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„(Schein-)Selbstständige“ – Schreckgespenster oder gute Geister?

Ein Aufruf zur aktiven Problemlösung des Bundesverbands freiberuflicher Kulturwissenschaftler e.V.

Gespenster gehen um in deutschen Museen – schwer fassbare, lichtscheue Wesen: Die „Schein-Selbständigen“! Sie spuken durch Ausstellungen, Depots und museumspädagogische Werkstätten. Dokumentierte Sichtungen sind selten; meist wird nur hinter vorgehaltener Hand über sie gesprochen. Es gibt Andeutungen und Gerüchte, aber nur wenige, gesicherte Erkenntnisse – und doch verbreiten sie Angst und Schrecken: Museumsträger befürchten Sozialabgaben für diese unheimlichen Mitarbeiter zahlen zu müssen, und den Scheinselbstständigen selbst sitzt die Angst im Nacken, aus ihrer vertrauten Umgebung verbannt zu werden. Mangelnde Aufklärung und fehlendes Wissen schüren irrationale Ängste, die unter Umständen so manche engagierte Kulturarbeiter*in ins Unglück stürzen können.
Es gilt also, Licht ins Dunkel zu bringen und zunächst festzuhalten: „Scheinselbstständige“ gibt es nicht. Es gibt nur Menschen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten, indem sie entweder einer abhängigen Beschäftigung nachgehen oder aber selbstständige (Dienst-)Leistungen erbringen. Allein die gelebte Arbeitspraxis entscheidet darüber, welches Arbeitsverhältnis im jeweiligen Fall vorliegt. Ob dabei die fälligen Sozialabgaben entrichtet wurden, prüft seit 1997 die Deutsche Rentenversicherung (DRV). Sie erwarb sich während der letzten Jahre in den Museen den Ruf eines „Geisterjägers“, der gezielt „Scheinselbstständigen“ nachjagt und im Erfolgsfall immense Summen fordert. Die Wahrheit ist weit weniger dramatisch. Die DRV rekonstruiert im Zuge turnusmäßiger Prüfungen nüchtern die Umstände, unter denen die betreffenden Arbeitsleistungen erbracht wurden, um sie dann angemessen bewerten zu können. Erkennt sie in der Bearbeitungsweise überwiegend Merkmale einer abhängigen Beschäftigung, fordert sie die fälligen Sozialabgaben bis zu vier Jahren rückwirkend vom Arbeitgeber ein. Die AuftragnehmerInnen können dagegen nicht in Regress genommen werden, ihnen droht allerdings nicht selten der Verlust der bisherigen Arbeitsstelle.

Selbstständige müssen selbstständig arbeiten

Die Gefahr solcher Nachzahlungen steigt seit Jahren, weil Museen immer häufiger Selbstständige beschäftigen – auch, um mit deren Hilfe zu geringe personelle Ressourcen zu kompensieren. Mittlerweile arbeiten externe Mitarbeiter in allen musealen Bereichen, von der Ausstellungskonzeption über die Inventarisierung bis hin zur Vermittlungsarbeit. Sie sind damit tief in innerbetriebliche Bereiche der Häuser vorgedrungen. Grundsätzlich ist dagegen auch nichts einzuwenden, denn es ist auch dort möglich, Aufgabenbereiche in Form selbstständiger Dienstleistungen zu bearbeiten. Allerdings gilt es darauf zu achten, dass die Durchführung auch tatsächlich ein selbstständiges Handeln der AuftragnehmerInnen erkennen lässt. Wird die/der selbstständige MitarbeiterIn hingegen analog zum festangestellten Museumspersonal verplant und eingesetzt, ist sie/er an direkte Weisungen der Museumsleitung gebunden oder von außen nicht mehr von festen MitarbeiterInnen zu unterscheiden, dann besteht höchste Gefahr, dass auch ihre/seine Tätigkeit als abhängig und damit sozialversicherungspflichtig eingestuft wird. Auch vertragliche Formulierungen, die eine Selbstständigkeit unterstellen, helfen dann nicht. Es zählt nur die tatsächliche Praxis.

Zusammenarbeit auf Augenhöhe

Die Lösung des Problems ist simpel. Museen – aber längst auch andere Kultureinrichtungen mit ähnlichen Problemlagen – und ihre selbstständigen MitarbeiterInnen müssen ein neues Verhältnis zueinander entwickeln. Sie müssen die Eigenheiten und Bedürfnisse – egal ob ökonomisch, rechtlich und arbeitsorganisatorisch – ihres Gegenübers kennen und akzeptieren. Künftig werden sie gezwungen sein, auf Augenhöhe miteinander zu verhandeln. Dazu müssen sich Selbstständige verstärkt als UnternehmerInnen begreifen; sie müssen eigenständige Kalkulationen und Angebote entwickeln, sie müssen in Arbeitsmaterialien, ihren Arbeitsplatz und in Werbung investieren und sie müssen unternehmerische Risiken eingehen. Die AuftraggeberInnen wiederum müssen sich darauf einstellen, unabhängige Ideen von außen zuzulassen; sie müssen Strukturen schaffen, die es erlauben, solche neuen Angebote im Museumsbetrieb zu verorten, sie müssen neue Formen der Qualitätssicherung finden und die Entlohnung der Selbstständigen auch deren Status anpassen.

Neue Chancen durch eine neue Partnerschaft

Die von der DRV mit Nachdruck vertretene Feststellung, dass Selbstständige kein blasser Abglanz festangestellter MitarbeiterInnen oder ein geisterhafter Ersatz für nicht bewilligtes Personal sind, sondern stattdessen als eigenständige Spezies unter den MuseumsmitarbeiterInnen zu gelten haben, sorgt derzeit vielerorts für sanfte Panik. Dafür besteht kein Anlass: es stecken in dieser Neujustierung der Verhältnisse weitaus mehr Chancen als Risiken. Warum sollte hier nicht die Basis für neue Verhandlungen über Museums- und Ausstellungsbudgets liegen? Warum sollten professionelle selbstständige AnbieterInnen nicht neue Ideen in die Museen tragen können? Warum sollte ein Nachdenken über die eigenen Qualitätsstandards nicht innovative Formen der Evaluation hervorbringen? Sicher ist, dass die Herstellung rechtskonformer Arbeitsverhältnisse mit einigen Anstrengungen auf beiden Seiten verbunden sein wird. Doch nur durch ein offenes und beherztes Anpacken lassen sich die Verhältnisse gestalten und zum Positiven wenden – dann werden aus Schreckgespenstern gute Geister!

Bundesverband freiberuflicher Kulturwissenschaftler e.V.
Thomas Hammacher, Vorsitzender
Dr. Jochen Ramming, Stellvertretender Vorsitzender

Geschäftsstelle: Melanchthonstraße 13, 10557 Berlin
Tel 0049 / 30 / 343984-40
service(at)b-f-k.de
www.b-f-k.de

Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in KulturBetrieb, zwei 2017, S. 96 f.

Zum Magazin: http://www.kulturbetrieb-magazin.de/fileadmin/user_upload/kulturbetrieb-magazin/magazin/KulturBetrieb-2017-Ausgabe-2-November.pdf

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