Wenn öffentliche Kultur und Kommerz aufeinander treffen, wird es rasch grundsätzlich: Wie weit können bzw. dürfen kulturelle Einrichtungen gehen, ohne in finanzielle oder ideelle Abhängigkeit von der privaten Wirtschaft zu geraten? Ein Extrem war 2002 die Absicht des Smithsonian-Instituts, Washington / USA, private Spender gegen Zahlung bestimmter Summen inhaltlich bei Ausstellungen mitwirken zu lassen. Inzwischen gibt es vielfältige Möglichkeiten der Zusammenarbeit, darunter Mäzenatentum, Sponsoring, Patenschaften oder Public Private Partnership (PPP). Einen speziellen Weg geht „Echocast“, ein Schulungsprogramm für das Service- und Aufsichtspersonal in Museen.
Club der „Tom-Sawyer-Anstreicher“
Ein bizarres Szenario: Ein privater Unternehmer verpflichtet ein Museum, eine Bibliothek oder ein Archiv dazu, auf absehbare Zeit ausschließlich Vitrinen, Lampen oder Möbel des eigenen Unternehmens zu kaufen, zu benutzen und außerdem bei anderen Kultureinrichtungen aktiv für diese Produkte zu werben. Bei unzureichender Erfüllung der schriftlich vereinbarten Auflagen kann der Unternehmer die kostenpflichtige Mitgliedschaft in dem exklusiven Zirkel aberkennen. Das erinnert an Tom Sawyers listiges und einträgliches Geschäft: „Tante Pollys Lattenzaun darf nur streichen, wer dafür zahlt!“ (Anm. 1) Undenkbar? Ein Unternehmen handelt nach genau diesem Prinzip. Im deutschsprachigen Raum gibt es eine Reihe von Schulungen für mehr Besucherorientierung in Museen. Eine davon ist Echocast, das von der Beratungsgesellschaft Komunariko vertreten, entwickelt, organisiert und zertifiziert wird. Das Programm, angeboten als dreitägiges Basis- bzw. achttägiges Aufbautraining, zielt u.a. darauf, einen europaweiten Qualitätsstandard im Besucherservice zu etablieren. Die Folge von Lehrgängen, Zertifizierungen und Rezertifizierungen wird als „organisationaler Lernprozess“ bezeichnet und funktioniert als geschlossenes System. (Anm. 2) Museen sollten die angebotenen Schulungen für eigene oder externe Servicekräfte sehr sorgfältig prüfen; sowohl hinsichtlich Sinnhaftigkeit einer `Standardisierung´ als auch mit Blick auf Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, Relevanz und Kompetenz sowie auf Vereinbarkeit mit geltendem Recht. (Anm. 3) Aufschluss gibt u.a. das „Echocast Memorandum“:
„Mit der Unterzeichnung stimmt die Organisation [das Museum; Red.] zu,
1. MitarbeiterInnen im Besucherservice, die länger als 3 Monate beschäftigt sind, innerhalb der ersten 5 Jahre zu zertifizieren und regelmäßig zu rezertifizieren.
2. ECHOCAST-Zertifikate als Qualitäts-Standard bei Stellenausschreibungen zu verlangen und bei der Anstellung Personen mit ECHOCAST-Zertifikat den Vorzug zu geben.
3. ECHOCAST-Zertifikate als Qualitäts-Standard in Ausschreibungen für Dienstleistungsunternehmen zu integrieren oder einen vergleichbaren Standard zu verlangen.
4. ECHOCAST in Marketing Aktivitäten zu verbreiten und den Wert von ECHOCAST aktiv zu bewerben.
5. ECHOCAST als Standard in wichtigen Dokumenten, z.B. Dienstanweisungen, Hausordnung usw. zu implementieren.
6. An ECHONET-Netzwerk-Meetings teilzunehmen und dabei den Standard weiterzuentwickeln.
Die anerkennenden Organisationen werden Mitglieder von ECHONET und sind einverstanden, innerhalb von fünf Jahren die Punkte 1 bis 6 umzusetzen. Sie akzeptieren gegebenenfalls eine Überprüfung durch ECHONET. Wenn die Punkte 1-6 nicht umgesetzt sind, kann die Verwendung von ECHOCAST als Qualitätsstandard aberkannt werden.“ Die Gebühr für die Mitgliedschaft in diesem Kreis kann bis zu 750 Euro pro Jahr betragen – zuzüglich der Kosten für die Schulungen. (Anm. 4)
Wes Lied ich sing, des Brot ich zahl … oder: Die Integrität öffentlicher Einrichtungen ist ein hohes Gut
Das Echocast-Memorandum verpflichtet öffentliche Museen u.a. dazu, ein bestimmtes Produkt bei Ausschreibung und Vergabe zu bevorzugen und es von Dienstleistern aus dem Wach- und Sicherheitsgewerbe zu verlangen. Das kann weitreichende Folgen haben: Die Chancen anderer Anbieter von Schulungsprogrammen könnten spürbar beeinträchtigt sein. Dienstleister, die eigene Programme oder Partner haben, könnten von Ausschreibungen ausgeschlossen bleiben. Das Reglement wirft Fragen auf: Darf eine öffentliche Einrichtung sich bei personellen Dienstleistungen auf (mindestens) fünf Jahre festlegen bzw. sich vertraglich in ein geschlossenes System binden? Dürfen öffentliche Einrichtungen Produkte eines privaten Unternehmens aktiv bekannt machen und bewerben? Verträgt sich dieses Reglement mit geltendem Recht sowie mit Verordnungen und Richtlinien für Ausschreibung und Vergabe bzw. Wettbewerb und Neutralität?
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
„Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.“ (Anm. 5)
Europäischer Sozialfonds für Deutschland (ESF)
„Ziel des Vergaberechts ist es also zum einen, dass das beste, nämlich das wirtschaftlichste Angebot gefunden wird. Zum andern aber stellt es für die Anbieterinnen und Anbieter den Wettbewerb untereinander sicher. Das erfolgt durch die vergaberechtlichen Grundsätze der Transparenz (…), des fairen und allgemeinen Wettbewerbs (…), der Gleichbehandlung aller Bewerberinnen und Bewerber oder Bieterinnen und Bieter (Nichtdiskriminierung, Neutralität) und der Objektivität der Entscheidung.“ (Anm. 6)
Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL)
§ 2 Grundsätze: „(1) Aufträge werden in der Regel im Wettbewerb und im Wege transparenter Vergabeverfahren an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige (geeignete) Unternehmen zu angemessenen Preisen vergeben. Dabei darf kein Unternehmen diskriminiert werden.“ § 7 Leistungsbeschreibung: „(4) Bezeichnungen für bestimmte Erzeugnisse oder Verfahren (z. B. Markennamen) dürfen ausnahmsweise, jedoch nur mit dem Zusatz „oder gleichwertiger Art“, verwendet werden, wenn eine hinreichend genaue Beschreibung durch verkehrsübliche Bezeichnungen nicht möglich ist. Der Zusatz „oder gleichwertiger Art“ kann entfallen, wenn ein sachlicher Grund die Produktvorgabe rechtfertigt. Ein solcher Grund liegt dann vor, wenn die Auftraggeber Erzeugnisse oder Verfahren mit unterschiedlichen Merkmalen zu bereits bei ihnen vorhandenen Erzeugnissen oder Verfahren beschaffen müssten und dies mit unverhältnismäßig hohem finanziellen Aufwand oder unverhältnismäßigen Schwierigkeiten bei Integration, Gebrauch, Betrieb oder Wartung verbunden wäre. Die Gründe sind zu dokumentieren.“ (Anm. 7)
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)
„(1) Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig, wenn sie geeignet sind, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen.“ (Anm. 8)
Fazit
Die Auswahl geltender Positionen kann und will eine gründliche Prüfung des oben beschriebenen Modells nicht ersetzen. Öffentliche Museen, Ausstellungshäuer u.a. Kulturbetriebe sollten generell vor einer Beauftragung von Schulungen für das Service- und Aufsichtspersonal die Vereinbarungen sorgfältig auf mögliche Konflikte mit den für das öffentliche Auftragswesen verbindlichen Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit sowie Neutralität prüfen. Abweichungen von den Regelungen und Vorschriften sollten gut begründet sein, auch mit Blick auf die Tätigkeit der Rechnungshöfe bzw. Rechnungsprüfungsämter. Schließlich sei an ein Grundlagendokument der professionellen Arbeit von Museen und Museumsfachleuten erinnert: „Das gesamte Ethos des Dokuments bleibt das des Dienstes an der Gesellschaft, des Gemeinwesens, der Öffentlichkeit.“ (Anm. 9)
Dr. Berthold Schmitt, QEM - Qualifizierte Einbindung von Museumspersonal
www.aufsicht-im-museum.de
QEM - Qualifizierte Einbindung von Museumspersonal ist Förderer der Auszeichnung "Riegel - KulturBewahren" (www.riegel-preis-kulturbewahren.de)
Anm. 1: Vgl. Mark Twain, Die Abenteuer von Tom Sawyer, Kap. 2: Der glorreiche Anstreicher, Frankfurt / Main 1998
Anm. 2: Echocast (Akronym: European Cultural Heritage Organizations Customer Awareness Staff Training) wurde im Rahmen des EU-Projektes ECHONET aus öffentlichen Mitteln entwickelt. Während die Schloß Schönbrunn Kultur- und Betriebsgesellschaft mbH (Wien) im Besitz der Gemeinschaftsmarke ist, wurden die Rechte zur Nutzung der Marke übertragen an die privatwirtschaftliche Komunariko Gesellschaft für persönliche und berufliche Fortbildung, Organisationsberatung und Unternehmensberatung; Quelle: www.echocast.komunariko.at/museen-und-kulturelle-einrichtungen/wie-werde-ich-mitglied/ bzw. www.echocast.komunariko.at/zertifizierung/; Abfrage: 19.08.2014)
Anm. 3: Zur Diskussion von Standards im Museumswesen vgl. u.a. Standards für Museen; hrsg. von Deutscher Museumsbund e.V. gemeinsam mit ICOM Deutschland, Kassel / Berlin 2006. Zu zentralen Kriterien solcher Angebote vgl. u.a. Berthold Schmitt, Schulungen für Service- und Aufsichtspersonal im Museum, in: KulturBetrieb, zwei 2014, S. 76 f; ders., Schulungen für Besucherservice sind wichtig, aber nicht um jeden Preis!, in: KulturBetrieb, drei 2014, S. 68 ff sowie ders., Im Notfall richtig handeln: Erste Hilfe in Kulturbetrieben, in: vorliegender Ausgabe dieses Magazins.
Anm. 4: Vgl. ECHOCAST Memorandum (Memorandum of Understanding) (Quelle: echocast.komunariko.at/wp-content/uploads/2012/10/ECHOCAST_MOU.pdf; Abfrage: 19.08.2014)
Anm. 5: GWB, Teil 1, Abschnitt 1, Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, Beschlüsse und abgestimmte Verhaltensweisen, § 1 Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen, Ausgabe 2013 (Quelle: www.gesetze-im-internet.de/gwb/BJNR252110998.html #BJNR252110998BJNG000103360; Abfrage: 18.08.2014)
Anm. 6: ESF. Europäischer Sozialfonds für Deutschland. Leitfaden für die Vergabe von Aufträgen durch Zuwendungsempfänger bei Förderungen im Rahmen des Operationellen Programms des Bundes für den Europäischen Sozialfonds, Förderperiode 2007-2013, S. 3 f (Quelle: www.esf.de/portal/generator/7064/property=data/Leitfaden__Vergaberecht.pdf; Abfrage; 19.08.2014)
Anm. 7: VOL, Teil A, Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen, Abschnitt 1: Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen, Ausgabe 2009 (Quelle: www.bmwi.de; Abfrage: 18.08.2014)
Anm. 8: UWG, § 3 Verbot unlauterer geschäftlicher Handlungen, Fassung 2010 (Quelle: www.gesetze-im-internet.de/uwg_2004/BJNR141400004.html#BJNR141400004BJNG000101140; Abfrage: 18.08.2014)
Anm. 9: Vgl. Ethische Richtlinien von ICOM; hrsg. von ICOM – Internationaler Museumsrat: ICOM Schweiz, ICOM Deutschland, ICOM Österreich, zweite überarbeitete Auflage, 2006, S. 6 sowie Kap. 7: Museen halten sich an Recht und Gesetz, S. 24 ff.
Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in "KulturBetrieb. Magazin für innovative und wirtschaftliche Lösungen in Museen, Bibliotheken und Archiven", vier 2014, S. 72-74.