"Etwas muss er sein eigen nennen, oder der Mensch wird morden und brennen."
Friedrich von Schiller (1759-1805)
Die Geschichte des Diebstahls ist so alt wie die Vorstellung vom Eigentum. Auch die lange Reihe der von Diebstahl oder Raub betroffenen Museen zeigt, dass es bei den Delikten meist um Geld oder um Liebe geht. Zur ersten Kategorie dürften Fälle wie Berlin, Dresden, Manching und Trier gehören, bei denen das Interesse am Materialwert (Gold, Juwelen, Bronze usw.) dominiert. Ähnlich ist jene Phase einzuschätzen, bei denen ab dem Jahr 2010 Hörner von Nashörnern in beachtlicher Zahl gestohlen wurden, um das daraus gewonnene Pulver als Heilmittel zu verkaufen. Werden dagegen Bücher, Federn von Greifvögeln, Gemälde, kunsthandwerkliche Stücke oder Skulpturen entwendet, darf – so bizarr das in manchen Fällen auch klingen mag – ein gewisses „Liebes-Interesse“ am Gegenstand selbst unterstellt werden. (Anm. 1)
Klein, braun, augenlos – Ist der Mensch, was er stiehlt?
1981 sind Teile des Gebisses von George Washington aus dem Smithsonian National Museum of American History in Washington, D. C. gestohlen worden. 2015 raubten Unbekannte auf dem Friedhof Stahnsdorf bei Berlin den Schädel des Regisseurs Friedrich Wilhelm Murnau. Beide Fälle wurden nie aufgeklärt und die Beute ist bis heute verschwunden. Ob es sich um einen glühenden Verehrer von US-Präsidenten bzw. um einen fanatischen Fan des frühen Horrorfilms handelt, bleibt offen und auch die Motive lassen rätseln. Ist es schlichtes Habenwollen von Seltenem oder Einzigartigem? Oder setzen die Täter auf eine Art von Analogiezauber? Geradezu gruselig die Vorstellung, dass die Diebe die entwendeten Körperteile pulverisieren und einnehmen, damit – ganz im Sinne des magischen Kannibalismus – Eigenschaften des „Opfers“ auf den Esser übergehen.
Und wie passt Anophtalmus hitleri da hinein? Vor 18 Jahren gab es etliche Fälle, bei denen sog. Hitlerkäfer gestohlen wurden, auch aus Museen und musealen Sammlungen. Konkret betroffen war zum Beispiel die Zoologische Staatssammlung München (ZSM), die mit fast 22 Millionen Objekten eine der größten naturkundlichen Forschungssammlungen der Welt ist. Dort seien vor dem Jahr 2006 „fast alle Exemplare gestohlen worden, auf Börsen würden Preise von 1.000 Euro und mehr gezahlt. Vor der Ausrottung stehe der Käfer aber nicht. Für die Wissenschaft sei der recht gewöhnliche Käfer zudem nicht von hohem Interesse.“ (Anm. 2)
Fast 20 Jahre her und nicht vom Aussterben betroffen. Das ist doch heute keine Meldung wert, oder? Doch, denn die Diebeswelle von damals könnte ein Revival erfahren. Aufgrund des ungewöhnlichen Namens geriet die Benennung des Anophtalmus hitleri mehrfach in die Diskussion. Im Juli 2024 hat der International Code of Zoological Nomenclature (ICZN) endgültig mitgeteilt, dass der Käfer mit dem umstrittenen Namen nicht umbenannt wird, denn die Regeln „lassen Namensänderungen aus ethischen Gründen nachträglich nicht zu. Hunderttausende wissenschaftliche Namen stünden ansonsten auf der Kippe, was für Verwirrung sorgen könnte.“ (Anm. 3) Da die Frage der Benennung damit entschieden sein dürfte, ist nicht auszuschließen, dass erneut Neonazis oder Sammler von Nazi-Memorabilien auf Beutezug gehen. „Der kleine Braune wurde in den dreißiger Jahren entdeckt. Er lebt in Höhlen in Slowenien. Der Forscher Oscar Scheibel, ein glühender Anhänger des Deutschen Reichs, benannte den Käfer damals nach seinem Idol. Aus Berlin soll er dafür sogar ein Dankesschreiben erhalten haben.“ (Anm. 4)
Gelegenheit macht Diebe
Museen mit naturkundlichen Beständen sollten folglich ein waches Auge auf die Sicherheit ihrer Objekte haben und zum Beispiel bei mündlichen oder telefonischen Voranfragen Interessierter – analog zum Vorgehen beim Diebstahl der Nashornhörner – hellhörig werden. Bei einem möglichen erneuten Run auf die Tiere sollte es den Tätern zumindest nicht attraktiver erscheinen, sich in einem unserer Museen zu bedienen als in eine dunkle slowenische Höhle hinabzusteigen.
Berthold Schmitt, Herausgeber der Fachzeitschrift KulturBetrieb
Anm. 1: Vgl. Berthold Schmitt, Seltene russische Literatur aus europäischen Bibliotheken gestohlen, in vorliegender Ausgabe von KulturBetrieb
Anm. 2: Hitler lebt in einer Höhle in Slowenien, in: Frankfurter Allgemeine, 17.08.2006; Quelle: https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/umwelt/insekten-hitler-lebt-in-einer-hoehle-in-slowenien-1358470.html ; Abfrage: 18.07.2024
Anm. 3: Hitler-Käfer behält umstrittenen Namen, in: mdr Wissen; 16.05.2024; Quelle: https://www.mdr.de/wissen/naturwissenschaften-technik/hitler-kaefer-name-bleibt-adolf-hitler-anophthalmus-hitleri-100.html ; Abfrage: 18.07.2024
Anm. 4: Hitler lebt in einer Höhle in Slowenien, a.a.O.
Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb zwei 2024, S. 85.