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Nicht nur, weil es verboten ist

Ein Account über den Reiz, Kunstwerke zu berühren

Museen, Archive, Bibliotheken u.a. kulturbewahrende Einrichtungen weltweit betreiben einen großen Aufwand, um Kunst- und Kulturgut vor Verfall, Beschädigung oder Wegnahme zu schützen. Umso fassungsloser steht man vor dem bizarren Phänomen »Touching The Art«.

Reiz des Verbotenen

Worum geht es bei „Touching The Art“? Die Täter besuchen Museen, Galerien und Ausstellungshäuser, nicht nur um Kunst zu sehen, sondern auch oder vor allem um sie zu berühren. Anschließend werden die dabei gefertigten Fotografien hochgeladen, um sie in dem Forum präsentieren und von Followern kommentieren zu lassen. Aktuell zählt der seit 2017 bestehende Instagram-Account 4.256 Abonnenten.
Das Szenemagazin „Dazed“ hat die anonymen Macher danach gefragt, weshalb sie Kunst berühren. Am Anfang steht offenbar die Lust, etwas Verbotenes zu tun, selbst wenn man sich Ärger einhandelt: „Wir haben oft Alarm ausgelöst; wurden von Wachpersonal verfolgt und hatten jede Menge Gezeter mit Mitarbeitern der Galerien. Andere, die Beiträge eingestellt haben, erzählen, sie seien von Galerien und Museen hinausgeworfen worden.“ So weit, so simpel und respektlos. Im weiteren Verlauf des Interviews folgt jedoch eine intellektuelle Überhöhung dieses sonderbaren Treibens.

Ein performativer Akt!?

„Beim Berühren der Kunstwerke überschreitet man eine unsichtbare Grenze, was im Kontext einer Galerie oder Museums zu einem performativen Akt wird. Denn nur im Umfeld der zeitgenössischen Kunst kann das Berühren eines alltäglichen Objekts, das als Kunst etikettiert ist, als verboten betrachtet werden. (…) Klassische Werke haben einen intrinsischen Wert, der sich aus ihrer Geschichte, Technik und ihrem Alter ergibt. Dagegen haben wir festgestellt, dass der Wert zeitgenössischer Werke von spekulativen Faktoren innerhalb des Mediums abhängig ist. (…) Wir haben erkannt, dass wir durch die Geste der Berührung von zeitgenössischen Werken eine unsichtbare Schranke relativieren, die rein spekulativ errichtet ist. Einerseits kann man es als ziemlich simpel betrachten, die Grenze zwischen dem Zuschauer und dem Werk zu überschreiten. Andererseits ist es interessant, dass solch´ eine kleine Geste derart kontroverse Reaktionen auslösen kann.“ Die Auswahl der zu berührenden Werke erfolgt meist zufällig. Neuerdings suchen die Täter, die in Berlin angefangen haben, gezielt nach Ausstellungen und Künstlern und planen ihre Aktionen sorgfältiger. Ein Traum für diese `Kunstfreunde´ wäre es, die Hand der Infantin Margarita auf Diego Vélazquez „Las Meninas“ zu berühren (misslungener Versuch) oder die Arbeit „My Bed“ von Tracy Emin. Unter den Tätern sind offenbar auch Frauen – sofern man aus lackierten Fingernägeln schließen darf.
Die Macher des Accounts haben von Anfang mit kontroversen Reaktionen gerechnet. Bei `positiven´ Kommentaren wie “Keep touching your dreams” oder “Look at the page every time you go to a gallery/museum” gehen sie davon aus, dass die Follower sich damit identifizieren, die Spekulation im Kunstbetrieb in Frage zu stellen und den Sinn für Humor der Urheber teilen. Als negatives Feedback betrachten sie hingegen die Stellungnahme eines Museums, das befürchtet, der Account könne potenzielle Täter animieren. Dies sei nie das Ziel der Macher von „Touching The Art“ gewesen, aber sie wüssten natürlich um das Risiko.
Viele der Fotos zeigen Ausschnitte von Kunstwerken, die mit einer oder mehreren Fingerspitzen berührt werden. Die Auflösung der Fotos reicht nicht aus, um zu beurteilen, ob ausschließlich unverglaste Gemälde betroffen sind. Sodann gibt es Fotos, bei denen die ganze Handfläche auf dem Exponat aufliegt. Kleinere Objekte oder Teile aus Installationen werden mitunter von der ganzen Hand umschlossen, so z.B. eine Flasche Bier. Zerstörungen von Kunstobjekten sind auf den Fotos nicht zu erkennen.

Was tun?

Die coolen Äußerungen über den Ärger mit Aufsichtspersonal und Rausschmissen lassen annehmen, dass die Macher von „Touching The Art“ und ihre Jünger sich von Hausverboten u.ä. Maßnahmen nicht abschrecken lassen. Um die Ecke wartet die nächste Galerie auf Besucher … Den Account sperren lassen? Die juristischen Hürden dafür dürften hoch liegen, zumal auf den für jedermann zugänglichen Fotos keine Diebstähle und auch kein Vandalismus im eigentlichen Sinne zu erkennen ist.

Vielleicht nutzt der Kommentar eines Konservators, der sich tantejohannes nennt: „Mir ist bekannt, dass viele Kunstwerke toxische Substanzen tragen, darunter Pestizide, die zu Beginn des 20. Jh. verwendet wurden und Arsen oder Schwermetalle enthalten, neben anderen unangenehmen Dingen wie Schimmel. Ich sage es ja nur.”

Alle Zitate: Ashleigh Kane, This Instagram account breaks major museum etiquette by touching the art, in: Dazed, 05.03.2019; Quelle:https://www.dazeddigital.com/art-photography/article/43449/1/touchingtheart-instagram-account-breaks-major-museum-etiquette-by-touching-art; Abfrage: 02.04.2019; Übersetzungen aus dem Englischen: B. Schmitt

Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in eins 2019 KulturBetrieb, S. 74 f.