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Sicherheit in Kulturbetrieben

Was sollten Service- und Aufsichtskräfte wissen? (II)

Die terroristischen Anschläge von Paris (November 2015), Brüssel (März 2016), Nizza (Juli 2016) und Berlin (Dezember 2016) zeigen, wie verwundbar unsere Gesellschaft ist. Was bedeutet das für Museen, Bibliotheken, Archive u.a. Kultureinrichtungen?

Mehr Vermittlungsarbeit! Reicht das?

Die flächendeckenden Zerstörungen archäologischer Stätten in Syrien und im Irak haben weltweites Entsetzen hervorgerufen. 2016 hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag erstmals die absichtliche Zerstörung von Kulturgut im malischen Timbuktu als Kriegsverbrechen gewertet und eine mehrjährige Haftstrafe gegen einen einzelnen Täter verhängt. Da Kulturgüter einen hohen Symbolwert haben, geraten sie auch außerhalb kriegerischer Konflikte zunehmend in das Visier von Terroristen. Das betrifft auch Museen: Bei den Angriffen auf das Jüdische Museum von Belgien (Brüssel, Mai 2014) und das Nationalmuseum von Bardo (Tunesien, März 2015) haben Menschen ihr Leben verloren oder wurden verletzt. Die Bombendrohungen im Victoria & Albert Museum (London, Januar 2017), im Jewish Museum (London, März 2017) und die Attacke mit einer Machete im Musée du Louvre (Paris, Februar 2017) haben viele in Angst und Schrecken versetzt. Was wird in dieser Situation von den Kulturbetrieben erwartet? Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin hat Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Kultureinrichtungen in Deutschland aufgefordert, „mit ihrer Arbeit Ängste abzubauen“, während „der Staat entschlossen handeln“ müsse. (Anm. 1) Was aber sollen bzw. können die Kulturbetriebe konkret für mehr Sicherheit ihrer Gäste und ihrer eigenen Mitarbeiter tun?

Sicherheit braucht Kommunikation, ständige Kontrolle und viel Übung!

Die Defizite der Sicherheitsausstattung bzw. der Handlungskompetenz der Service- und Sicherheitskräfte werden bereits sehr weit unterhalb der Ebene von Terrorismus oder Schwerkriminalität sichtbar. Auch in Kulturbetrieben sind technische Mängel und menschliches Fehlverhalten Teil des `normalen´ Betriebsablaufes; ein „Klassiker“ sind die Lücken beim Brandschutz, auf die Experten immer wieder hinweisen. (Anm. 2) Ein anderes Feld sind die Mitarbeiter: In Schulungen für das Service- und Aufsichtspersonal von Museen trifft der Autor dieses Textes regelmäßig auf Kräfte, die über die Pflichten, Rechte und Grenzen ihrer Tätigkeit unzureichend informiert und in der Folge nicht immer handlungssicher sind. Da ist die couragierte Mitarbeiterin, die den (vermeintlichen) Dieb außerhalb (!) des Museumsgebäudes stellt und festhält; die neue Kassenkraft, die nicht weiß, dass es einen Alarmknopf gibt; der gestandene Sicherheitsmann, der noch nie einen Feuerlöscher bedient hat, oder die Verwaltungskraft, die ihre Kollegen entschieden davor warnt, Fehlalarme an Polizei, Feuerwehr oder Sanitäter abzusetzen, schließlich seien diese kostenpflichtig und könnten zu Lasten des Auslösers gehen. Verunsicherung allenthalben – auch aufgrund von Halbwissen und Gerüchten!
Diese Defizite gelten nicht nur für einzelne Personen, sondern können ganze Einrichtungen betreffen: Nicht selten ist der sog. Alarmplan nicht existent bzw. dem Personal nicht (ausreichend) bekannt. Der Plan soll exakt beschreiben, was bei einem bestimmten Ereignis zu tun bzw. zu beachten ist. Mitunter fällt die Kommunikations- und Meldetechnik aus (leere Akkus) oder sie funktioniert nicht zuverlässig – dicke Mauern! Und es gibt nicht wenige Häuser, die freudig hohe Besucherzahlen verkünden, aber keine Übungen zu Evakuierung und Rettung durchführen – obwohl es ihre Aufgaben ist, für die Unversehrtheit der Gäste zu sorgen. Vorbild Victoria & Albert Museum: Anlässlich der Bombendrohung wussten offenbar die richtigen Mitarbeiter zur rechten Zeit, was zu tun, was zu lassen (!) und welche Experten (auch von extern) einzubinden waren: „Alle Besucher und auch die Mitarbeiter hätten das Museum in den besucherstarken Nachmittagsstunden verlassen müssen. `Viel Geschrei, aber keiner rennt´, kommentierte ein Beobachter auf Twitter. Nachdem Polizisten das Gebäude durchsucht hatten, ohne Sprengstoff zu finden, wurden die Sicherheitsmaßnahmen aufgehoben und das Haus wieder geöffnet.“ (Anm. 3) Routine, die aus einem permanenten Krisenmodus erwächst, kann niemand wollen, aber Wegsehen nach dem Motto „Wird schon gut gehen“ ist mehr als gefährlich. Literatur, die nützliche Anregungen für mehr Sicherheit bereithält, gibt es. (Anm. 4)

Sicherheit fängt im eigenen Kopf an!

Es klingt banal: Die beste Technik ist unzureichend, wenn das Personal nicht aufmerksam ist. Sicherheit darf nicht an einige wenige Verantwortliche delegiert und damit als erledigt betrachtet werden. Sicherheit betrifft alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, intern wie extern – von den Reinigungskräften bis zur Direktion. Neben den geeigneten baulichen, technischen und organisatorischen Parametern bleiben verständlich formulierte schriftliche Informationen und regelmäßige mündliche Unterrichtungen unverzichtbare Elemente einer sicherheitsorientierten Qualifizierung. Dazu können z.B. interne Schulungen zu Organisation und Haustechnik durchgeführt oder externe Kräfte von Polizei, Feuerwehr und Technischem Hilfswerk einbezogen werden. So bietet z.B. die Bundespolizeiinspektion München kostenlose Kurse für Zivilcourage und Verhaltenstraining an. Teil des vierstündigen Programms für jedermann sind theoretische Erläuterungen zu Notwehr, Festnahme oder unterlassener Hilfeleistung. Die Kurse finden übrigens im Verkehrszentrum des Deutschen Museums statt. (Anm. 5) Nicht alle Maßnahmen müssen teuer sein: Manchmal wirkt eine einfache Trillerpfeife effektiver als das modernste Smartphone. Auch verlässliche Kommunikation kostet nicht viel, hat aber hohen Wert: Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden sich sicherer bei ihrer Arbeit fühlen, wenn man ihnen z.B. explizit sagt, dass sie im Krisenfalle nicht alleine sind, sondern von der Polizei innerhalb einer bestimmten Zeitspanne x unterstützt werden. In diesen Zusammenhang haben auch Haus- und Benutzerordnungen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung – vorausgesetzt, sie werden klar kommuniziert und entschieden vertreten. (Anm. 6) So stellt sich z.B. die National Gallery in London unmissverständlich an die Seite ihres Personals. An neuralgischen Servicestellen heißt es: „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben das Recht, in einem sicheren Umfeld zu arbeiten, das frei ist von Gewalt und bedrohlichem Verhalten. Das Museum nimmt Vorfälle dieser Art sehr ernst.“ (Anm. 7)

Leistung der „Visitenkarte“ nicht gering schätzen

Die Qualität der Leistung des Aufsichts- und Servicepersonals prägt das Ansehen einer Kultureinrichtung in entscheidender Weise. Das liegt auch daran, dass diese Kräfte nicht selten die einzigen Ansprechpartner für die Anliegen der Besucherinnen und Besucher sind: Sie geben dem Gast in einer fremden Umgebung Orientierung und zugleich orientieren sie ihr Tun an den Bedarfen der Gäste. Diese Doppelfunktion von Service und Schutz ist physisch und psychisch anstrengend (Anm. 8), ist oft an unattraktive Arbeitszeiten geknüpft und obendrein mager bezahlt. Angesichts der beachtlichen Erwartungen, die kulturelle Einrichtungen an Auftreten, Kompetenz und Engagement der Service- und Aufsichtskräfte haben, erscheint der Vorschlag von Christian Müller-Straten abwegig, dem Personal zusätzliche Aufgaben aufzubürden: „In der derzeitigen Situation besteht eine Lösung, die Sicherheitslücken im musealen Sektor und ein weiteres ungelöstes Problem zu beseitigen darin, unsere Jungakademiker anzuregen, diese Tätigkeit interessant zu finden. Das könnte gelingen, wenn man vom liebgewonnenen Modell `Mischtätigkeit aus Aufsicht und Kassenkraft´ Abschied zugunsten einer neu definierten Mischtätigkeit `Aufsicht und museumspädagogische Interpretation´ nähme.“ (Anm. 9) Dieser Vorschlag zeugt von einer bemerkenswerten Realitätsferne: Anspruchsvolle Führungen im Museum bzw. zuverlässige Aufsicht und Kontrolle verlangen volle Konzentration und ungeteilte Aufmerksamkeit. Zudem: Wie müsste die Arbeitsplatzbeschreibung einer »museumspädagogischen Aufsicht« aussehen, damit ein Leihgeber seine Stücke zur Verfügung stellt und eine Versicherung dieses Konstrukt trägt? Im frühen Museumswesen konnte der Kastellan beide Aufgaben verknüpfen: Da er sich selbst und den Kreis der erlauchten Gäste einschloss, war die Sicherheitsfrage gelöst. Ein öffentliches Haus sähe sich heute rasch dem Vorwurf der Freiheitsberaubung ausgesetzt.

Fazit

Für die überwiegende Zahl der Kulturbetriebe stellen die schrecklichen Erfahrungen mit Terrorakten, wie sie in Bardo, London und Paris geschehen sind, keine realistische Grundlage für eine Sicherheitsarchitektur dar. Es wäre auch kaum mit dem Ziel einer freien und offenen Gesellschaft zu vereinbaren. Faktisch würde die Entwicklung zum „Hochsicherheitstrakt“ die Einrichtungen in technischer, personeller und finanzieller Hinsicht überfordern. Hingegen können kleine wie große Häuser mit überschaubarem Aufwand an vielen Stellen etwas dafür tun, um den Besucherinnen und Besuchern einen sicheren Aufenthalt zu bieten. Dazu gehört, die internen Abläufe bei Kommunikation und Organisation zu verbessern und das Service- und Aufsichtspersonal zu vertrauenswürdigem Auftreten und umsichtigem Tun zu befähigen. Das Gefühl von Sicherheit setzt Vertrauen in die Kompetenz der handelnden Menschen voraus.

QEM – Qualifizierte Einbindung von Museumspersonal
Dr. Berthold Schmitt, Trainer von Service- und Aufsichtspersonal in Museen
Wielandstraße 5, 04177 Leipzig
Tel 0049 / 341 / 5296524
mail(at)schmitt-art.de
www.aufsicht-im-museum.de

Anm. 1: Hermann Parzinger, Kultureinrichtungen müssen jetzt die Vielfalt verteidigen, 22.12.2016, Quelle: https://www.preussischer-kulturbesitz.de/karriere/freie-stellen/stellenanzeige/alle-news-stiftung-preussischer-kulturbesitz/news-detail-stiftung-preussischer-kulturbesitz/news/2016/12/22/parzinger-kultureinrichtungen-muessen-jetzt-die-vielfalt-verteidigen.html; Abfrage: 16.02.2017
Anm. 2: Vgl. Marco Schmöller, Brandschutz in Gebäuden: Auf die Nutzung kommt es an! oder: Soviel Brandschutz wie nötig, so wenig Brandschutz wie möglich, in: KulturBetrieb, drei 2013, S. 58 f.
Anm. 3: Catrin Lorch, Das Victoria & Albert Museum in London wurde nach einer Bombendrohung evakuiert; SZ-Online, 04.01.2017; Quelle: http://www.sueddeutsche.de/kultur/terror-im-museum-krieg-gegen-die-kultur-1.3321335; Abfrage: 06.01.2017
Anm. 4: Vgl. SiLK – SicherheitsLeitfaden Kulturgut; 14. Gewalttaten; Quelle: http://www.konferenz-kultur.de/SLF/gewalttaten/slf_gewalttaten_einleitung.php; Abfrage: 16.02.2017; Richard Lange, Terror und archivische Notfallvorsorge (Transferarbeit im Rahmen des Archivreferendariats für den höheren Dienst an der Archivschule Marburg (49. Wissenschaftlicher Lehrgang), Marburg 2016; Quelle: https://www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/120/60858/Transferarbeit2016_Lange.pdf; Abfrage: 16.02.2017
Anm. 5: Vgl. „Mit Herz und Verstand handeln im Notfall? Training für Fahrgäste“, in: München.tv (03.01.2017), Quelle: https://www.muenchen.tv/mit-herz-und-verstand-handeln-im-notfall-training-fuer-fahrgaeste-146240/; Abfrage: 21.02.2017
Anm. 6: Vgl. Jan-Alexander Fortmeyer, Hausrecht und -ordnung. Was sein muss und was sein sollte, in: KulturBetrieb, drei 2016, S. 86.
Anm. 7: Berthold Schmitt, Haus- und Besucherordnungen in Kulturbetrieben. Papiertiger oder echte Stütze im Alltag? in: KulturBetrieb, eins 2015, S. 68-69. Übersetzung: Verfasser.
Anm. 8: Vgl. Berthold Schmitt, Stehend k.o.: Museumsaufsichten haben hohes Erkrankungsrisiko, in: KulturBetrieb, drei 2013, S. 12.
Anm. 9: Christian Müller-Straten, Fehlende Aufsichtskräfte an Museen signalisieren die Trendwende am Arbeitsmarkt, in: MUSEUM AKTUELL, Nr. 230, 2016, S. 16.

Dieser Text ist erstmals erschienen in KulturBetrieb, eins 2017, S. 86-87.

Zum Magazin: http://www.kulturbetrieb-magazin.de/fileadmin/user_upload/kulturbetrieb-magazin/magazin/KulturBetrieb-2017-Ausgabe-1-April.pdf