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Initialzündung im Web 2.0?

Projekt „Kultur-Netzwerker“ als interdisziplinäre Kulturvermittlung

Mit seinem Artikel »Fack ju Mozart?« brachte der Musikredakteur Reinhard Brembeck die Ergebnisse der Körber-Stiftung als ein ambivalentes Desinteresse der heutigen Jugend an klassischer Musik auf den Punkt. (Anm. 1) Zwar benannten in dieser Studie 84 Prozent der Befragten zwischen 18 und 29 Jahren klassische Musik als relevantes Kulturgut, jedoch besuchte nur jeder Zehnte dieser Altersspanne im Vorjahr der Befragung ein Konzert mit klassischer Musik, während es in anderen Altersgruppen immerhin jeder Fünfte war. (Anm. 2) Warum aber ist die Diskrepanz in der prinzipiellen Wertschätzung und tatsächlichen Kulturbesuchen im Bereich klassischer Musik bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen so eklatant?
Eine Studie aus dem Jahr 2016 verdeutlicht: Verankert sich klassische Musik nachhaltig im Leben Jugendlicher und junger Erwachsener, ist in der Regel ein Kontakt zu klassikinteressierten Bezugspersonen vorhanden. Diese besitzen zum einen eine hohe Glaubwürdigkeit für das Thema und geben zugleich ihr Wissen und ihre Begeisterung für klassische Musik gerne weiter. Neben Familienmitgliedern wie Eltern, Großeltern oder Geschwistern kann die Initialzündung aber auch abseits der engen familiären Strukturen durch Freunde oder Bekannte erfolgen. Wichtig ist nur, dass eine Bezugsperson für kulturelle Inhalte begeistern kann. (Anm. 3)

Wie wurden diese Ergebnisse genutzt?

Insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene nutzen Soziale Medien intensiv, um sich mit Freunden und Bekannten auszutauschen. (Anm. 4) Für die Vermittlung von kulturellen Inhalten ist das eine große Chance: Um Schlüsselpersonen für die Vermittlung kultureller Inhalte in einem breiteren Umfeld und abseits familiärer Strukturen zu vermitteln, bringt der gemeinnützige Verein „Kultur-Netzwerker“ seit Ende 2013 in München online Kulturscouts in den Bereichen Musik (vor allem klassische Konzerte und Oper), Theater und Bildende Kunst mit interessierten „Kulturneulingen“ (sogenannte Newcomer), zusammen. Über Facebook melden sich „Newcomer“ zu Veranstaltungen der jeweiligen „Scouts“ an und erleben so Kultur im Team. Die Scouts als persönliche Bezugspersonen sind dabei bereits im Vorfeld direkt ansprechbar und beantworten Fragen von Inhalt der Veranstaltung bis Dresscode. Während des Kulturbesuchs werden die Gruppen bewusst klein gehalten, um tatsächlich eine persönliche Atmosphäre zu schaffen und negative Gruppendynamiken zu vermeiden. Durch Kooperationen mit zahlreichen Münchener Kultureinrichtungen werden Karten zu günstigen Preisen ermöglicht.
Im Anschluss an die Projekt-Pilotphase des Vereins zwischen Oktober 2013 und März 2015 wurde eine quantitative Befragung der bisherigen Teilnehmer durchgeführt, um die geführten qualitativen Interviews zur Verankerung von klassischer Musik in den Lebenswelten Jugendlicher und junger Erwachsener noch aus einem weiteren Blickwinkel zu betrachten. (Anm. 5) Hierzu wurden insgesamt 61 Scouts und Newcomer der Pilotphase befragt, die kulturelle Veranstaltungen in einer der drei Sparten besucht hatten.

Wen erreicht das Projekt Kultur-Netzwerker?

Mehr als zwei Drittel der Befragten sind weiblich (68,9%) und deutlich mehr als die Hälfte studiert zum Zeitpunkt der Befragung. Die größte Nachfrage seitens der Newcomer besteht im Bereich Musik (63%), was ebenfalls auf die befragten Scouts zutrifft (56%). (Anm. 6)

Was sind die Erkenntnisse für die Wahrnehmung kultureller Angebote?

Eine zentrale Erkenntnis ist, dass trotz der digitalen Herangehensweise des Projekts nach wie vor persönliche Empfehlungen sowohl im Online- als auch im Offlinebereich relevant für die Steuerung der medialen Aufmerksamkeit sind. Über eine persönliche Empfehlung kommen die meisten der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit dem Projekt „Kultur-Netzwerker“ in Kontakt: Fast die Hälfte der Befragten (47%) wurde durch einen persönlichen, „realen“ Kontakt auf das Projekt aufmerksam, etwas weniger direkt online über die Vermittlungsplattform Facebook (41%). (Anm. 7)

Wie kann dieser Ansatz weitergedacht werden?

Um diesen Weg weiter zu beschreiten gilt es, digitale Multiplikatoren zu mobilisieren, die als glaubwürdige Vermittler kultureller Inhalte auf Augenhöhe agieren. Was vielfach fehlt, sind geeignete und übergreifende Strukturen, in denen ein Austausch über klassische Musik ohne die unmittelbare institutionelle Anbindung ermöglicht werden kann. Kulturelle Angebote an dieser Stelle sparten- und institutionenübergreifend anzubieten, würde die allerorts knappen personellen Ressourcen in Kultureinrichtungen entlasten und dennoch einen Mehrwert für alle Seiten bieten. Nach wie vor gilt: Fehlt einer prinzipiell für hochkulturelle Angebote offenen Person eine vermittelnde Person im sozialen Umfeld, dann mangelt es in der Regel an einem Ansprechpartner, der Interessen entdecken und verfestigen kann, was auch die ARD-E-Musikstudie belegt. (Anm. 8) Digitale Medien als Vermittler bieten hier die Chance, auf unkompliziertem Wege Menschen zusammenzubringen, die gemeinsam Kultur erleben möchten.

Julia Kirn

Dr. Julia Kirn ist Dozentin für Unternehmenskommunikation an der Hochschule Fresenius München und Gründungsmitglied des gemeinnützigen Vereins Kultur-Netzwerker e.V.

julia.kirn(at)hs-fresenius.de

Anm. 1: Vgl. Reinhard Brembeck, Fack ju Mozart?, in: Süddeutsche Zeitung, 22.01.2014, S. 11.
Anm. 2: Vgl. Forsa-Umfrage der Körber-Stiftung zum Thema »Klassische Musik« (Tabellenband), Hamburg 2013, S. 1.
Anm. 3: Vgl. Julia Kirn, Klassische Musik in den Lebenswelten Jugendlicher und junger Erwachsener. Die Bedeutung von sozialen Einflussfaktoren, medialen Inhalten und motivationalen Bedürfnissen, München 2016, S. 157 ff.
Anm. 4: Vgl. JIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest (mpfs): Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger, Stuttgart 2016, S. 32.
Anm. 5: Vgl. Kirn, 2016, S. 147 ff.
Anm. 6: Vgl. ebd., S. 143 f.
Anm. 7: Vgl. ebd., S. 169.
Anm. 8: Josef Eckhardt, Erik Pawlitzka & Thomas Windgasse, Besucherpotenzial von Opernaufführungen und Konzerten der klassischen Musik (Ergebnisse der ARD-E-Musikstudie 2005; MediaPerspektiven, 5) 2006, S. 273 ff.

Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in KulturBetrieb, zwei 2017, S. 30-31.

Zum Magazin: http://www.kulturbetrieb-magazin.de/fileadmin/user_upload/kulturbetrieb-magazin/magazin/KulturBetrieb-2017-Ausgabe-2-November.pdf