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»Des Kaisers neue Kleider«

Zertifikate kritisch auf Status, substanziellen Wert und Kosten prüfen!

Die Weiterbildung von Service- und Aufsichtspersonal ist vielen Museen ein wichtiges Anliegen. Bei manchen Programmen ist jedoch Achtsamkeit geboten, z.B. wegen des damit verbundenen organisatorischen und finanziellen Aufwandes. In loser Folge greift KulturBetrieb Aspekte zum Thema auf.

»Ein Königreich für ein Stück Papier!«

In dem zeitlosen Märchen von Hans Christian Andersen glaubt der Herrscher ein Gewand zu besitzen, das unsichtbar ist für jeden Menschen, der „nicht für sein Amt tauge oder der unverzeihlich dumm sei.“ Obwohl der Kaiser selbst die teuer bezahlte Robe nicht sehen kann, halten er und sein Hofstaat an der Illusion fest, etwas Wertvolles erworben zu haben. Selbst als der Regent durch den Zuruf »Aber er hat ja gar nichts an!« die Farce erkennt, denkt er »Nun muss ich aushalten.« (Anm. 1) Wozu dieses Lehrstück über Leichtgläubigkeit und unkritische Akzeptanz? Um nicht in eine ähnlich missliche Lage wie der in Äußerlichkeiten vernarrte Kaiser zu geraten, sollten öffentliche Museen bei der Vergabe von Aufträgen sehr genau prüfen, was angeboten wird. Das gilt z.B. für Schulungen des Service- und Aufsichtspersonals, die von öffentlichen Institutionen und von einer Reihe privater Unternehmen durchgeführt werden. (Anm. 2) Erhöhte Wachsamkeit ist besonders dann geboten, wenn in einem inhaltlich und formal unregulierten Dienstleistungssektor mit „Standard“, „Ausbildung“ oder „Zertifikat“ geworben wird. Diese nach Solidität klingenden Begriffe wollen suggerieren, es gäbe für die Tätigkeit »Aufsicht im Museum« eine anerkannte berufsständische Qualifizierung. Schulungsmaßnahmen, die mit solchen und ähnlichen Behauptungen werben, appellieren an eine Wunschvorstellung. Ein in dieser Hinsicht auffälliger Anbieter ist das Unternehmen Komunariko, das mit wohlklingenden Formeln den hohen Stellenwert seines Programms verheißt: „Identitätsstiftend ist das ECHOCAST-Zertifikat auch als analoger Ausweis einer Berufsausbildung im Kulturtourismus. Der ECHOCAST-Standard wird europaweit anerkannt.“ (Anm. 3) Dieses Marketing-Sprech klingt verlockend für Auftraggeber, die unbedingt ein Zertifikat in Händen halten möchten – koste es, was es wolle. Aber: Auch der „nackte Kaiser“ wähnte sich im Besitz einer ganz einmaligen Sache.

Kein Beruf. Kein Standard. Kein Dokument.

Das Berufsbild „Aufsicht im Museum“ existiert in Deutschland nicht. (Anm. 4) Für die Aus- und Weiterbildung von Service- und Aufsichtspersonal in Museen gibt es hierzulande keine anerkannten Standards, definierten Inhalte oder verbindliche Curricula. Folglich gibt es für dieses Tätigkeitsfeld keine allgemein üblichen Verfahren für Vermittlung und Prüfung und es existieren auch keine Abschlüsse oder Zertifikate, die von öffentlichen Institutionen, Verbänden oder unabhängigen Prüfgesellschaften reguliert, kontrolliert oder legitimiert wären. Mit Blick auf die Vergabe und Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen sollten Museen wissen: „Schulungen, die Zertifizierungen und sog. Standards anbieten, basieren auf freiwilliger Übereinkunft zwischen den Beteiligten.“ (Anm. 5) Gesetzliche Grundlagen, um hierzulande fremdes Leben oder Eigentum zu schützen, sind u.a. die Gewerbeordnung und die Bewachungsverordnung. Sie sind verpflichtend für Personen, die für Unternehmen aus der Bewachungs- und Sicherheitsbranche tätig sind, (Anm. 6) nicht jedoch für die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Museums. Anbieter von Schulungen, deren Marketingslogans dennoch die Existenz von nationalen oder gar internationalen Inhalten und Standards behaupten, kalkulieren mit Unkenntnis, Unsicherheit oder Eitelkeit der Verantwortlichen in den Kulturbetrieben bzw. ihren Trägern – ähnlich wie die Gewandschneider in Andersens Märchen.

Von vergaberechtlichen Bedenken und beachtlichen Kosten

Beim Programm Echocast empfiehlt sich schon aus vergaberechtlichen Gründen eine sehr genaue Prüfung. Das „Echocast-Memorandum verpflichtet öffentliche Museen u.a. dazu, ein bestimmtes Produkt bei Ausschreibung und Vergabe zu bevorzugen und es von Dienstleistern aus dem Wach- und Sicherheitsgewerbe zu verlangen. Das kann weitreichende Folgen haben: Die Chancen anderer Anbieter von Schulungsprogrammen könnten spürbar beeinträchtigt sein. Der faire Wettbewerb könnte dadurch behindert werden, da Dienstleister, die eigene Programme oder Partner haben, nicht an Ausschreibungen teilnehmen können. Das spezielle Reglement wirft weitere Fragen auf: Darf eine öffentliche Einrichtung sich bei personellen Dienstleistungen auf (mindestens) fünf Jahre festlegen bzw. sich vertraglich in ein geschlossenes System binden? Dürfen öffentliche Einrichtungen Produkte eines privaten Unternehmens aktiv bekannt machen und bewerben? Verträgt sich dieses Reglement mit geltendem Recht sowie mit Verordnungen und Richtlinien für Ausschreibung und Vergabe bzw. Wettbewerb und Neutralität?“ (Anm. 7) Auch in finanzieller Hinsicht sollten die Angebote von Echocast genau analysiert werden. Neben beachtlichen Honoraren für die Schulungen, die drei bis acht Tage dauern können, fallen nicht nur zusätzliche Kosten für die Prüfungen an, sondern auch für die Ausstellung des ersten Zertifikates sowie für den regelmäßigen „Update“ durch Folgezertifizierungen. (Anm. 8) Je nach Zahl der Teilnehmer einer Schulung können sich die Kosten rasch im fünfstelligen Bereich bewegen. Wäre es nicht sinnvoll, solche Beträge direkt in die Qualifizierung der Service- und Aufsichtskräfte zu investieren? Zum Beispiel für Deutschkurse? (Anm. 9)

Alle sehen es, aber niemand will es wahrhaben?

Die Akteure bei Hans Christian Andersen leisten sich wider besseres Wissen den Luxus, an eine Sache zu glauben, die nicht existiert. Dagegen sollten Wunschdenken, Leichtgläubigkeit und unkritische Akzeptanz keinen Platz in der Realität eines steuerfinanzierten Museums haben. Hier achten Rechnungshöfe bzw. Rechnungsprüfungsämter darauf, inwieweit die eingesetzten Mittel den für das öffentliche Auftragswesen verbindlichen Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit entsprechen. (Anm. 10) Um im Bild des Märchens zu bleiben: Der „Kaiser“ (Direktor / Geschäftsführer) ist gut beraten, vor Auftragsvergabe genau zu prüfen, ob die verheißenen Eigenschaften des „Gewandes“ (Zertifikat), die die gewieften „Weber“ (z.B. Komunariko) in Aussicht stellen, den Bedarfen des eigenen „Hofstaates“ (Service- und Aufsichtskräfte) entsprechen. Oder muss erst das „Volk“ (vertreten durch Rechnungshöfe) reklamieren, dass das vermeintlich wertvolle Dokument zentraler Bestandteil einer Strategie ist, die nicht nur auf inhaltliches Monopol und langfristige Vertragsbindung setzt, sondern auch enorme Kosten für öffentliche Einrichtungen mit sich bringt?

Akkreditierung für bessere Orientierung

Um Ziele, Inhalte und Kosten von Schulungen für Service- und Aufsichtskräfte genauer zu definieren und transparenter zu machen, kann ein Akkreditierungsverfahren von Nutzen sein: „Anbieter von Schulungen lassen sich zentral registrieren und bekennen sich anhand einer einvernehmlich mit allen Beteiligten erstellten Selbsterklärung zu Kriterien wie museumsspezifischer Kompetenz, methodischer Erfahrung und Sparsamkeit im Sinne der kulturellen Einrichtungen.“ (Anm. 11) Ein solches Verfahren böte potenziellen Auftraggebern wie Museen oder Unternehmen aus der Bewachungs- und Sicherheitsbranche sachdienliche Informationen und Grundlage für einen aussagekräftigen Vergleich der Angebote. Da aber der Aufwand für Organisation und regelmäßige Kontrolle der vereinbarten Regularien nicht zu unterschätzen ist, erhebt sich die Frage, wo eine solche Akkreditierungsstelle angesiedelt werden könnte. Deutscher Museumsbund, ICOM Deutschland oder die Landesverbände der Museen wären `natürliche´ Ansprechpartner, müssten aber vermutlich personell und finanziell entsprechend ausgestattet werden.

Nicht vom `märchenhaften Schein´ blenden lassen

Eine hohe Qualität in der Besucherorientierung wird nicht durch kostenintensive Zertifizierungen erreicht, die die Vermittlung und Überprüfung von Standards bescheinigen, die von keiner relevanten Stelle anerkannt sind. Guter Service lebt vielmehr davon, wie kompetent das Service- und Aufsichtspersonal die jeweils einzigartigen Gegebenheiten eines Museums nutzen kann, um jedem Gast einen möglichst angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen.

Dr. Berthold Schmitt, QEM - Qualifizierte Einbindung von Museumspersonal
www.aufsicht-im-museum.de

QEM - Qualifzierte Einbindung von Museumspersonal ist Förderer der Auszeichnung "Riegel - KulturBewahren" (www.riegel-preis-kulturbewahren.de)

Anm. 1: Hans Christian Andersen (1805-1875), Des Kaisers neue Kleider.
Anm. 2: Vgl. Berthold Schmitt, Schulungen für Service- und Aufsichtspersonal in Museen. Worauf Museen bei Auswahl und Vergabe achten sollten, in: KulturBetrieb, zwei 2014, S. 76-77; zum Programm „QEM – Qualifizierte Einbindung von Museumspersonal“ vgl. http://www.aufsicht-im-museum.de; Abfrage: 09.06.2016
Anm. 3: Vgl. Echocast erhöht die Beschäftigungsfähigkeit, in: http://www.echocast.eu/mitarbeiterinnen/; Abfrage: 09.06.2016
Anm. 4: Zur Vielfalt des Aufgabenfeldes vgl. die vorbildliche Publikation „Aufsicht im Museum“, hrsg. von ICOM Schweiz, Zürich 2004
Anm. 5: Vgl. Berthold Schmitt, Schulungen für Service- und Aufsichtspersonal in Museen. Worauf Museen bei Auswahl und Vergabe achten sollten, in: KulturBetrieb, zwei 2014, S. 76-77.
Anm. 6: Zu den dort definierten Voraussetzungen vgl. Berthold Schmitt, Deutschkurse statt Prüfungsgebühren! Museen sollten bei der Qualifizierung von Service- und Aufsichtspersonal in relevante Inhalte investieren, in: KulturBetrieb, zwei 2015, S. 63-67.
Anm. 7: Vgl. Echocast: Wie werde ich Mitglied, in: http://www.echocast.eu/museen-und-kulturelle-einrichtungen/wie-werde-ich-mitglied/; Abfrage: 09.06.2016 sowie Berthold Schmitt, Marketing nach dem Tom-Sawyer-Prinzip. Öffentliche Museen sollen für ein Privatunternehmen werben – und zahlen!, in: KulturBetrieb, vier 2014, S. 72-74.
Anm. 8: Vgl. Echocast: Reglement und Kosten für die Zertifizierung, in: http://www.echocast.eu/zertifizierung/reglement-und-kosten-fur-die-zertifizierung/; Abfrage: 09.06.2016
Anm. 9: Zu Kostenbeispielen und tatsächlich zu behebenden Defiziten beim Service- und Aufsichtspersonal vgl. Schmitt, Deutschkurse statt Prüfungsgebühren!, in: KulturBetrieb, zwei 2015, S. 65.
Anm. 10: Vgl. ders. „Spieglein, Spieglein an der Wand … Nabelschau-Marketing kann gegen die guten Sitten verstoßen“, in: KulturBetrieb, zwei 2016, S. 76-78.
Anm. 11: Vgl. ders., Schulungen für Service- und Aufsichtspersonal in Museen, in: KulturBetrieb, zwei 2014, S. 76-77.

Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in "KulturBetrieb. Magazin für innovative und wirtschaftliche Lösungen in Museen, Bibliotheken und Archiven", drei 2016, S. 74-75.

Zum Magazin: http://www.kulturbetrieb-magazin.de/fileadmin/user_upload/kulturbetrieb-magazin/magazin/KulturBetrieb-2016-Ausgabe-3-August.pdf

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