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Sind Museen Bildungseinrichtungen?

Ja! Aber wo genau ist ihr Platz innerhalb unseres Bildungssystems?

Vom Lockdown 2020/2021 sind auch Museen, Bibliotheken, Archive u.a. kulturbewahrende Einrichtungen betroffen. So weit, so schlecht. Bei nicht wenigen hat der Umstand, dass Museen bei der Schließung auf demselben Level wie Kirchen, Spaßbäder, Bordelle und sonstige Vergnügungseinrichtungen eingestuft worden sind, für Empörung gesorgt. Das hat einige Verantwortliche in ihrem Selbstverständnis getroffen, betrachten sie sich doch als Orte der Bildung. Aus dieser Erfahrung hat der Deutsche Museumsbund (DMB) mit Blick auf die Zeit nach dem Lockdown gefordert, dass Museen zeitnah zu Kitas und Schulen zu öffnen seien. (Anm. 1)

Bildung ist kein geschützter Begriff!

Die Antwort auf die Frage, ob Museen eher Bildungs- oder eher Freizeiteinrichtungen sind, hängt auch davon ab, wen man fragt. In der Liste „Demuseum“ gab es im November 2020 eine Diskussion dazu. Einigen Befürwortern der `Bildung´ schien es jedoch ein Tabu, Museen auch nur ansatzweise als Orte der Freizeit zu bezeichnen. Reflexhaft erhoben sie die Museen zu Bildungs- bzw. Weiterbildungseinrichtungen – so wie Universitäten, Bibliotheken und Volkshochschulen. So entschieden dieses Postulat ist, so wenig präzise ist es. Was heißt `Bildung´ und was genau bedeutet `so wie´?
Das Etikett „Bildung“ sagt zunächst gar nichts, denn im Grunde umfasst Bildung alles das, was geeignet ist, um Kompetenzen wie Wissen, Denken und Kommunizieren zu entwickeln. Hinzu kommen die Bildungsziele, zu denen Führungsfähigkeit, Sachlichkeit und Zivilcourage oder Kreativität und Flexibilität zählen. Neben dem Buch (auch eBook), dem Wissensquizz oder dem Zoo erfüllt sogar das vielgescholtene Fernsehen einen Teil des Bildungsanspruchs, denn es macht ja bekanntlich die Klugen klüger. Wohl auch, um sich vom Niveau von Glotze & Co. abzusetzen, rücken die Verfechter der musealen `Bildung´ diese in das Umfeld des institutionellen Lernens. Wer aber sagt, dass Museen dorthin gehören, der sollte auch aufzeigen, wo innerhalb des Bildungssystems ihr Ort sein soll und wie ihr dortiger Auftrag lautet. Das aber ist gar nicht so leicht.

Wie Schulen oder Unis?

Das Bildungssystem in Deutschland ist fünfstufig. Da ist zunächst der Primärbereich, der die ersten vier Schuljahre in der Grundschule umfasst. Der Unterricht für Kinder ab dem sechsten Lebensjahr konzentriert sich auf Deutsch und Mathematik sowie Sachkunde, Musik und andere Lernbereiche. Wenig vorstellbar, dass Museen sich selbst in dieser Kategorie sehen. Sodann folgen die Sekundarstufen I und II. Sie umfassen alle Schulformen mit Ausnahme von Bildungsgängen an beruflichen Schulen. Die klassischen Vertreter sind Hauptschule, Realschule oder Gymnasium. Wer sich vorstellen kann, die Museen in dieser Kategorie zu verorten, der sollte bedenken, dass unser Schulsystem laut Grundgesetz Artikel 7 im Verantwortungsbereich des Staates liegt. Dabei sind die Länder für Durchführung, Aufsicht und Gestaltung des Schulwesens zuständig. Geregelt wird dies über Schulgesetze und Schulordnungen sowie Lehrpläne und Curricula. Wenn man dies auf die Museen überträgt, ergeben sich nicht nur gravierende Auswirkungen auf die sog. Intendantenfreiheit, sondern auch auf das Wesen der Häuser: Museen leben von der Einzigartigkeit ihrer Bestände und von der Besonderheit ihrer Strukturen. Dies spiegelt u.a. die andauernden Bemühungen, selbst für originär museale Aufgaben wie Sammeln, Bewahren oder Ausstellen verbindliche Standards einzuführen. 2021 wollen ICOM Deutschland und DMB den neuen Leitfaden „Standards für Museen“ vorlegen.

Wenn Museen künftig kompatibel sein sollen mit dem bundesweit gültigen Grundgerüst schulischer Standards, stellt sich ferner die Frage nach der Vermittlungskompetenz der Häuser. 2016 beschreibt Andreas Grünewald Steiger den Ist-Zustand so: „Die Museumspädagogik in Deutschland entwickelt gegenwärtig Qualitätskriterien, die ein Muster für gleichwertige Handlungsvorgaben und Rahmenbedingungen schaffen sollen, um auf diese Weise wirkungsvolle und nachhaltige Bildungs- und Vermittlungsarbeit sichern zu können. (…) Zurzeit entspricht die Museumspraxis im Bereich der Vermittlung nicht der Vorstellung einheitlicher Parameter, da sich die institutionellen Rahmenbedingungen in der Realität als außerordentlich heterogen erweisen und wirkliche Standards hier nur schwer erreichbar erscheinen.“ (Anm. 2) Vier Jahre später formuliert der neue DMB-Leitfaden: „Bildungs- und Vermittlungsarbeit ist Kernaufgabe der Institution Museum. Jedes Haus braucht ein eigenes Bildungskonzept. (…) Dauerhafte und projektunabhängige Ressourcen sind die Voraussetzung für eine gelingende Bildungs- und Vermittlungsarbeit. Dazu gehören insbesondere spezifische Kompetenzen wie Kommunikations- und Methodenkompetenz, fachliche Kenntnisse z.B. von aktuellen Diskursen, kulturpolitischen Zusammenhängen oder Fachdidaktiken.“ (Anm. 3) Ob diese Orientierungsvorgabe mit den bestehenden schulischen Standards verknüpfbar sein soll, bleibt offen.

Auf der Suche nach einer geeigneten „Heimat“ für die Museen innerhalb unseres Bildungssystems bietet sich als nächstes der Tertiärbereich an. Dieser beginnt nach dem Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung und wird z.B. von Hochschulen, Berufsakademien oder Fachakademien abgedeckt. Auf den ersten Blick erscheint eine Zuordnung in diese Kategorie attraktiv, denn dann wäre man nicht nur Teil einer höheren Bildungsklasse, sondern – schöner Nebeneffekt – Museumsdirektorinnen und -direktoren würden in die Besoldungsgruppen W1 bis W3 (Hochschullehrer) eingruppiert. Freilich gibt es da noch das Hochschulrahmengesetz, Landesgesetze und sonstige hochschulinterne Regelungen. Diese Hürden könnten dem Anspruch der Museen entgegenstehen, mit Ausstellungen rasch auf relevante gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren bzw. selbst Trends zu setzen. Und man vergesse nicht die mitbestimmende Teilhabe der Museumsgäste, für die – analog zum ASTA (Allgemeiner Studentenausschuss) – ein AGÄSA (Allgemeiner Gästeausschuss) einzurichten wäre.

Oder eher wie Volkshochschulen? Oder doch ganz anders?

Bleibt der Quartärbereich, der alle Formen der privaten und beruflichen Weiterbildung umfasst, die vom Deutschen Bildungsrat als Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens definiert wurden. Bekannte Orte des lebenslangen Lernens sind z.B. Bibliotheken, Volkshochschulen, Abendgymnasien oder sonstige private und betriebliche Bildungszentren. Diese Kategorie könnte für Museen auch deshalb als „neue Heimat“ interessant sein, weil dieser Bereich der Weiterbildung vergleichsweise wenig reglementiert ist. Hier müssten Museen lediglich die Inhalte und Methoden entwickeln und anwenden, die dem Anspruch des `organisierten Lernens´ genügen.

Wer die Museen in keiner der derzeit bestehenden Kategorien sieht, dem bleibt die Möglichkeit, eine neue einzuführen – den Quintärbereich. Eine Teilmenge dieser Gruppe von Bildungsinstitutionen wären sog. Außerschulische Lernorte (ASL). Dazu zählen Zoologische Gärten, Planetarien und Science Center sowie Werkstätten für Musik, Tanz, Theater, Literatur und Kunst. Tatsächlich ist der Begriff ASL wenig scharf konturiert, denn auch Botanische Gärten, Fridays for Future oder die Backstube der örtlichen Bäckerei können ein außerschulischer Lernort sein, wenn auch nicht zwingend ein pädagogisch vorbereiteter bzw. vorstrukturierter. Natürlich müssten für die neue Kategorie verbindliche Inhalte, Standards und Strukturen gefunden werden, die auch die Verwaltung und Finanzierung durch die öffentliche Hand gebührend berücksichtigen. Oder sehen die eingangs erwähnten kategorischen Verfechter der `Bildung´ die Museen eher in einer Liga mit klassischen Konzerten, Schauspiel und Oper? Dann bliebe zu hoffen, dass nicht noch mehr Menschen die Musentempel aus Ehrfurcht meiden. Wohin also mit den Gedächtniseinrichtungen mit Bildungscharakter?

Den Begriff „Bildung“ hat Meister Eckhart (1260-1328) in die deutsche Sprache eingeführt. Er bedeutete für ihn das „Erlernen von Gelassenheit“.

Berthold Schmitt, Herausgeber der Fachzeitschrift KulturBetrieb

Anm. 1: Öffnung der Kultureinrichtungen. Deutscher Museumsbund begrüßt erste Pläne, sieht jedoch Anpassungsbedarf, in: Deutscher Museumsbund, 08.02.2021; Quelle: https://www.museumsbund.de/oeffnung-der-kultureinrichtungen-deutscher-museumsbund-begruesst-erste-plaene-sieht-jedoch-anpassungsbedarf/ ; Abfrage: 09.02.2021; vgl. Vor Corona sind alle gleich. Oder doch nicht?, in vorliegender Ausgabe von KulturBetrieb.
Anm. 2: Andreas Grünewald Steiger, Information – Wissen – Bildung: Das Museum als Lernort, in: Handbuch Museum. Geschichte – Aufgaben – Perspektiven, hrsg. von Markus Waltz, Stuttgart 2016, S. 278 ff.
Anm. 3: Leitfaden Bildung und Vermittlung im Museum gestalten; hrsg. vom Deutschen Museumsbund e.V. und dem Bundesverband Museumspädagogik e.V., Berlin 2020, S. 12; vgl. »Vermittlung ist die Sprache des Museums« Neuer Leitfaden für die museale Bildungs- und Vermittlungsarbeit in vorliegender Ausgabe von KulturBetrieb.

Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb, eins 2021, S. 48 f.