Meist wird mobiles Kulturgut innerhalb von Museen in Vitrinen ausgestellt. Das hat unterschiedliche Gründe. Vorrangig dienen Vitrinen dem Schutz der Objekte. Aber auch Besuchende gilt es vor Verletzungen oder schädigenden Ausdünstungen zu bewahren. Daneben sollen Vitrinen Raum für die Vermittlung von Inhalten geben, ansprechend aussehen und möglichst wenig kosten. Kommt neben der Herausforderung, die unterschiedlichen Ansprüche an eine Vitrine zu vereinen, die Frage der Nachhaltigkeit hinzu, wird es noch kniffliger.
Was kennzeichnet eine „gute Vitrine“?
Zunächst lohnt es sich der Frage nachzugehen, was denn eine „gute Vitrine“ ausmacht. Die Charakterisierung einer „guten Vitrine“ – hier in Anführungszeichen gesetzt, da dies im Auge des Betrachters liegen dürfte –, wird je nach Funktion und Position der Planenden im Museum, deren fachlichem Hintergrund sowie Auftrag unterschiedlich sein. Die Betrachtung der Planungsbeteiligten soll im Folgenden die verschiedenen Blickwinkel beleuchten und mögliche Spannungsfelder aufzeigen. Kuratorinnen und Kuratoren, Direktorinnen und Direktoren und Projektsteuerinnen und Projektsteuerer werden in der Regel eher Aspekten wie Wirkung und Lesbarkeit der Exponate in den Vitrinen, Besucher- und Vermittlungsfreundlichkeit sowie Diebstahlsicherheit, Kostenbewusstsein und Termingenauigkeit den Vorrang geben. Gestalterinnen und Gestalter erhoffen sich, dass die Vitrinen ihren gestalterischen Vorgaben entsprechen, wenig Technik sichtbar ist und die Planungen nicht durch Materialtests oder Umplanungen in die Länge gezogen werden. Restauratorinnen und Restauratoren stellen sich Vitrinen vor, die schadstoffarm, nicht lichtschädigend und klimastabil sein sollen, auch wenn dies Materialtests und Verzögerungen in der Fertigstellung der Vitrinen mit sich bringen können. Außerdem erwarten sie eine gute Zugänglichkeit zum Vitrineninnenraum, Klima- und Beleuchtungsfach sowie gute Montagemöglichkeiten für die Exponate.
Doch wie zu vermuten, ist es unmöglich all diese Anforderungen unter einen Hut zu bringen. Abstriche in der Qualität, im Aussehen, in der Funktionalität, im Preis oder in der Sicherheit sind die Folge. Doch wie steht es um das Thema Vitrinen, wenn die Nachhaltigkeit in die Planungen einfließt?
Definition von Nachhaltigkeit
Zunächst stellt sich die Frage nach der Definition von Nachhaltigkeit. Dieser Begriff ist mit unterschiedlichen Bedeutungen hinterlegt. Der Duden beispielsweise beschreibt Nachhaltigkeit unter anderem mit einer „längere[n] Zeit anhaltende[n] Wirkung.“ (Anm. 1) Das Lexikon der Nachhaltigkeit wird gemäß des „Drei-Säulen-Modells“ der Enquete-Kommission zum „Schutz des Menschen und der Umwelt“ (Anm. 2) etwas ausführlicher: „Nachhaltige Entwicklung heißt, Umweltgesichtspunkte gleichberechtigt mit sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen. […]“ (Anm. 3)
Betrachtet man nun das Thema Vitrinen der Definition entsprechend mit den Begrifflichkeiten Ökologie, Soziales und Wirtschaftlichkeit, eröffnet sich ein breites Feld, das sich von Ressourcen, Transportwegen, Recycling über Herstellungsbedingungen, Bezahlung bei Herstellung und Transport über Kosten im Verhältnis der Nutzungsdauer spannt. All diese Bereiche sind interessant und es Wert, sie eingehender zu betrachten. Da es in diesem Artikel um den Blick einer Restauratorin auf die Thematik geht, sollen Vitrinen und Nachhaltigkeit entlang der konservatorischen Anforderungen, d.h. Klima, Licht und Schadstoffe, gegenübergestellt werden.
Der Einfluss von Klima, Licht und Schadstoffen auf Objekte in einer Vitrine ist bekanntlich mannigfach. Am einfachsten stellt man sich ein Schalenmodell vor, in dem Temperatur, relative Feuchtigkeit, UV- und IR-Strahlung von außen (Gebäude selbst / Raumschale), über den Innenraum, in die Vitrinen und von dort auf die Objekte wirkt. In der Vitrine, in unserem Schalenmodell somit der Kern, summieren sich als kleinste räumliche Einheit und durch eine geringe Luftwechselrate alle Einflüsse auf. In der Regel kommt dann erschwerend hinzu, dass Schadstoffe den Objekten schaden. Auch sie sammeln sich im Innenraum an und ergeben zudem oft eine gefährliche Mischung. Höhere Temperaturen, z.B. durch Sonneneinstrahlung auf die Vitrine erzeugt, beschleunigen nicht nur Alterungsprozesse des Kulturguts, sondern verstärken in der Regel die Reaktivität der schädlichen Gase. Eine Vitrine soll hingegen unser wertvolles Kulturgut sichern, weshalb zahlreiche Maßnahmen zu deren Schutz ergriffen werden.
Klima
Viele Vitrinen in Museen werden zum Schutz der ausgestellten Objekte klimatisiert. So bewahrt dies beispielsweise organische Materialien vor dem Reißen oder Verwerfen, Metalle vor Korrosion. Das kann aktiv (Klimageräte mit Stromanschluss, meist im Sockel) oder passiv (Granulate wie Silikagel, meist im Sockel) geschehen.
Beim Vergleich dieser beiden Vorgehensweisen bezüglich der Nachhaltigkeit zeigt sich, dass die aktive Klimatisierung Strom verbraucht sowie Herstellungsbedingungen, Transportwege, Reparaturmöglichkeiten des Gerätes selbst geprüft werden sollten. Dafür ist auf längere Sicht weniger personeller Einsatz nötig und in der Regel wird weniger Material, das weggeworfen werden muss, produziert. Die passive Klimatisierung benötigt im Gegensatz keine Stromzufuhr und ist (zunächst) günstiger in der Anschaffung. Stattdessen bindet das regelmäßige Auswechseln mehr personelle Ressourcen und nicht alle Granulate oder Flüssigkeiten lassen sich recyceln. Was ist nun nachhaltiger?
Schadstoffe
Ähnlich verhält sich dies beim Thema Schadstoffe. Sie sind in Vitrinen auf viele Weise schädigend für die Exponate. Ursachen können für den Vitrinenbau und deren Ausstattung verwendete kritische Materialien wie (Holz-)Plattenwerkstoffe, bestimmte Vollhölzer, Textilien (vor allem Wolle und Filze), Flammschutzmittel, säurehaltiges Papier, Kabel, Kunststoffe (vor allem PVC, Gummi, Silikone), Lacke oder Klebebänder sein. Der Einsatz neuer Materialien, die noch nicht für den Gebrauch in Museumsvitrinen auf Schadstoffe getestet sind (z.B. Recyclingprodukte), kann ebenfalls kritisch sein. Aber auch die präsentierten Objekte selbst, z.B. durch Alterungsprozesse der Materialien, Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Exponaten oder durch kürzlich erfolgte Restaurierungen, können Schäden hervorrufen. Um diese Stoffe aus der Luft zu filtern gibt es – wie bei der Klimatisierung – aktive und passive Systeme. Aktive Luftfiltergeräte (häufig gekoppelt mit aktiven Klimatisierungsgeräten) werden meist in die Vitrinensockel verbaut, passive Systeme wie Granulate, Vliese oder Gewebe können im Sockel oder hinter Rückwänden verbaut werden und absorbieren dadurch Schadstoffe. Bei der Frage, welches von beiden Verfahren nachhaltiger ist, lassen sich die gleichen Argumente wie bei Klimatisieren gegeneinander aufführen. Auch hier die Frage: Welches System ist nun nachhaltiger?
Licht
Die Wahl des Leuchtmittels für Vitrinen fällt in der Regel auf Glühlampen, Leuchtstofflampen oder Entladungslampen. Auch hier sollten Themen wie Stromverbrauch, Wärmeabgabe, Anzahl der Flächenbeleuchtung vrs. akzentuierte Beleuchtung, schädigendes Potenzial auf Objekte / Grafiken / Beschriftung der „Lebensdauer“ von Leuchtmitteln gegenübergestellt werden. Ferner können Herstellungsbedingungen, Transportwege/ -bedingungen sowie Reparatur- und Recyclingmöglichkeiten geprüft werden. Welches Leuchtmittel ist bei dieser Gegenüberstellung nachhaltiger?
Vitrinen und Nachhaltigkeit – ist das nun möglich?
Die Beantwortung der Frage, welche Materialien bzw. Produkte bei Vitrinen nachhaltig sind, ist demnach nicht so einfach. Zieht man nun in die Abwägung die eingangs aufgeführten Definitionen zur Nachhaltigkeit wieder hinzu, dürfte die „längere Zeit anhaltende[n] Wirkung“ den konservatorischen Anforderungen am nächsten kommen. Doch Vitrinen zu entwickeln, die durch eine geeignete Konstruktion und Funktionsbereiche das Klima stabil halten, sollte das Ziel sein. Die Art und Platzierung von Leuchtmitteln und Vorschaltgeräten kann Wärmeentwicklung in den Vitrinen vermeiden, Leuchtmittel mit schädigendem UV-Licht sollten nicht mehr zum Einsatz kommen. Schadstoffe sollten erst gar nicht entstehen. Inerte Materialien wie Metall (auch für Halterungen, Sockel, Rückwände), Glas oder Keramik sind frei von Ausdünstungen. Langzeitgetestete Materialien wie essigsäurefreie Silikone und spezielle Klebstoffe, Klebebänder und Dichtungen helfen, Schadstoffe auf ein Minimum zu reduzieren. Aber auch spezielle Textilien, säurefreie Papiere, Kartons oder Wabenplatten sowie einige Kunststoffe (PMMA, PE, PP, Polycarbonat) können für den Vitrineninnenraum verwendet werden. Denn eine Museumsvitrine dient vorrangig dem Schutz des ausgestellten Kulturguts. Überwiegend stabiles Klima durch Klimatisierung, geeignete Leuchtmittel und wenig Schadstoffe durch Filterung bzw. Absorption sind deshalb wichtig und schützen unsere Objekte nachhaltig. Nur die Berücksichtigung dieser Aspekte führen zu Vitrinen mit längerer Zeit anhaltender Wirkung. Aber entsprechend der Definition der Enquete-Kommission sollten vor allem soziale Aspekte und jene zum Schutz der Umwelt mehr Beachtung – auch in Museen – finden. Langlebige Vitrinen, häufig wiederverwendet und fair produziert sind das Ziel. Und Schädigungen an Exponaten erst gar nicht entstehen zu lassen, ist besonders nachhaltig.
Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (abk)
Studiengang Konservierung und Restaurierung von archäologischen, ethnologischen und kunsthandwerklichen Objekten
Prof. Dr. Andrea Funck
Am Weißenhof 1, 70191 Stuttgart
Tel 0049 / 711 / 28440-217
andrea.funck(at)abk-stuttgart.de
http://www.abk-stuttgart.de/studium/studienangebote/objektrestaurierung.html
Anm. 1: https://www.duden.de/rechtschreibung/Nachhaltigkeit ; letzter Zugriff am 30.03.2020
Anm. 2: http://webarchiv.bundestag.de/archive/2008/0506/wissen/analysen/2004/2004_04_06.pdf ; letzter Zugriff am 30.03.2020
Anm. 3: https://www.nachhaltigkeit.info/media/1434968330phpwNlq2d.pd ; letzter Zugriff am 10.11.2019
Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb, eins 2020, S. 66 f.