„Der Museumswärter ist im Museum der meistgefragte Mann!“
Martin Warnke
Meist geht es in Archiven, Bibliotheken, Museen und anderen kulturbewahrenden Einrichtungen friedlich zu. Was aber, wenn die Ordnung gestört wird? Brand, Diebstahl, Unfall oder Vandalismus sind spektakuläre, insgesamt jedoch eher seltene Ereignisse. Häufiger, lästiger und zermürbender sind aber jene eigentlich kleinen Anfechtungen des Alltags, die sich – wenn nicht frühzeitig und kompetent gemeistert – zu echten Konflikten aufschaukeln können. Wie souverän gehen die Service- und Aufsichtskräfte mit dem „Sand im Getriebe“ um? Wissen alle Beteiligten, was zu tun ist? Ist die sog. Visitenkarte des Hauses tatsächlich in der Lage, ihre Aufgaben, Pflichten und Rechte umfänglich wahrzunehmen und effizient durchzusetzen? In meinen QEM-Kursen sehe ich, dass genau diese grundlegenden Kompetenzen erstaunlich selten gegeben sind. Mit vorliegender Ausgabe von KulturBetrieb beginnt die neue Themenreihe »Es liegt nicht immer am Personal!«
Sicherheitstechnik sollte nicht zu Verunsicherung führen!
Museen sammeln. Im Laufe der Zeit werden aber manche Gebäude selbst zu einem Sammelsurium technischer Einrichtungen, die kaum noch jemand überblickt. Ein Klassiker ist das Schlüsselunwesen. Ob es überhaupt eine Einrichtung gibt, in der sich nicht ein Wust von Schlüsseln angesammelt hat, den längst niemand mehr durchblickt?
Geradezu fahrlässig aber ging es zum Beispiel in jenem altehrwürdigen Landesmuseum zu, das im Laufe von Jahrzehnten verschiedene Alarm- und Feuermeldesysteme erhalten hat, ohne die alten Anlagen abzubauen. Das hätte zusätzlich baulichen Aufwand bedeutet, mehr Geld gekostet und außerdem: Die Service- und Aufsichtskräfte wissen ja Bescheid! Das funktionierte spätestens dann nicht mehr, als die „Alten“ das Haus verlassen hatten. Da nutzte es auch nicht mehr, dass die parallel existierenden Alarmsysteme unterschiedlich gestaltet und eingefärbt sind. Selbst der zur Schulung hinzugerufene Haustechniker war nicht in der Lage zu sagen, welcher Alarmknopf aktiv und wohin er aufgeschaltet ist. Da stößt Technik nicht nur an ihre Grenzen, sondern sie kann sogar rasches und effizientes Handeln behindern!
Alarm auslösen. Wie geht das und wer darf das überhaupt?
Die hier geschilderte Situation, die ich in einem namhaften Landesmuseum vorgefunden habe, ist (hoffentlich) die Ausnahme. Aber selbst, wenn die Alarm- und Meldetechnik auf dem neuesten Stand ist: Wissen alle Mitarbeiter/innen aus Service und Aufsicht, was eine Alarmkette ist, wie sie funktioniert und wer welche Aufgabe dabei zu erledigen hat?
• Wie wird Alarm ausgelöst? Mittels Zuruf an Kollegen, Trillerpfeife, Haustelefon, Mobiltelefon, Walkie-Talkie oder via Alarmknopf? Ist die notwendige Technik vorhanden und sind alle in der Lage, sie richtig zu bedienen? Funktionieren Funkgeräte trotz dicker Wände und großer Distanzen überall zuverlässig oder nur an bestimmten Orten?
• Wer wird eigentlich alarmiert? Wohin ist der Alarm aufgeschaltet? Zu Verwaltung und / oder Leitung? Zur Wache im eigenen Haus, die ihrerseits eingreift oder die Polizei informiert?
• Wie geht es nach Auslösen des Alarms weiter? Wie rasch wird auf den Hilferuf reagiert? Dauert es 20 Minuten bis die Einsatzkräfte eintreffen oder nur fünf? Wie sollen Service und Aufsicht sich während dieser Zeit verhalten?
• Wer löst Alarm aus? Darf die „kleine“ Aufsicht das selbstständig tun oder läuft das über die Oberaufsicht bzw. die Wache? Wie verhält es sich am Wochenende, wenn Leitung und Verwaltung des Hauses nicht besetzt sind?
• Wer trägt mögliche Kosten? Was, wenn es ein Falsch- oder Fehlalarm ist, bei dem Feuerwehr, Rettungsdienst oder Polizei zu einem unnötigen Einsatz ausrücken? Wer zahlt dafür? Die Aufsicht, die den Alarm ausgelöst hat?
Über solchen „Kleinkram“ schüttelt das Management eines Kulturbetriebes vermutlich den Kopf, denn dort weiß man, wie es sich technisch, organisatorisch und rechtlich im Alarmfalle verhält. Die entscheidende Frage aber lautet: Wissen auch die nach 3 oder 4 TVöD bzw. TV-L bezahlten Kolleginnen und Kollegen vom Besucherservice, was „die da oben“ wissen?
Fazit meiner QEM-Schulungen: Unter Service- und Aufsichtskräften hat sich vielfach ein krudes Durcheinander von Wissen, Halbwissen, Gerüchten und Missverständnissen festgesetzt. Diese Beobachtung bezüglich des oftmals mangelhaften Kenntnisstandes gilt übrigens unabhängig von Größe und Trägerschaft eines Museums und sie lässt sich auch nicht daran festmachen, ob ein Haus eigenes Personal beschäftigt oder bei Service und Aufsicht auf einen externen Dienstleister setzt.
Wissenstransfer: Eine Ewigkeitsaufgabe!
Den sog. Flurfunk wird es wohl immer geben und mitunter ist er auch gewünscht, um zum Beispiel unter Kollegen den Austausch des Erfahrungswissens zu fördern. Die Leitung eines Hauses sollte sich allerdings nicht darauf verlassen, das die dabei übermittelten Informationen stets korrekt und nützlich für die Bewältigung der anstehenden Aufgaben sind. Wie aber kann man den „Stille-Post-Effekt“ eindämmen und das „Lernen vom Kollegen“ verbessern? Indem man mit den betreffenden Zielgruppen systematisch, lösungsorientiert und kontinuierlich kommuniziert. Das jedoch zwingend schriftlich, mündlich und – nicht zu unterschätzen – in angemessener Weise. Was genau heißt das? Externe und interne Kommunikation eines Museums sollte mindestens drei Säulen haben:
• Leitbild definiert Selbstverständnis, Ziele, Aufgaben und Strukturen einer Einrichtung. Es gehört zu den Grundlagen des Museumskonzeptes und bietet eine Art Kompass für die innere und äußere Kommunikation. (Anm. 1)
• Haus- bzw. Besucherordnung (HO/BO) informiert über das Verhalten und die Pflichten innerhalb eines Gebäudes. In einem Museum sagen HO bzw. BO den Gästen, was von ihnen erwartet wird. Haus- bzw. Besucherordnung sind in öffentlichen Einrichtungen öffentlich bekanntzumachen (zum Beispiel Aushang oder Einsichtnahme); obwohl sie keine Bestimmungen enthalten dürfen, die den allgemein gültigen Gesetzen widersprechen, kommt dies auch in Museen erstaunlich häufig vor. (Anm. 2)
• Dienstanweisung (DA) ist in Organisationen eine rechtsverbindliche Weisung vom Arbeitgeber oder Dienstherrn an die Mitarbeiter zwecks konkreter Durchführung der Arbeitsinhalte.
Schwachstelle Dienstanweisung?
Leitbild und Haus- bzw. Besucherordnung sind in hiesigen Museen und Ausstellungshäusern inzwischen weit verbreitet. Für Dienstanweisungen gilt dies jedoch nicht im gleichen Maße. In Vorbereitung meiner QEM-Schulungen bekomme ich erstaunlich häufig die Auskunft, dass eine DA aktuell nicht vorläge, aber in Vorbereitung sei. Vielfach stellt man mir Dienstanweisungen zur Verfügung, die nicht nur arg veraltet, lückenhaft und unstrukturiert, sondern nicht selten missverständlich oder sogar entgegen gesetzlicher Bestimmungen formuliert sind. Auf Nachfrage heißt es dann meist: Ja, wissen wir, aber wir kommen nicht dazu, das zu aktualisieren. Dieser „stiefmütterliche“ Umgang mit Dienstanweisung ist mehr als gewagt, denn immerhin stellt dieses Papier so etwas wie die „Bibel“ des Service- und Aufsichtspersonals dar. Sie beschreibt, welche Aufgaben und Pflichten die Kräfte haben und die DA sagt ihnen, was sie den Gästen sagen bzw. wie sie mit ihnen umgehen sollen. Aus baulichen, technischen und organisatorischen Gründen wird in der Regel zwischen einer allgemeinen und einer spezifischen Dienstanweisung unterschieden. In Letzterer finden sich zumeist auch die Regelungen zum Verhalten im Alarmfalle und zur Alarmkette.
Das Erstellen einer DA ist zweifellos mühsam, aber kein Hexenwerk. Wer bereit ist, von anderen Häusern zu lernen, dem fällt es leichter, ein grundlegendes Regelwerk zu übernehmen, das dann auf die ortsspezifischen Gegebenheiten und Bedarfe anzupassen ist. Eine DA sollte die zu erbringenden Aufgaben und Pflichten nicht nur möglichst umfänglich, praxisnah und unmissverständlich beschreiben, sondern die DA benötigt zwingend eine sichere rechtliche Grundlage. Kompliziert kann es zum Beispiel werden, wenn in einem Museum externe Servicekräfte tätig sind. Wer erstellt die Dienstanweisung? Der Auftraggeber (Museum) oder der Auftragnehmer (Dienstleister)? Wer überprüft die Einhaltung der in der Dienstanweisung definierten Tätigkeiten? Wer ist bei Abweichung oder Minderleistung wem gegenüber weisungsbefugt? Hier kann rasch das Feld der Arbeitnehmerüberlassung erreicht sein!
Können alle die Dienstanweisung lesen und verstehen?
Eine schwarz auf weiß dokumentierte Dienstanweisung ist die Grundlage, reicht jedoch nicht aus.
• Es ist zwingend sicherzustellen, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die jeweils aktuelle Fassung der DA und ihre Inhalte genau kennen und verstehen. Zu wissen, dass es sie gibt und wo sie aufbewahrt wird, ist nicht genug.
• Verstehen eigentlich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, was in der DA steht? Sind sie tatsächlich in der Lage, die in der DA theoretisch beschriebenen technischen Einrichtungen (zum Beispiel Feuerlöscher) oder organisatorischen Abläufe (zum Beispiel Alarmkette) in das vorgesehene praktische Handeln zu übersetzen?
• Deutschkenntnisse: Sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überhaupt in der Lage, das in der DA Geschriebene zu lesen und zu verstehen? Seltsamer Gedanke? Man darf nicht vergessen, dass in Deutschland rund 3,5 Millionen Menschen mit einer so genannten Lese-Rechtschreib-Störung leben. In unteren Lohngruppen dürfte die Wahrscheinlichkeit auf Legastheniker zu treffen, eher höher sein. Und: Laut Statistischem Bundesamt sprechen „18% der Personen mit Migrationshintergrund zu Hause ausschließlich eine oder mehrere andere Sprachen als Deutsch.“ (Anm. 3)
Mündliche Überprüfung und Erläuterung muss sein!
Mit Blick auf die in der Dienstanweisung definierten, mitunter anspruchsvollen spezifischen Aufgaben und eingedenk der Frage der Lese- und Sprachkompetenz sollten Dienstanweisungen regelmäßig mündlich erläutert, überprüft und aktualisiert werden: Praxisnah, systematisch und in einer der Zielgruppe entsprechenden Sprache. Hier spielt der Aspekt der sog. Sinnstiftenden Arbeit eine nicht zu unterschätzende Rolle! Bei mündlichen Erläuterungen müssen und sollten nicht stets alle Facetten der DA wiederholt und erörtert werden, sondern der Fokus sollte entweder auf drängenden Themen (aktueller Anlass) liegen oder einem Curriculum folgen, das punktuelle relevante Bereiche erschließt und vertieft, darunter die Alarmkette. Wie so etwas aussehen kann?
• Exklusive Arbeitstreffen für Service- und Aufsichtskräfte. Das hat zwei Gründe: Zum einen trauen sich Angehörige unterer Lohngruppen vielfach nicht, in der „großen“ Runde („Wir sind ein Team!“) ihre Themen offen anzusprechen. Zum anderen ist das Plenum naturgemäß nicht der Ort, um zum Beispiel darüber zu sprechen, was ein sog. Stiller Alarm ist. Das Wissen darum ist für das Haus als Ganzes ein Randthema, kann aber für das Sicherheitsgefühl des Service- und Aufsichtspersonals sehr hohe Bedeutung haben: „Ich bin allein! Wann kommt Hilfe?“
• Konkrete Themen und lösungsorientierte Ansätze: Allgemeinplätze gehören nicht in ein Arbeitstreffen. Das Service- und Aufsichtspersonal wünscht klare und eindeutige Auskünfte und Anweisungen zu praktischen Belangen. Floskeln wie „Ihr seid unsere wichtigsten Mitarbeiter!“ führen zu Verdruss, wenn das Personal den Eindruck gewinnt, nicht optimal zur Ausübung der jeweiligen Tätigkeit ausgebildet und befähigt zu werden. Besser: Definieren, WAS zu tun ist und das WIE exakt und anschaulich erklären! Wo genau stehen die Feuerlöscher und wie sind sie praktisch zu handhaben? Brandschutzlehrgänge bei Feuerwehr, DRK oder TÜV sind ergänzende oder alternative Möglichkeiten.
• Fachleute einbinden: Als besonders effektiv hat sich die Methode erwiesen, hauseigene Fachleute aus Technik, Restaurierung oder Verwaltung in QEM-Schulungen einzubeziehen. Die Experten umreißen ihren jeweiligen Arbeitsbereich und geben den Service- und Aufsichtskräften praxisnahe Hinweise zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben. Dadurch lernen zum einen jene Kräfte einander besser kennen und verstehen, die im Bedarfsfalle miteinander zu tun haben. Darüber hinaus wächst bei Service und Aufsicht das Verständnis für Ziele und Organisation des eigenen Arbeitsplatzes: „Ah, das ist der Ansprechpartner für die Haustechnik, der mir sagen kann, warum Brandschutztüren nicht festgekeilt werden dürfen!“ Oder: „Jetzt endlich weiß ich, warum ich das Sägemehl unterhalb des Gemälderahmens nicht wegputzen darf, sondern umgehend der Restaurierung Bescheid geben muss!“ Und umgekehrt: „Ja, Sie üben das Hausrecht aus und das heißt konkret …“ „Ja, Sie dürfen den Alarmknopf betätigen und müssen die Kosten für einen Falsch- oder Fehlalarm selbstredend nicht aus Ihrer Tasche begleichen!“
• Themen- und zielgruppengerechte Sprache: In etlichen QEM-Schulungen ist zu hören, dass die Service- und Aufsichtskräfte in den großen Runden den Ausführungen der hauseigenen Experten für Marketing, Verwaltung oder Sicherheit nicht folgen können. Zum einen verstehen sie oftmals die verwendeten Fachausdrücke nicht und zum anderen entdecken sie nur selten einen Bezug zu ihrer eigenen Tätigkeit in Service und Aufsicht. Aufmerksamkeit? Fehlanzeige!
• Informieren und informieren lassen: Service- und Aufsichtskräfte sind die Augen und Ohren des Hauses! Arbeitstreffen sollten deshalb auch genutzt werden, um herauszufinden, wie die täglichen Abläufe sind und wo gegebenenfalls „Sand im Getriebe“ steckt: Was beobachtet ihr? An welchen Stellen knirscht es und warum ist das so? Was sagen und wie verhalten sich die Gäste?
• Regelmäßig, systematisch und kompakt: Arbeitstreffen sollten möglichst verpflichtend für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchgeführt werden, wobei bei Fremdkräften auf den Aspekt der Arbeitnehmerüberlassung zu achten ist. Die Treffen sollten mindestens zwei Mal, besser vier Mal pro Jahr stattfinden und pro Treffen zwischen 30 und 45 Minuten dauern. Die Treffen sollten einem Curriculum folgen sowie inhaltlich vor- und nachbereitet werden. Dazu zählt auch ein zeitnahes Feedback zum jeweiligen Sachstand der angesprochenen Themen.
Gutes Service- und Aufsichtspersonal ist keine Glückssache! Engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen nicht nur, WAS zu tun ist, sondern sie verstehen auch das WESHALB und sie beherrschen das WIE. Mängel kann man durch versierte Prüfungen und durch lösungsorientierte Schulungen beheben! Kontinuierliche Einbindung und Qualifizierung hebt nicht nur die Qualität der Leistung, sondern sie vertieft zugleich die Verbundenheit des Personals mit Ihrem Hause.
QEM – Qualifizierte Einbindung von Museumspersonal
Dr. Berthold Schmitt, Trainer von Service- und Aufsichtspersonal in Museen
Wielandstraße 5, 04177 Leipzig
Tel 0049 / 341 / 5296524
mail@schmitt-art.de; www.aufsicht-im-museum.de
Anm. 1: Vgl. Leitfaden zur Erstellung eines Museumskonzeptes, hrsg. vom Deutschen Museumsbund e.V., Berlin 2011
Anm. 2: Vgl. Berthold Schmitt, „Für Garderobe keine Haftung!“ Mit einem einfachen Schild ist es nicht unbedingt getan, in: KulturBetrieb, vier 2015, S. 102 f.
Anm. 3: Zahl der Woche: 80% der Bevölkerung sprechen zu Hause ausschließlich Deutsch, in: Statistische Bundesamt (Destatis), 21.02.2023; Quelle: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2023/PD23_08_p002.html ; Abfrage: 16.07.2024
Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb zwei 2024, S. 48-52.