Das vom US-amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg formulierte Konzept des sog. Dritten Ortes (The Great Good Place) weist acht Charakteristika auf: Der Dritte Ort soll sich auf neutralem Boden befinden, grundsätzlich allen Bevölkerungsschichten offen stehen, zur Kommunikation einladen, leicht zu erreichen sein und über Stammgäste verfügen. Zudem soll die Optik des Dritten Ortes nicht über seiner Funktion stehen, es soll eine spielerische Stimmung in ihm herrschen, sodass er als zweite Heimat bzw. Zweitfamilie dienen kann. Inzwischen kennt das 2001 geprägte stadtsoziologische Konzept des Dritten Ortes zahllose Varianten. Darunter auch Kulturbetriebe, die sich zusätzlich zu ihren Kernaufgaben als offene Begegnungs- und Verhandlungsräume des täglichen Lebens verstehen.
Attraktive Locations …
Einladende Wegeführung und architektonische Gestaltung können helfen, die Hemmschwelle zum Betreten eines Dritten Ortes zu senken. So sind z.B. Vorhöfe und Eingangsbereiche von Museen und Bibliotheken im französischen Amiens mit Grünflächen, Wasserspielen und Bänken für jedermann ausgestattet. (Anm. 1) Um den Reiz zum Betreten der Kultureinrichtung und die Aufenthaltsqualität darin zu erhöhen, können schon Sitzgelegenheiten, kostenfreies WLAN, WC-Anlagen oder kostengünstige Getränke genügen. So hat z.B. das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe im Zentrum des Gebäudes den „Freiraum“ samt Sitzkissen und Teeküche eingerichtet und als konsumfreien Ort für Austausch und Debatte der Stadtgesellschaft definiert.
… oder nützliche Angebote
Eine noch vergleichsweise junge Variante des Dritten Ortes ist der Verleih von Gegenständen des täglichen Gebrauchs. Vorreiter sind hierzulande erneut die Bibliotheken, die es seit Jahren nicht mehr nur bei der Ausgabe und Rücknahme von Büchern und anderen Medien belassen, sondern zunehmend zu Treffpunkten ohne Konsumzwang geworden sind. Neuestes Angebot ist die sog. „Bibliothek der Dinge“, wo Werkzeuge, Sportgeräte, Musikinstrumente und viele andere Dinge des Alltags vorgehalten und kostenlos verliehen werden.
Eine der teilnehmenden Einrichtungen sind die Städtischen Bibliotheken Dresden: „Möchten Sie sich den Sternenhimmel nach Hause holen? Benötigen Sie kurzzeitig einen Akku-Bohrschrauber oder möchten Sie ein Musikinstrument ausprobieren? Die Bibliothek der Dinge stellt Ihnen eine Sammlung von Gegenständen zur Ausleihe zur Verfügung, die Sie nicht ständig brauchen, die vielleicht in der Anschaffung zu teuer sind oder die Sie einfach gern einmal testen wollen. (…) Sie können aus den vier Bereichen Kreatives, Sport und Spiel, Technik sowie Musik auswählen. So stehen z.B. Nähmaschinen, verschiedene Strick- und Häkelsets und Motivstanzer für Ihre kreativen Hobbys bereit. Mit dem Boule-Set, der Slackline oder dem Schwungtuch können Sie in der Freizeit aktiv sein, Partys gelingen mit Diskokugel, Cajon und Percussion-Set. Endlich die Dias digitalisieren oder mit der Polaroid-Kamera der Nostalgie frönen, mit dem Mikroskop oder Teleskop neue Welten entdecken – die Bibliothek der Dinge macht vieles möglich.“ (Anm. 2)
Ressourcen gemeinsam nutzen
Die Bibliothek der Dinge ist eine Variante der sog. Sharing Economy, die Rachel Botsman so definiert: „Die Sharing Economy ist eine Wirtschaft, die auf dezentralen Netzwerken vernetzter Einzelpersonen und Gemeinschaften anstelle zentraler Institutionen aufbaut und damit umgestaltet, wie wir produzieren, konsumieren, finanzieren und lernen können.“ (Anm. 3) Eine der ersten Einrichtungen dieser Art sind Leih-Läden wie die Ludotheken, in denen man bereits in den 1970er Jahren Spielzeug entleihen konnte. Da Bibliotheken von jeher für die Praxis von Teilen und Tauschen stehen, sind sie prädestiniert solche Modelle der Nachhaltigkeit, Innovativität und des sozialen Beitrags zu realisieren. Um den Wartungs- und Betreuungsaufwand gering zu halten, werden Anläufe, Leihfristen, Menge der zu entleihenden Gegenstände und Altersbeschränkungen für das Entleihen klar definiert. Und falls etwas kaputt geht: „Alle Beschädigungen sind sofort beim Personal zu melden. Jeder Schadensfall wird individuell geklärt. Sie haften ggf. mit identischem Ersatz.“ (Anm. 4)
Mehr als 70 Einrichtungen in Deutschland und Österreich folgen bereits dem innovativen Trend der „Bibliothek der Dinge“. (Anm. 5)
Dr. Berthold Schmitt, Herausgeber der Fachzeitschrift KulturBetrieb.
Anm. 1: Vgl. Berthold Schmitt, „Grüne Wiese“ in denkmalgeschützter Architektur. In Amiens hält die Natur Einzug in Museen und Bibliotheken, in: KulturBetrieb, zwei 2022, S. 60 f.
Anm. 2: Städtische Bibliotheken Dresden: Bibliothek der Dinge. Unser Ausleihangebot umfasst auch Gegenstände und Musikinstrumente!; Quelle: www.bibo-dresden.de/de/bibliothek-der-dinge.php; Abfrage: 12.06.2023
Anm. 3: Sharing Economy, in: Wikipedia; Abfrage: 12.06.2023
Anm. 4: Städtische Bibliotheken Dresden, a.a.O.
Anm. 5: Eine Basis für den Austausch zu Erfahrungen, Ideen und Best Practise Beispiele bietet OCLC (Online Computer Library Center): connect.oclc.org/bib-der-dinge; Abfrage: 12.06.2023
Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb, zwei 2023, S. 78.