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Schädlingsbekämpfung unterliegt neuen Regeln

Verwendung von Stickstoff birgt rechtliche Risiken

Aktuell werden in Deutschland und Europa hitzige Debatten über die Qualität der Luftwerte geführt. Mit Blick auf unsere Gesundheit stehen die sog. Stickstoffoxide unter besonderer Beobachtung. Während die gesellschaftliche Aufmerksamkeit vorwiegend dem Thema Diesel gilt, betrifft der Umgang mit Stickstoff selbst andere Bereiche, darunter die präventive Konservierung von Kunst- und Kulturgütern. Eine EU-Verordnung, die sog. Biozidverordnung, wird sich womöglich gravierend auf die konservatorische Arbeit in Museen u.a. kulturbewahrenden Einrichtungen auswirken. Erste Prozesse sind anhängig.

Worum geht es?

Unter normalen Bedingungen enthält Raumluft rund 78 Prozent Stickstoff und 21 Prozent Sauerstoff. Wenn letzterer entzogen wird, entsteht eine sauerstoffarme Atmosphäre, die Anoxie. Das vollständige Fehlen von Sauerstoff im Gewebe führt zum Sterben von Lebewesen durch Ersticken. Diese Methode hat sich als effektiv und sicher erwiesen, um z.B. Kunst- und Kulturgüter aus organischen Materialien vor Befall durch Schädlinge zu schützen. Praktisch wird der Prozess in Stickstoffkammern oder mittels spezieller Beutel oder Ballons durchgeführt. Oft stellen Museen und Konservatoren den benötigten Stickstoff selbst her, z.B. mittels Membran-Stickstoffgeneratoren. Beim Umgang mit Stickstoff ist die Gasdichte der fest installierten Stationen oder mobilen Ballons ein wichtiges Kriterium, auch zum Schutz der Gesundheit der handelnden Personen. (Anm. 1) Das geschilderte Verfahren wird mitunter als „Stickstoffbegasung“ bezeichnet. Dies ist aber ungenau, da Sauerstoff entzogen wird und nicht giftige Gase wie Methylbromid oder Ethylenoxid hinzugefügt werden.

Umgang mit Bioziden nur mit Genehmigung

Das seit Jahren erprobte Verfahren steht nun gegebenenfalls vor dem Aus, da die EU-Verordnung 528/2012 Stickstoff als Biozid einstuft. Seit dem 1. September 2013 besagt sie, dass Stickstoff europaweit nur noch unter bestimmten Bedingungen zur Bekämpfung von Schädlingen eingesetzt werden darf, konkret: „Nur zur Verwendung in begrenzten Mengen in gebrauchsfertigen Behältern“. Ziel der EU-Verordnung ist der Schutz von Mensch, Tier und Umwelt bei Bereitstellung und Verwendung von Biozidprodukten. Das schließt auch die Behandlung von behandelten Kunst- und Kulturgütern mit Stickstoff ein. (Anm. 2)
Personen, Unternehmen u.a. Einrichtungen, die z.B. mit Stickstoff arbeiten, haben die Möglichkeit, eine Genehmigung für den Umgang mit dem Biozid zu beantragen. „Die Firma Rentokil hat seit vielen Jahren eine Biozid-Zulassung für den Einsatz von Stickstoff zur Bekämpfung diverser Schädlinge an Kulturgut (CAT = Controlled Atmosphere Treatment). Danach werden nach erfolgter Schädlingsbestimmung und Analyse der Befallssituation durch Schädlingsexperten die befallenen Wertgegenstände in einen luftdicht verschlossenen Spezialfolienballon eingebracht.“ (Anm. 3)
Außer der genannten Firma hat offenbar kaum jemand eine entsprechende Zulassung beantragt, auch Museen nicht. Woran das liegt? Am fehlenden Bewusstsein für die Tragweite der EU-Verordnung? An Aufwand und Kosten für die Beantragung? Gebühren und Dienstleistungen fachlicher Art können sich unter Umständen auf 100.000 Euro summieren.

Rechtliche Grauzone

Inzwischen liegt ein erstes Urteil zur Sache vor. Dienstleister aus dem Bereich der Schädlingsbekämpfung haben gerichtlich klären lassen, ob die jeweils verwendeten Methoden mechanisch-physikalisch oder biologisch sind. Im September 2018 hat das Landgericht Dortmund das Verfahren des einen Anbieters als Verstoß gegen die Biozidverordnung gewertet. (Anm. 4) Aus Sicht des Verbandes der Restauratoren (VDR) ist das Urteil wenig erfreulich: „Die Richter waren der Auffassung, dass das Abtöten von Schädlingen durch den Entzug von Sauerstoff der Atemluft und der damit verbundenen Anreicherung von Stickstoff ein chemischer Prozess ist. Dieser unterliegt damit der Biozid-Verordnung und ist nicht zulässig. Eine der beiden betroffenen Firmen, die sich auf Schädlingsbekämpfung im Bereich von Kunst- und Kulturgut spezialisiert haben, geht in Revision. Die andere sieht ihre Chancen auf Erfolg als so wenig aussichtsreich an, dass sie ihre Leistungen fortan nicht mehr in Deutschland und den anderen EU-Ländern anbietet. (...) Die einzige für alle Materialien schadensfreie Methode gegen Schädlingsbefall vorzugehen und Kunstwerke langfristig zu erhalten, darf nach der aktuellen Gesetzeslage nicht angewendet werden. Unzählige Kunstwerke und Kulturgüter sind so sehenden Auges vom Verfall bedroht – das sind europaweit Milliardenwerte.“ (Anm. 5)

Was tun?

Um auf Grundlage der gültigen EU-Verordnung rechtskonform zu arbeiten, haben Sammlungen und Konservatoren zwei Möglichkeiten: Sie beauftragen lizensierte Dienstleister, die Stickstoff in speziellen Flaschen anbieten, oder sie stellen selbst einen Antrag auf Zulassung eines Stickstoffverfahrens. Mit Blick auf die möglichen Kosten für solch einen Antrag wäre z.B. zu prüfen, ob mehrere Einrichtungen sich zusammenschließen. Da bei Verstößen gegen die Biozidverordnung Strafen drohen, rät der VDR davon ab, „Anlagen mit sogenannten Stickstoffgeneratoren zur Schädlingsbekämpfung zu betreiben. Der VDR unterstützt die ICOM-Initiative zur Rücknahme des Verbots durch Vernetzung von Kulturinstitutionen und Verbänden. Ziel ist es Stickstoff wieder aus der EU-Biozidverordnung zu entfernen. Nicht betroffen von den Einschränkungen innerhalb des EU-Marktes ist die präventive Lagerung von Kunst- und Kulturgut in kontrollierten, sauerstoffarmen Atmosphären (Controlled Atmosphere) gegen negative Umwelteinflüsse.“ (Anm. 6)

Anfang 2019 hat ICOM Deutschland auf die Problematik hingewiesen: „Die Verwendung von Stickstoffgeneratoren, die oft von Museen verwendet werden, ist nun illegal. Stickstoff kann nur legal von zertifizierten Unternehmen erworben werden. Es scheint, dass bisher nur ein Unternehmen in der Europäischen Union diese Zertifizierung erhalten hat. Hohe Strafen für Verstöße sind zu erwarten.“ (Anm. 7) Da die EU-Biozidverordnung einen schwerwiegenden Eingriff in die präventive Konservierung von Sammlungsobjekten bedeutet, hat ICOM Deutschland der Staatsministerin für Kultur und Medien Anfang März 2019 eine Stellungnahme übergeben. Diese appelliert „an alle politisch Verantwortlichen, die Biozid-Verordnung zu revidieren und dem Votum der Experten aus Wissenschaft und Praxis zu entsprechen, so dass Institutionen des Kunst- und Kulturerbes in bewährter Form ihre Bestände mit dem Stickstoff-Verfahren vor Schädlingsbefall schützen können. ICOM Deutschland appelliert an alle zuständigen deutschen Behörden, sich diese Problematik zu vergegenwärtigen und gemeinsam mit den Musemsexperten für Abhilfe zu sorgen.“ (Anm. 8)
Auf Bitten von ICOM Österreich ist die dortige Politik inzwischen aktiv geworden. Das zuständige Bundesministerium Nachhaltigkeit und Tourismus „wird die Europäische Kommission gerne um die Aufnahme einer Ausnahmeregelung vom Geltungsbereich der EU-Biozidprodukteverordnung ersuchen und eine allfällige Ausnahmeregelung unterstützen. Ob der Vorschlag von der EK jedoch aufgegriffen wird, kann nicht garantiert werden, weil Stickstoff derzeit ein genehmigter biozider Wirkstoff ist, weil gerichtliche Verfahren von alter-nativen Anbietern anhängig sind (Thermo Lignum) und möglicherweise in bestehende Rechte von Inhabern gültiger Zulassungen für Biozidprodukte mit dem Wirkstoff Stickstoff eingegriffen würde. (…) Abschließend darf zusammengefasst werden, dass sich das BMNT als Biozidbehörde für eine Ausnahmeregelung einsetzen wird. Bis dahin und für die Dauer eines allfälligen Verfahrens können von behördlicher Seite zum Schutz von Kunst-und Kulturgütern aus Gründen der Verhältnismäßigkeit Stickstoffkammern und -generatoren weiter betrieben werden.“ (Anm. 9)

Anm. 1: Vgl. David Pinninger, Bill Landsberger, Adrian Meyer u.a., Handbuch Integriertes Schädlingsmanagement in Museen, Archiven und historischen Gebäuden, Berlin 2016, S. 108 ff.
Anm. 2: Verordnung (EU) Nr. 528/1012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten, Anhang I, Kategorie 6, 231-783-9; Quelle: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32012R0528&from=DE ; Abfrage: 21.02.1019
Anm. 3: EU-Biozid-Verordnung – eine Gefährdung für den Kulturgüterschutz?!, in: Verband der Restauratoren, 03.10.2018; Quelle: https://www.restauratoren.de/eu-biozid-verordnung-eine-gefaehrdung-fuer-den-kulturgueterschutz/ ; Abfrage: 21.02.2019
Anm. 4: Vgl. Landgericht Dortmund, 19 0 9/18, 24.09.2018
Anm. 5: Stefanie Bründel, (Nichts) Neues zur EU-Biozidverordnung, in: Verband der Restauratoren, 12.02.2019; Quelle: https://www.restauratoren.de/nichts-neues-zur-eu-biozidverordnung/ ; Abfrage: 21.02.2019
Anm. 6: Bründel, a.a.O.
Anm. 7: Initiative zum Einsatz von Stickstoff zur Biozid-Behandlung in Museumssammlungen, in: ICOM Deutschland, Newsletter 1/2019; Quelle: http://www.icom-deutschland.de/client/media/634/newsletter_01_2019.pdf ; Abfrage: 21.02.2019
Anm. 8: Stellungnahme zur Biozid-Verordnung (EU) Nr. 528/2012, 01.03.2019; Quelle: http://icom-deutschland.de/client/media/696/stellungnahme_zur_biozidverordnung_eu_nr._5282012.pdf ; Abfrage: 11.03.2019
Anm. 9: Verordnung (EU) Nr. 528/2012Stickstoffbehandlung von Objekte. Schreiben des BMNT vom 5. März 2019; Quelle: http://icom-oesterreich.at/sites/icom-oesterreich.at/files/attachments/erledigung_2_bmnt-uw.1.2.5_0133-v_5_2019_11.03.2019_danielle_spera.pdf ; Abfrage: 27.03.2019

Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in eins 2019 KulturBetrieb, S. 72 f.