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Stecken Sie ruhig Ihre Nase hinein!

Der Duft verrät viel über den Erhaltungszustand der Bücher

Weltweit ist unser Schriftgut von Verfall bedroht, besonders durch Übersäuerung. Um die Stabilität des Papiers zu messen, werden in der Regel mechanische oder chemische Tests angewendet, darunter das Falten oder das Befeuchten im Zuge von pH-Messungen. Ein britisches Forscherteam hat einen neuen Weg gesucht, um wertvolle Bestände zu schützen: die Analyse von Gerüchen.

Der Duft sterbender Bücher

Das Beschnüffeln von Büchern oder Papier ist eine altbewährte Methode, bei der Kuratoren und Bibliothekare intuitiv viel über Alter, Herkunft und Materialien eines Objektes erfahren. Da das Verfahren jedoch nicht allzu präzise ist, wollte der Chemiker Matija Strlic es genauer wissen: „Lässt sich der Geruch chemisch so weit analysieren, dass er zuverlässige Informationen liefert? Seine Studien zeigen, dass es geht. `Geruch hilft, den Zustand eines Objekts zu beurteilen, ohne dass von diesem Proben genommen werden müssen.“ (Anm. 1)
Strlic ist Wissenschaftler am Londoner University College und stellvertretender Leiter des Institute for Sustainable Heritage. Das Projekt „Heritage smells!“ (2010-13) ist von der Annahme ausgegangen, „den diagnostischen Wert des Geruchs von Kulturgütern zu untersuchen. Wir alle sind vertraut mit dem Geruch alter Bücher, aber erst kürzlich konnte gezeigt werden, dass die Verbindungen, die von Papier emittieren, Informationen über ihre Zusammensetzung und ihren Erhaltungszustand enthalten. Wenn man die geeigneten portablen Instrumente anwendet, sollte es prinzipiell möglich sein, Objekte außerhalb von Laboren zu „erschnüffeln“ und dadurch nützliche Informationen für den Nutzer zu gewinnen.“ (Anm. 2)
„Die Träger dieser Informationen sind flüchtige organische Verbindungen, sog. VOCs (vom Englischen volatile organic compounds). Diese entstehen, wenn Chemikalien in organischen Stoffen wie Papier, Tinte, Klebstoff und Fasern unter dem Einfluss von Wärme, Licht, Feuchtigkeit und Sauerstoff miteinander reagieren. Die meisten Gerüche, die wir wahrnehmen, bestehen aus VOCs. In der Bibliothek mischen sich die der Besucher, der Regale, des Parketts, der Ledersessel und sogar des lange erloschenen Kamins unter die des Papiers.“ An den eingefangenen und analysierten Emissionen eines Buches können die Forscher erkennen, „wie weit dessen Erkrankung fortgeschritten ist. Fünf Stoffe stechen dabei am stärksten in die Nase: Essigsäure, Vanillin, Benzaldehyd, Hexanal und Furfural. (…) Riecht ein Buch intensiv nach Essig, ist der Zerfall in vollem Gang.“ Für die praktische Anwendung bleibt ein Problem: Wie können Bibliothekare den festgestellten Geruch und die entsprechende Diagnose möglichst treffgenau einander zuordnen? Hier kommt das sog. Aromarad zum Einsatz, das ursprünglich für die Beurteilung von Wein entwickelt worden ist, um ein einheitliches Vokabular für Düfte zu etablieren. Mit der Adaption des Aromarades für den speziellen Geruch von Papier verfügen Bibliothekare künftig über „ein einfaches, standardisiertes Prinzip, das sich Laien ebenso erschließt wie Profis.“ (Anm. 3)

Praktische Anwendbarkeit ist wichtig …

Das britische Projekt „Heritage smells!“ zielt darauf, parallel zu Gaschromatographen und Massenspektrometern, die in den Laboren verwendet werden, kleine tragbare „Schnüffelinstrumente“ in die Konservierung einzuführen. (Anm. 4) Dieser praktische Nutzen der Technik ist wichtig, um z.B. direkt in Bibliotheken, Museen, Archiven und Ausstellungshäusern arbeiten zu können. „Denn Papier gibt VOCs nicht nur ab, es nimmt sie auch auf. Liegt eine 300 Jahre alte Erstausgabe im selben Schaukasten wie eine hundert Jahre alte Zeitung, können die von der Zeitung abgegebenen Verbindungen das Buch angreifen.“ (Anm. 5)
Auch in Deutschland wird nach einfachen und praxisnahen Verfahren gesucht, um VOCs ausfindig zu machen, die z.B. von kontaminiertem Kunst- und Kulturgut ausgehen können. „Die Emissionen dieser Werkstoffe sowie deren bisher kaum erforschte synergetische Auswirkungen tragen zur starken Minderung der Luftqualität in den musealen Einrichtungen bei und stellen ein hohes Gefahrenpotential für die Mitarbeiter und Besucher, vor allem jedoch ein hohes Schädigungspotential für Objektmaterialien dar. Um diesem Schädigungspotential zu begegnen und die Luftqualität nachhaltig zu beeinflussen, ist eine Überprüfung der in den Ausstellungen und den Depots zur Anwendung gelangenden Bau- und Konstruktionsmaterialien unabdingbar. Nur durch Detektion der schädlichen Emissionen, können diese vermieden und durch gezielte Maßnahmen langfristig reduziert werden. Ziel des Projekts ist, in den Bereichen Equipment und Auswertung von Messverfahren für Schadstoffe in Museen zu forschen, um zu einem vereinfachten Test zu gelangen (MAT-CH). Die Forschungen konzentrieren sich auf die Anwendung und Erprobung einheitlicher, wiederverwendbarer Reaktionsbehälter, die Anwendung und Erprobung einheitlicher, nachhaltig produzierter Indikatoren sowie die Evaluierung von Verfahren zur objektiven Auswertung der Testergebnisse.“
Das Projekt „MAT-CH“ (04.12.2015-31.03.2019) wird geleitet von Alexandra Jeberien, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Kooperationspartner sind das Museum für Naturkunde Berlin, das Zoologische Institut und Museum der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald und das Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Die Projektmittel kommen aus dem Förderbereich „Umwelt und Kulturgüter“ der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). (Anm. 6)

Geruch als Kulturgut

Den britischen Wissenschaftlern, die vor allem in der altehrwürdigen Bibliothek der Kathedrale St. Paul´s forschen, geht es aber nicht nur darum, den Zustand einzelner Objekte zu kennen. Sie denken auch daran, die Gesamtheit aller Gerüche von Bibliotheken zu erfassen: „Geruch beeinflusst die Atmosphäre eines Ortes maßgeblich – und damit auch, wie wir die dort präsentierten Gegenstände wahrnehmen. Die Bibliothek von St. Paul´s ist dafür das beste Beispiel: `Wir können die Geschichte riechen, den Duft vergangener Tage, und fühlen uns mit den Seelen der Vergangenheit vereint´, lautet ein Eintrag im Gästebuch.“ (Anm. 7)

Redaktion

Anm. 1: Jessica Braun, Das Parfüm der Bücher. In London erforschen zwei Wissenschaftler die Gerüche einer Bibliothek. Sie wollen die alten Werke vor dem Verfall retten – und deren Duft vor dem Verschwinden, in: Die ZEIT, 20.12.2017, S. 37.
Anm. 2: Heritage smells!; Quelle: https://iris.ucl.ac.uk/iris/browse/researchActivity/4885; Abfrage: 27.02.2018
Anm. 3: Braun, Das Parfüm der Bücher.
Anm. 4: Vgl. Heritage smells!
Anm. 5: Braun, Das Parfüm der Bücher.
Anm. 6: Alexandra Jeberien, Ein vereinfachter Indikatortest in der modellhaften Anwendung und Erprobung am Beispiel dreier naturkundlicher Museen und Sammlungen (MAT-CH); Quelle: https://www.htw-berlin.de/forschung/online-forschungskatalog/projekte/projekt/?eid=2237; Abfrage: 27.02.2018; vgl. Berthold Schmitt, Schadstoffe in Sammlungen: Mitarbeiter und Besucher schützen! Auf der Suche nach einem einfachen und zuverlässigen Messverfahren, in: KulturBetrieb, drei 2016, S. 60.
Anm. 7: Braun, Das Parfüm der Bücher.

Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb, eins 2018, S. 24 f.