff auf die Welt. In dem Smartphone-Spiel „Ingress“ von Google wird um echte Orte gekämpft – auch in KZ-Gedenkstätten, in: ZEIT Magazin, Nr. 27, 02.07.2015, S. 13ff.

Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in "KulturBetrieb. Magazin für innovative und wirtschaftliche Lösungen in Museen, Bibliotheken und Archiven", eins 2016, S. 6-7.

Zum Magazin: http://www.kulturbetrieb-magazin.de/fileadmin/user_upload/kulturbetrieb-magazin/magazin/KulturBetrieb-2016-Ausgabe-1-Februar.pdf