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Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten

Der Druck wächst, Orientierung und Hilfe nehmen zu

Wie weiter mit Kunst- und Kulturgütern aus kolonialem Zusammenhang? Für viele Museen und Sammlungen in Europa scheint dies zur Gretchenfrage zu werden. Während die Erwartungshaltung der Ursprungsländer und der Druck auf die Museen zunehmen, gibt es zugleich auch Angebote für Orientierung und finanzielle Unterstützung.

Erwartungen und Appelle

Im Zuge der Diskussion um den zukünftigen Umgang mit unrechtmäßig erworbenen Kunst- und Kulturgütern aus früheren Kolonien gibt es eine Reihe markanter Stationen. Da ist zum einen der vom französischen Staatspräsidenten beauftragte und im November 2018 publizierte “Rapport sur la restitution du patrimoine culturel africain“. (Anm. 1) Dem folgen auf deutscher Seite die von den Staatsministerinnen Monika Grütters und Michelle Müntefering, formulierte Erwartung, sich offen der Frage einer Rückgabe von Kulturgütern aus kolonialen Kontexten zu stellen und die daraus resultierten „Eckpunkte zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“. (Anm. 2) Sodann ist der im Herbst 2019 veröffentlichte Appell „Öffnet die Inventare!“ zu nennen. Darin fordern mehr als 100 Unterzeichnete u.a.: „Es ist ein Skandal, dass es trotz dieser nunmehr zwei Jahre anhaltenden Debatte noch immer keinen freien Zugang zu den Bestandslisten der öffentlichen Museen in Deutschland gibt. Wie genau sehen die afrikanischen Sammlungen in deutschen Musen aus? Aus welchen Regionen kommen die Objekte? Welche Arten von Objekten sind es? Wir wollen und müssen das wissen, wenn wir die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit gemeinsam betreiben wollen. Wir brauchen unbeschränkten und unkontrollierten Zugang! (…) Um Transparenz zu schaffen, sind keine langwierige Datenaufbereitung und abgeschlossene Digitalisierungsprojekte erforderlich, wie oft behauptet wird. Die Arbeit an den Inventaren wird nie fertig sein, sie wird immer work in progress bleiben. (…) Deshalb fordern wir von den öffentlichen Museen beziehungsweise ihren Trägern (…) die schnellstmögliche weltweite Verfügbarmachung der Bestandsverzeichnisse afrikanischer Objekte in den jeweiligen Sammlungen, unabhängig vom Grad der Vollständigkeit oder vermeintlichen Perfektion dieser Verzeichnisse. Einfache Scans und Listen reichen. Wie brauchen sie jetzt. Erst dann kann der Dialog beginnen.“ (Anm. 3) Wie werden betroffene Einrichtungen in der Praxis mit diesen Forderungen umgehen? Schnelligkeit vor Gründlichkeit – oder umgekehrt? Eine Art Prüfstein dieser Entwicklung ist die seit Jahren anhaltende Diskussion um Haltung, Ausrichtung und Arbeitsweise des künftigen Humboldt Forums in Berlin. Parallel dazu soll ab dem Jahr 2020 eine „Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ aufgebaut werden. Ein Ziel der organisatorisch bei der Kulturstiftung der Länder angesiedelten Einrichtung soll es sein, „Menschen und Einrichtungen aus den Herkunftsstaaten und Herkunftsgesellschaften eine erste Anlaufstelle für den Zugang zu Informationen über Bestände von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland zu eröffnen.“ (Anm. 4) Ob das bereits eine umgehende Reaktion auf den scharfen Appell ist, die Inventare zu öffnen?

Fachliche Orientierung

Die Frage nach dem Umgang mit Kunst- und Kulturgütern aus kolonialem Kontext gehört in das weitläufige Feld der Provenienzforschung, für die in den letzten Jahren verschiedene Orientierungshilfen erschienen sind, vielfach mit Blick auf die Zeit des Nationalsozialismus und der Sowjetischen Besatzungszone. (Anm. 5) Auch zur Herkunft kolonialer Objekte liegen inzwischen Leitfäden vor, darunter der Leitfaden des Deutschen Museumsbundes (DMB) zum „Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“. Das im Juli 2019 in zweiter Fassung vorgelegte Papier „dient zur Sensibilisierung und als praktische Hilfestellung bei der musealen Arbeit mit Objekten aus kolonialen Kontexten sowie bei Rückgabeforderungen, welche diese Objekte betreffen. Auf der Grundlage des Leitfadens ist jedes Museum und jede Sammlung gehalten, einen eigenen Standpunkt und eigene Richtlinien für den Umgang mit Objekten aus kolonialen Kontexten zu formulieren. Darüber hinaus sind die Museen aufgerufen – unabhängig davon, ob sie Objekte aus kolonialen Kontexten in ihren Sammlungen haben –, sich mit dem Thema Kolonialismus in ihrer Ausstellungs- und Vermittlungsarbeit aktiv auseinanderzusetzen und den Dialog mit Herkunftsgesellschaften zu suchen.“ (Anm. 6) Ein wichtiger Aspekt der Diskussion um Erforschung und gegebenenfalls Restitution gilt dem Umgang mit sog. sterblichen Überresten / human remains. Hierzu hat der DMB bereits 2013 seine „Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen“ vorgelegt. (Anm. 7) Das wohl jüngste Papier „Menschliche Überreste im Depot. Empfehlungen für Betreuung und Nutzung“ ist im Januar 2020 vorgelegt worden. (Anm. 8)

Finanzielle Unterstützung für Institutionen

Über den fachlichen und ideellen Beistand zur Klärung kolonialer Provenienzfragen hinaus gibt es auch konkrete finanzielle Hilfe. So ist Anfang 2019 der Förderbereich „Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste (DZK) eingerichtet worden. Zentrale Förderziele sind: „die systematische und nachhaltige Aufarbeitung der Provenienzen von Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in öffentlichen Museen und Sammlungen, einschließlich Bibliotheken und Archiven, in Deutschland; die Erforschung und Aufarbeitung grundlegender Fragen zu Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in öffentlichen Museen und Sammlungen, einschließlich Bibliotheken und Archiven, in Deutschland (Grundlagen- und Kontextforschung); die öffentlich zugängliche, insbesondere digitale, Dokumentation der Forschungsergebnisse.“ (Anm. 9)

Finanzielle Hilfe für Aktivisten

In die Diskussion um den Umgang mit Objekten aus der Kolonialzeit hat sich nun auch die private „Open Society Foundations“ eingeschaltet. Die inzwischen in Berlin ansässige, auf Stiftungen des US-Milliardärs George Soros zurückgehende Einrichtung plant, „in den kommenden vier Jahren Aktivisten, Wissenschaftler und Kulturschaffende mit insgesamt 13 Millionen Euro zu unterstützen. `Wir wollen nicht, dass diese internationale Debatte wieder einschläft´. (…) Mit den Mitteln könnten zivile Organisationen `ihre Ziele selber formulieren und eigene Strategien entwickeln, wie sie mit ihren Regierungen reden wollen, was sie fordern.´ 75 Prozent der Mittel sollen an die Zivilgesellschaft aus afrikanischen Ländern gehen, die auf dem Kontinent aktiv sind. Das restliche Viertel werde in Deutschland und Europa vergeben.“ (Anm. 10)

Anm. 1: Felwine Sarr / Bénédicte Savoy, Rapport sur la restitution du patrimoine culturel africain. Vers une nouvelle éthique relationnelle, Paris 2018, 232 S.; Quelle: restitutionreport2018.com/sarr_savoy_fr.pdf ; Abfrage: 23.03.2020
Anm. 2: Monika Grütters und Michelle Müntefering, Eine Lücke in unserem Gedächtnis, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.12.2018; Quelle: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/kolonialismus-und-raubkunst-eine-luecke-in-unserem-gedaechtnis-15942413.html ; vgl. Pressemitteilung von Ländern, Bund und kommunalen Spitzenverbände vom 13.03.2019; Quelle: https://www.kulturgutverluste.de/Content/02_Aktuelles/DE/Pressemitteilungen/2019/2019-03-13_PM_BKM_Kulturministerkonferenz_Eckpunkte.pdf?__blob=publicationFile&v=2 ; Abfrage: 23.03.2020
Anm. 3: Öffnet die Inventare! Ein Appell, das vorhandene Wissen zu afrikanischen Objekten in deutschen Museen endlichen frei zugänglich zu machen, in: Die ZEIT, 17.10.2019, S. 64.
Anm. 4: Kontaktstelle wird eingerichtet, in: Die Bundesregierung, 21.10.2019; Quelle: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/kontaktstelle-wird-eingerichtet-1683666 ; Abfrage: 23.03.2020
Anm. 5: Vgl. Berthold Schmitt, Provenienzforschung. Was? Wer? Wie?, in vorliegender Ausgabe von KulturBetrieb.
Anm. 6: Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten: hrsg. vom Deutschen Museumsbund e.V., 2. Fassung, Berlin 2019, 197 S.; Download: https://www.museumsbund.de/wp-content/uploads/2019/08/dmb-leitfaden-kolonialismus-2019.pdf ; Abfrage: 23.03.2020
Anm. 7: Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen, Berlin 2013; Download: https://www.museumsbund.de/wp-content/uploads/2017/04/2013-empfehlungen-zum-umgang-mit-menschl-ueberresten.pdf ; Abfrage: 23.03.2020
Anm. 8: Jakob Fuchs, Diana Gabler u.a.: Menschliche Überreste im Depot. Empfehlungen für Betreuung und Nutzung, Dresden 2020, 42 S.; Download: wissenschaftliche-sammlungen.de/files/3515/7987/3438/Menschliche_berreste_im_Depot.pdf ; Abfrage: 23.03.2020
Anm. 9: Förderbereich „Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“. Grundsätzliche Informationen; Quelle: https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Forschungsfoerderung/Projektfoerderung-Bereich-Kulturgut-aus-kolonialem-Kontext/Index.html ;jsessionid=EFE99B994C7B3E0D32AD8C6A5F3A8161.m7; Abfrage: 23.03.2020
Anm. 10: Dicke Bretter bohren. Stiftung will sich bei Kolonialobjekten einbringen, in: Leipziger Volkszeitung, 28./29.12.2019; mehr über die Stiftung selbst: www.opensocietyfoundations.org 

Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb, eins 2020, S. 46f.