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Zeitenwende für Kulturbetriebe?

Kunstsammlungen Dresden gehen (teilweise) auf Nummer Sicher

 

Archive, Bibliotheken, Museen und andere kulturbewahrende Einrichtungen verstehen sich hierzulande überwiegend als offene, leicht zugängliche Angebote mit möglichst wenigen physischen und psychologischen Hürden. Ein zentraler Begriff dabei ist der „Dritte Ort“, dessen Erfolg auf umfassender Barrierefreiheit beruht. Nun aber gewinnen Kriterien wie Kontrolle, Schutz und Sicherheit zunehmend an Bedeutung. Dazu haben einerseits die Vorkommnisse von Berlin, Dresden und Manching beigetragen. Zugleich werden gesellschaftliche Konfliktthemen in unsere Kulturbetriebe hineingetragen, darunter Antisemitismus, Gendern, Klima oder Rassismus. Aufgrund der damit einhergehenden Auseinandersetzungen steigt das Risiko von Gefahren für die Kulturgüter sowie für jene Menschen, die sich in den Einrichtungen aufhalten bzw. hier arbeiten. Stehen nun auch kulturelle Betriebe vor einer »Zeitenwende«?

Kunstsammlungen Dresden halten am bisherigen Wachdienst fest, …

Nach dem Juwelenraub von 2019 aus dem Grünen Gewölbe haben die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) im Dezember 2023 die Dienstleistungen rund um Service und Aufsicht erneut an eine private Firma vergeben. Pikanterweise handelt es sich dabei um genau jenes Unternehmen, das bereits bei dem spektakulären Raub 2019 eingesetzt war. Im Umfeld der Aufklärung des Verbrechens war sogar davon die Rede, der Coup habe nur durch Insiderwissen gelingen können. In der Folge hat der Freistaat Sachsen beim Landgericht Dresden Klage gegen die Dresdner Sicherheitsfirma eingereicht, die aus Sicht des Freistaates fehlerhaft gearbeitet habe. Geltend gemacht werden „ein Teil des Diebstahlschadens in Höhe von 15 Millionen Euro sowie 316.000 Euro für Sachschäden an dem Museumsgebäude und Einrichtungen.“ (Anm. 1)
Dennoch: Das europaweite „Bieterverfahren hat die `Dresdner Wach- und Sicherheitsinstitut GmbH´ (DWSI) mit deutlichem Abstand für sich entschieden und wird daher weiterhin Sicherheitsdienstleister der SKD bleiben. (…) Der neue Vertrag läuft drei Jahre mit Option auf Verlängerung. (…) Die SKD betonen, dass nur einer sehr kleinen Anzahl der DWSI-Beschäftigten, die in der Leitzentrale gearbeitet haben, ein Fehlverhalten vorgehalten werden kann. Die weiterhin Beschäftigten, die überwiegend in den Museen tätig sind, haben stets korrekt, verantwortungsvoll und überdurchschnittlich engagiert ihre Aufgabe bei den SKD erfüllt. Die SKD können auf eine langjährige vertrauensvolle Zusammenarbeit mit diesen Menschen zurückblicken und lehnen einen Generalverdacht ihnen gegenüber ab.“ (Anm. 2)

… ergänzen die Sicherheit aber entscheidend

Parallel zum Festhalten am bisherigen Dienstleister haben die SKD ihr Sicherheitskonzept komplett neu aufgestellt. Für mehr Sicherheit in den insgesamt 15 Museen sollen in den nächsten Jahren beachtliche Beträge fließen, darunter Mittel für bessere Kamera- und Lasertechnik. Allein für das Dresdner Residenzschloss mit dem Grünen Gewölbe sind rund 20 Millionen Euro veranschlagt. Da aber jede Technologie nur so gut ist, wie das dafür verantwortliche Personal, ist zugleich die hauseigene Abteilung Sicherheit gegründet worden, die mit insgesamt 23 Stellen ausgestattet ist. An ihrer Spitze steht seit Juli 2023 der ehemalige Bundespolizist Ralph W. Krüger, der zuletzt Vizepräsident der Bundespolizeidirektion Berlin gewesen ist.

Das Team rund um Ralph Krüger verfolgt offenbar eine Doppelstrategie: Das eigene Haus so gut als möglich baulich, technisch und personell sichern bei gleichzeitiger Kooperation mit externen Partnern, auch international: „`Was momentan im Bereich öffentliche Sicherheit ansteht, wird analysiert und ausgewertet, sagte Krüger. Dazu kämen gründliche Recherche und die Vernetzung mit anderen großen Museen, auch international. `Wir sind da nicht allein, schauen, was machen die anderen, wie ist die aktuelle Kriminalitätslage.´ Da gehe es um die Frage, ob man personell und technisch gut ausgestattet sei. Auf dem Markt gebe es schon standardisierte Software dazu für die Dienstplanung oder Alarmierungsketten und passende Module. Dennoch sei jede Einrichtung individuell. Die SKD sei in Sachen Sicherheit auf einer Skala von 0 bis 100 `relativ weit oben´, sagte er. Es bleibe immer ein Restrisiko, `das wir einfach nicht abdecken können und wollen´. Der monetäre Aufwand wäre immens hoch, um diese Lücke zu schließen. `Das heißt, die letzten zehn Prozent tragen wir alle mit.´ (…) So werden `Realtests´ mit dem Museumspersonal gemacht zu möglichen Szenarien. Und auch die neuen Außenstreifen, die nachts mit Hunden unterwegs sind um Residenzschloss, Zwinger und Albertinum, würden trainiert. Laut Krüger werden manche Maßnahmen standardisiert festgeschrieben – als klare Handlungsanweisung im Ernstfall. Mittelfristig sollen Checkliste und Entscheidungsvorschläge elektronisch abrufbar sein. Auch mit Künstlicher Intelligenz werde experimentiert, um im Ernstfall die Reaktionszeiten kurz zu halten. Das Sicherheitskonzept für die 15 Museen sei nun dreistufig: ein generelles für den Verbund, objektbezogen für jedes Museum und anlassbezogen. Neben Aufsichten mischen sich verdeckte Zivilkräfte unter Museumsbesucher. Die SKD haben inzwischen eine eigene Sicherheitsabteilung, die Wachleute einer privaten Sicherheitsfirma sind durch Personal ersetzt, das angestellt wird. `Training und alles was damit zusammenhängt liegt jetzt in unseren Händen´, sagte Krüger. Künftig werde es nur eine große Leitzentrale geben, womöglich außerhalb des Museums. `Dank der Technik muss sie heute nicht mehr unmittelbar vor Ort sein.´ Die Wachleute sollen im Ernstfall nicht mehr selbst eingreifen, ihren Platz nicht verlassen und nur Alarme bearbeiten.´“ (Anm. 3)

Haben die SKD ihre Dienstleister bislang nicht ausreichend gesteuert?

Wollen Dienstleister an Aufträge kommen, halten sie es gerne mit dem Spruch „Do what you can do best, outsource the rest!“ Das ist grundsätzlich nicht falsch, sollte einen Auftraggeber jedoch nicht in der trügerischen Gewissheit wiegen, dass mit dem Moment der Auftragserteilung alle Arbeit beim Dienstleister und somit in den erfahrensten Händen läge. Da Museen ihre eigenen Ziele, Bedarfe und Publikum am besten kennen, sollten Auftraggeber die Definition und Erbringung der gewünschten Leistung nicht einfach an den Auftragnehmer delegieren. Vielmehr sollten sie die Vorbereitung und Durchführung aller anstehenden Aufgaben möglichst exakt definieren, aktiv begleiten und konsequent steuern. Faustregel: Was in der Dienstanweisung nicht geregelt ist, findet nicht statt! Vor diesem Hintergrund gilt: Outsourcing bedeutet ständige Kommunikation zwischen den Beteiligten, sowie Vorhalten eigener Kompetenzen und die Bereitschaft zum Eingreifen bzw. Nachsteuern im Bedarfsfalle. Die Maßgabe lautet: Outsourcing heißt ständiges Controlling! (Anm. 4) Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. In den Staatlichen Kunstsammlungen war das aber offenbar bislang nicht so. Erst mit der im Dezember 2023 erfolgten Beauftragung des neuen / alten Dienstleisters haben die SKD „neben der Überprüfung der bisherigen Sicherheitskonzepte auch den aktuellen Dienstleistungsvertrag einer kritischen Prüfung unterzogen und mit dem Ausschreibungsverfahren eine Vielzahl von Positionen erheblich verbessert. Der Dienstleister wird zu wesentlich mehr Qualität verpflichtet, die Überprüfungs- und Evaluierungsmöglichkeiten sind substanziell erweitert. Sie ermöglichen der neugegründeten Sicherheitsabteilung der SKD eine effektive Kontrolle sowie eine exakte und engmaschige Steuerung des Dienstleisters.“ (Anm. 5)

Schulung? Ja! Inhalt? Och! Zertifikat? Unbedingt!

Spätestens hier stellt sich auch die Frage nach den Schulungen, die das Service- und Aufsichtspersonal der SKD durchlaufen. Die Inhalte orientieren sich offenbar immer noch an dem 2003 entwickelten und bis heute von der Schloß Schönbrunn Kultur- u. Betriebsges.m.b.H. vermarkteten ECHOCAST. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sind die einzigen deutschen Kooperationspartner dieses zeitlich und organisatorisch aufwändigen sowie kostenintensiven Schulungsprogramms. (Anm. 6) Irritierend: Das Programm wirbt mit der Vergabe eines Zertifikates, das jedoch bis heute von keiner neutralen Organisation wie TÜV, DEKRA oder dergleichen je überprüft worden wäre. Offenbar geht es den zwei, drei deutschen Häusern, die ihr Personal nach dem österreichischen Programm schulen lassen, in erster Linie um ein geduldiges und gestempeltes Stück Papier, das ihnen zwar einen teuren Qualifikationskreislauf bescheinigt, deren Inhalt jedoch nie auf Substanz und Nützlichkeit evaluiert worden ist. (Anm. 7) Interessanterweise mischt in dem angeblichen „Non-Profit-Netzwerk ECHOCAST“ immer noch oder erneut eine privatwirtschaftliche Kommunikationsgesellschaft aus Salzburg mit. Über die Firma wurde zwischenzeitlich einmal gesagt, sie sei aus ausgeschieden, um für mehr Transparenz im Verhältnis zwischen steuerfinanzierten und privaten Unternehmen zu sorgen. Tatsächlich aber ist die Salzburger Firma nach wie für Kooperationspartner „für den Aufbau der Module“. (Anm. 8) Man darf gespannt sein, ob und wann die SKD ihre Zusammenarbeit mit dem nicht genau zu durchschauenden Konstrukt aus Österreich auf den Prüfstand stellt. Einstweilen scheint das jedoch nicht der Fall: Für Anfang September 2024 hat bezeichnenderweise die Marketingabteilung der SKD angekündigt, die Qualitätsstandards im Gästeservice von ECHOCAST im Rahmen einer Fachtagung zur Qualitätssicherung von Museumsarbeit zu präsentieren. (Anm. 9) Vielleicht ist es aber auch andersherum: Jetzt, da die SKD mit Millionen von Euro überschüttet werden, um ihre Sicherheit zu verbessern, fallen ein paar Zigtausend Euro für ein gestempeltes Zertifikat nicht ins Gewicht. Da mag man die Geschichte von den ach so bettelarmen Kultureinrichtungen hierzulande weder mehr hören, noch so recht glauben …

Sicherheitschef der SKD hat Vetorecht

Die Kunstsammlungen Dresden verbessern ihre Ansprüche gegenüber Sicherheit nicht nur technisch und personell. Sicherheitsrelevante Erkenntnisse und Maßnahmen gelten künftig auch für Ausstellungen und Events. Dazu Marion Ackermann, Generaldirektorin der SKD und ab 1. Juni 2025 Präsidentin der Stiftung Preußischer Kulturbesitz: „Wir haben dem Sicherheitschef in Dresden gerade ein Vetorecht eingeräumt, sogar gegenüber dem Generaldirektor. Wenn der Sicherheitschef bei einer Ausstellung Bedenken hat, darf er einschreiten. Wir Museumsdirektoren wollten noch vor einigen Jahren vor allem die Zugänglichkeit in unseren Häusern erleichtern. Wir alle wollten das offene Museum. Jetzt müssen wir uns wieder viel mehr einschließen. Nicht nur wegen der Erfahrung mit Einbrüchen, sondern auch wegen der Übergriffe durch politische Aktivisten. Bei bestimmten Veranstaltungen von uns ist jetzt Security dabei. Diese Entwicklung finde ich sehr bedauerlich.“ (Anm. 10)

Mit Blick auf die auch durch den Ukraine-Krieg ausgelöste sog. Zeitenwende sollen Militär und Bevölkerungsschutz hierzulande strukturell reformiert sowie personell, technisch und finanziell besser aufgestellt werden, um im Bedarfsfalle „kriegstüchtig“ (Verteidigungsminister Boris Pistorius) zu sein. Eine vergleichbare „Aufrüstung“ ist bei unseren Kulturbetrieben nicht zu erwarten, auch, wenn der eine oder andere mit Sicherheit Befasste im Nachgang zu dem Dresdner Juwelenraub von 2019 zum Beispiel für eine Erweiterung der Handlungsbefugnisse oder sogar für die Bewaffnung des Sicherheitspersonals plädierte. Dazu wird es bei uns hoffentlich nicht kommen. Aber, wer weiß: Im Sommer 2013 ist das übliche Sicherheitspersonal des Louvre durch 20 bewaffnete Polizisten ergänzt worden, um Banden aggressiver, jugendlicher Taschendiebe abzuschrecken.

Was können andere Häuser vom Beispiel Dresden lernen?

Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gehören zu den größten Kulturorganisationen in Deutschland. Die überwiegende Zahl unserer Kulturbetriebe verfügt nicht einmal entfernt über die finanziellen, technischen oder personellen Möglichkeiten von Elbflorenz. Und dennoch: Gerade Häuser, die keine eigene Sicherheitsabteilung haben, sollten sich zum Beispiel bei Einrichtung oder Überarbeitung von Wechsel- oder Dauerausstellungen enger mit eigenen Haustechnikern oder Restauratoren abstimmen. Mit Blick auf die Sicherheit der Exponate, der Gäste und der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollte das Design der Räume und Wege nicht das einzige oder ausschlaggebende Kriterium sein. Das aber setzt voraus, die hauseigenen Kompetenzen zu entwickeln. Dazu bieten sich unter anderem Fachtagungen, Workshops und Messen an. Empfehlenswerte Ansprechpartner rund um Sicherheitsbelange von Kulturbetrieben sind zudem Versicherer sowie die Polizeien der Kommunen und Bundesländer.

QEM – Qualifizierte Einbindung von Museumspersonal

Dr. Berthold Schmitt, Trainer von Service- und Aufsichtspersonal in Museen
Wielandstraße 5, 04177 Leipzig
Tel 0049 / 341 / 5296524
mail(at)schmitt-art.de ; www.aufsicht-im-museum.de

Anm. 1: Wegen Einbruch in Grünes Gewölbe: Freistaat verklagt Sicherheitsfirma, in: MDR SACHSEN, 31. Mai 2023; Quelle: www.mdr.de/nachrichten/sachsen/dresden/gruenes-gewoelbe-klage-schadenersatz-sicherheitsfirma-104.html ; Abfrage: 23.07.2024; vgl. auch Berthold Schmitt, Ein Einbruch und seine Folgen, in: KulturBetrieb, zwei 2023, S. 89 ff.
Anm. 2: SKD vergeben Sicherheitsdienstleistungen neu – DWSI bleibt Sicherheitsdienstleister – strenge Qualitätskontrollen – Wachhabende während des Einbruchs wurden suspendiert, in: Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 01.09.2023; Quelle: https://www.skd.museum/besucherservice/presse/2023/skd-vergeben-sicherheitsdienstleistungen-neu-dwsi-bleibt-sicherheitsdienstleister-strenge-qualitaetskontrollen-wachhabende-waehrend-des-einbruchs-wurden-suspendiert/ ; Abfrage: 23.07.2024
Anm. 3: Kunstsammlungs-Sicherheitschef: Museen inzwischen besser gesichert, in: monopol. Magazin für Kunst und Leben, 28.12.2023; Quelle: https://www.monopol-magazin.de/kunstsammlungs-sicherheitschef-museen-inzwischen-besser-gesichert ; Abfrage: 23.07.2024
Anm. 4: Vgl. Berthold Schmitt, Alarmkette? Ja, aber so genau weiß ich das nicht …, in vorliegender Ausgabe von KulturBetrieb.
Anm. 5: SKD vergeben Sicherheitsdienstleistungen neu, a.a.O.
Anm. 6: Vgl. ECOCAST; Quelle: echocast.eu/museen-und-kulturelle-einrichtungen/ ; Abfrage: 23.07.2024
Anm. 7: Vgl. Berthold Schmitt, Auf Inhalt und Vermittlung kommt es an, nicht auf ein Stück Papier! Zertifikate sind kein Garant für Qualität und Passgenauigkeit, in: KulturBetrieb, eins 2022, S. 62 f.
Anm. 8: Vgl. ECHOCAST – Programm. Für den Aufbau der Module kooperieren wir mit den folgenden Institutionen; Quelle: echocast.eu/zertifizierung/ ; Abfrage: 23.07.2024
Anm. 9: Vgl. Kennzeichen Museum!? Wege zur Qualitätssicherung von Museumsarbeit, Fachtagung, 2. September 2024, GRASSI Museum, Leipzig; Quelle: https://museumswesen.skd.museum/fileadmin/userfiles/Saechsische_Landesstelle_fuer_Museumswesen/Dateien/Fortbilden/Einladung_Fachtagung_Kennzeichen-Museum.pdf ; Abfrage: 23.07.2024
Anm. 10: Thomas E. Schmidt und Tobias Timm, Weniger Geld, weniger Einfluss, mehr Erwartungen. Mission impossible, Frau Ackermann?, in: DIE ZEIT, 18. Juli 2024, S. 46.

Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb zwei 2024, S. 86-88.