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Gretchenfrage: Wie hältst Du es mit X?

Sollen bzw. dürfen Museen auch künftig auf X / ehemals Twitter vertreten sein?

Soziale Medien sind längst zentraler Bestandteil der internen und externen Kommunikation von Archiven, Bibliotheken, Museen und anderen kulturbewahrenden Einrichtungen. Sie nutzen Plattformen wie Facebook, Flickr, Instagram, LinkedIn, Pinterest, Snapchat, TikTok, YouTube oder X, um Inhalte für bestehende oder künftige Nutzerinnen und Nutzer aufzubereiten und zu vermitteln. Was aber, wenn eine Social-Media-Plattform hinsichtlich eines tatsächlich oder vermeintlich fehlenden diskriminierungsfreien, respektvollen Sprachgebrauchs in ethisches Zwielicht gerät? Wie sollen öffentliche Kultureinrichtungen sich dazu verhalten? Zu genau dieser Frage ist im Juli 2024 in der britischen Museums Computer Group (MCG) eine Diskussion entbrannt. Seit geraumer Zeit steht X (früher Twitter = englisch für „Gezwitscher“) im Fokus.

»Stopping use of Twitter / X«?

In Großbritannien denken offenbar nicht wenige Museen darüber nach, „X“ den Rücken zu kehren. Vor allem zwei Gründe werden genannt: „Museen möchten möglicherweise nicht auf einer Plattform wie Twitter gefunden werden, wo sich mittlerweile einige Fälle von Pornos einschleichen und das Gefühl besteht, dass Beiträge und Politik unreguliert und von Bots gesteuert werden. Und dann ist da noch die potenzielle Vergänglichkeit – wird es in zwölf Monaten noch da sein?“ (Anm. 1) Unpassende Inhalte, fehlende Transparenz und ungeklärte Zukunft.
Nach der Übernahme von Twitter durch den US-amerikanischen Unternehmer Elon Musk im Oktober 2022 hat sich vieles bei dem Mikroblogging-Dienst geändert, nicht nur der Name. Personal wurde abgebaut und Kontrollmechanismen für Inhalte wurden reduziert. Kritiker dieser Entscheidungen weisen darauf hin, dass seither der Umgangston auf der Plattform rauer sowie die Debatten und Standpunkte polarisierter geworden seien. In Folge dieser Entwicklung sollen etliche Unternehmen ihre Werbeaktivitäten auf der Plattform reduziert oder ganz eingestellt haben, da sie nicht neben radikalen Inhalten auftauchen wollen. Auch dadurch sollen laut Statista die Umsätze des Unternehmens X von etwa fünf Mrd. US-Dollar (2021) auf 3,4 Mrd. USD (2023) gesunken sein. Weiteres Ungemach droht dem Unternehmen von Seiten der Europäischen Union, die X im Juli 2024 vorgeworfen hat, gegen verschiedene Regeln des Digital Services Acts zu verstoßen. „Es geht um täuschende blaue Haken, intransparente Werbung und mangelhaften Zugang zu Daten für Forschende. Das Verfahren könnte in einer hohen Strafe enden.“ (Anm. 2) Der Ausgang des Verfahrens ist offen.

X-Nutzung in Bevölkerung und Museen

Das soziale Netzwerk X soll weltweit monatlich etwa 240 Millionen Nutzerinnen und Nutzer haben. Aktuelle Zahlen für Deutschland liefert die ARD-ZDF-Onlinestudie 2023, der zufolge 95 Prozent der hiesigen Bevölkerung das Internet nutzen. Neben Streamingdiensten sind vor allem Social Media beliebt, wobei hier die Altersgruppe 14 bis 29 Jahre überwiegt. Bei Social Media rangiert Instagram mit 35% täglicher oder wöchentlicher Nutzung vor Facebook (32%), TikTok (15%), Snapchat (13%) und Pinterest (11%). X bringt es hierzulande auf etwa acht Prozent. (Anm. 3)
Kultureinrichtungen nutzen Social Media verstärkt seit etwa 15 Jahren. Die mit der Covid-19-Pandemie einhergehenden Verwerfungen haben (anhaltend?) für einen Anstieg gesorgt. Nach Auswertung der von The Art Newspaper erhobenen Zahlen hält Angelika Schoder fest, dass Twitter 2020 die erfolgreichste Social-Media-Plattform weltweit war. „Die 100 meistbesuchten Museen der Welt hatten insgesamt 45,7 Millionen Twitter-Follower, auf Platz 2 lag Instagram mit 41,7 Millionen Followern, Facebook landete auf Platz 3 mit 32,3 Millionen Followern.“ Inzwischen aber hat X/Twitter hierzulande seine Spitzenposition an Instagram verloren. Laut Schoder kein Zufall: „Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass zwar Twitter bei einigen Museumsakteuren sehr beliebt ist – beim deutschsprachigen Publikum jedoch nicht in einem ähnlichen Maße, besonders nicht im Vergleich zu Instagram. Dies zeigt sich nicht nur an der Reichweite der Inhalte, sondern auch an der Interaktionsrate. Während Twitter vor allem in englischsprachigen Ländern auch vom kulturinteressierten Publikum benutzt wird, erreichte das Netzwerk in deutschsprachigen Ländern nie eine ähnliche Popularität beim breiten Publikum. (…) Twitter ist für Museen im deutschsprachigen Raum vor allem eine Plattform für Business-to-Business-Kommunikation (B2B). Hier können sich Akteure aus dem Museumsbereich untereinander austauschen, ebenso mit Journalisten oder anderen Medienschaffenden. Da wo sich das Soziale Netzwerk in der Ansprache von Medienvertretern und brancheninternen oder -verbundenen Akteuren bewährt hat, versagt es aber, wenn es darum geht, ein breites Publikum zu erreichen, das eher weniger oder keinen Kontakt zum Kulturbereich hat. Eine große Reichweite erzielt man als Museum im deutschsprachigen Raum bei Twitter kaum – und auch neue Zielgruppen lassen sich hier schwer für die Museumsinhalte erschließen.“ (Anm. 4)

Gretchenfrage stellt sich auch für Kulturbetriebe

Nicht nur Firmen stellen ihre Werbeaktivitäten bei X ein. Wegen der dort zu findenden Desinformation, Fake News und hasserfüllter Propaganda ziehen sich offenbar zunehmend Personen und Organisation von der Plattform zurück. Im Februar 2024 hat der Vorstand der SPD offiziell beschlossen, X nicht länger als Kommunikationskanal zu nutzen, um Botschaften direkt an möglichst viele Menschen zu verbreiten. Ferda Ataman, Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, hat ihren Rückzug von der Plattform angekündigt und auch andere staatliche Stellen dazu aufgerufen. Und unsere Museen?
2020 hat ICOM die Aufgaben der Museen wie folgt neu definiert: „Öffentlich zugänglich, barrierefrei und inklusiv, fördern Museen Diversität und Nachhaltigkeit. Sie arbeiten und kommunizieren ethisch, professionell und partizipativ mit Communities.“ Entscheidend für unseren Zusammenhang sind die hier verwendeten Begriffe „inklusiv, Diversität und ethisch“. Nimmt man diese Definition ernst, müssen Museen darüber sprechen, ob die Plattform X weiterhin der richtige Partner für Kommunikation ist. Die nächste und vermutlich beste Gelegenheit dazu bietet sich vom 14. bis 15. Oktober 2024. Dann nämlich findet unter dem Titel „Haltung zeigen, Demokratie verteidigen! Museen in Zeiten politischen Drucks“ in Dortmund eine Konferenz statt, die „den Status Quo und die aktuellen Herausforderungen der Kulturarbeit im Spannungsfeld aktueller antidemokratischer Tendenzen reflektieren und als Forum für Wissenstransfer und Vernetzung dienen“ will.
Ohne dieser Tagung und ihren möglichen Erkenntnissen vorgreifen zu wollen: Das Programm liest sich „defensiv“, so, als suche man Schulterschluss und Schutz vor den Gefahren „der Welt da draußen“. Zentrale Fragen sollen sein: „Wie können Museen als Orte starker demokratischer Prozesse resilient bleiben und Strategien für den Umgang mit Anfeindungen und Bedrohungen entwickeln? Wie politisch kann und soll Kultur-/ und Museumsarbeit überhaupt sein und wie können Museen stärker Haltung zeigen und für demokratische Werte einstehen?“ Und: „Welche Rolle spielen (Soziale) Medien in diesen Prozessen?“ Die Konferenz wird organisiert vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kulturrat, dem Deutschen Museumsbund, dem Institut für Museumsforschung, ICOM Deutschland, dem Museumsverband NRW und dem Landschaftsverband Rheinland. An der Tagung kann man in Präsenz oder über einen Livestream teilnehmen. (Anm. 5)

Britische Organisationen positionieren sich. Und bei uns?

Die Museums Computer Group, deren Mitglieder sich nun Gedanken machen über den weiteren Umgang mit X, ist nicht irgendwer. Bei MCG handelt es sich um eine gemeinnützige Vereinigung von Einzelpersonen, die ein gemeinsames Interesse daran haben, bewährte Verfahren beim Einsatz von Technologie und digitalen Plattformen im Museums- und Kulturerbesektor zu fördern, zu verbessern und zu beeinflussen. Die bereits 1982 gegründete MCG bietet u.a. ein Diskussionsforum für Fachleute aus Museen, Galerien, Archiven und Hochschulen, die mit Computern und neuen Technologien arbeiten. (Anm. 6) Eine der prominentesten britischen Organisationen, die X verlassen haben, ist die 1979 gegründete Association for Cultural Enterprises. Zur Begründung für den Abschied heißt es: „Sicherheitsbedenken, redaktionelle Änderungen und eine Fehlausrichtung der Werte veranlassten uns, nach alternativen Plattformen zu suchen, die unserer Mission und unserem Publikum besser dienen. Wir wissen, dass wir ein kleiner Fisch in einem großen Teich sind, aber es schien uns das Richtige zu sein.“ (Anm. 7)

Inklusivität, Diversität und ethisches Verhalten als Kernelemente musealen Arbeitens zu formulieren (ICOM), ist in Ordnung. Sich gegen Druck und antidemokratische Tendenzen zu positionieren (Haltung zeigen, Demokratie verteidigen!) ebenfalls. Welche praktischen Handlungen aber werden aus diesen theoretischen Leitlinien und hehren, moralischen Appellen erwachsen? Sind auch Kulturbetriebe hierzulande bereit, einer immer noch weit verbreiteten Social-Media-Plattform den Rücken zu kehren? Und wenn ja: Gibt es Alternativen?
Etliche Mitglieder von MCG favorisieren inzwischen Mastodon. Dieser Mikroblogging-Dienst wurde 2016 von Eugen Rochko gegründet und wird von der in Berlin ansässigen Mastodon gGmbH entwickelt. Mastodon ist als dezentrales Netzwerk konzipiert, das nicht auf einer Plattform basiert: Verschiedene Server, von Privatpersonen oder Institutionen eigenverantwortlich betrieben, können miteinander interagieren. Seit März 2024 sind über 15 Millionen Nutzer im Mastodon-Netzwerk registriert. (Anm. 8) Eine gewaltige Reichweite von 240 Millionen potenziellen Adressaten oder nur 15 Millionen? Auch Aufrichtigkeit hat ihren Preis.

Oder werden sich unsere Kulturbetriebe beim Thema Kommunikationskanäle analog zum Umgang mit sog. »Dirty Donors« hinter jahrelangen Diskussionen und Gremienarbeit zu organisieren wissen? Seit 2016 sind vor allem Museen aus dem englischsprachigen Raum zunehmend auf Distanz zu Unternehmen gegangen und haben aus ethisch-ökologischen Gründen auf deren oft üppige Zuwendungen verzichtet. Unter den betroffenen Firmen waren BP, E.on oder die Familie Sackler. Hierzulande tut man sich dagegen schwer mit einer klaren Positionierung, denn „schmutziges Geld“ ist auch für zahlreiche unserer Kulturbetriebe von essenzieller Bedeutung. ICOM Deutschland sieht das Problem, kann sich aber nicht zu einer Empfehlung durchringen. Und der Deutsche Kulturrat ist bereits im Jahr 2011 dazu angeregt worden, „Ethische Standards fürs Kultursponsoring“ zu entwickeln. (Anm. 9) Bislang sind diese Gedanken offenbar nicht wesentlich weiter gediehen. Vielleicht gilt ja auch hier Bertolt Brechts Feststellung „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Und dann sich ja da auch noch Corona, Ukraine-Krieg und der Klimawandel! Wer soll das bezahlen?

Berthold Schmitt, Herausgeber der Fachzeitschrift KulturBetrieb

Anm. 1: MCG list, 17.07.2024. Übersetzung aus dem Englischen: Berthold Schmitt
Anm. 2: Maximilian Henning, X-Twitter verstößt gegen EU-Regeln für Plattformen, in: NETZPOLITIK.ORG, 12.07.2024; Quelle: netzpolitik.org/2024/vorlaeufiges-ergebnis-x-twitter-verstoesst-gegen-eu-regeln-fuer-plattformen/ ; Abfrage: 18.07.2024
Anm. 3: ARD/ZDF-Onlinestudie 2023; https://www.ard-zdf-onlinestudie.de/files/2023/ARD_ZDF_Onlinestudie_2023_Publikationscharts.pdf ; Abfrage: 18.07.2024
Anm. 4: Angelika Schoder, Die wichtigste Social-Media-Plattform für Museen, in: musermeku; Quelle: musermeku.org/social-media-plattform-museen/ ; Abfrage: 18.07.2024
Anm. 5: Haltung zeigen, Demokratie verteidigen! Museen in Zeiten politischen Drucks; Quelle: https://www.lwl-kultur.de/de/publikationen-positionen/tagung-haltung-zeigen-demokratie-verteidigen-museen-in-zeiten-po/?edit&language=de ; Abfrage: 18.07.2024
Anm. 6: About the MCG: Quelle: https://museumscomputergroup.org.uk/about/ ; Abfrage: 18.07.2024. Übersetzung aus dem Englischen: B. Schmitt
Anm. 7: Vgl. Mastodon: Our story; Quelle: joinmastodon.org/de/about ; Abfrage: 18.07.2024
Anm. 8: Tom Dawson, Exiting the Twitterverse: Why we are leaving X, in: Association for Cultural Enterprises, 17.01.2024; Quelle: https://culturalenterprises.org.uk/blog/digital/exiting-the-twitterverse-why-we-are-leaving-x/ #comments; Abfrage: 18.07.2024
Anm. 9: Vgl. Rote Liste für fragwürdige Sponsoren? Wachsender Widerstand gegen sog. Schmutziges Geld, in: KulturBetrieb, zwei 2019, S. 52 f.

Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb zwei 2024, S. 64 f.