Kulturelle Einrichtungen sind nicht nur Orte der geistigen Auseinandersetzung, sondern auch Betriebe, die sich den Realitäten von Ökonomie und Ökologie stellen müssen. Wenn es um die Frage geht, ob unsere Kulturbetriebe in der Lage und willens sind, Energie zu sparen und ihre CO2-Bilanz zu verbessern, sollten nicht nur die „üblichen Verdächtigen“ wie Beleuchtung, Klimaanlage & Co. zur Disposition stehen, sondern z.B. auch die Arbeitswege der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Müssen die zwingend mit dem Pkw fahren oder wäre ein Dienstfahrrad nicht eine kluge Alternative?
Der Gast soll strampeln! Und das eigene Personal?
Auch die Träger von Archiven, Bibliotheken, Museen u.a. kulturbewahrenden Einrichtungen wissen, dass unsere CO2-Emissionen gesenkt werden müssen. Blättert man aber durch ihre einschlägigen Ratgeber, sind es meist die anderen, die etwas tun bzw. auf Bequemlichkeiten verzichten sollen. Hier einige Beispiele: Der Arbeitskreis Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Deutschen Museumsbund (DMB) regt an, vor dem Museum Fahrradständer aufzubauen – für das Publikum. Zugleich wird in derselben Arbeitssitzung darauf hingewiesen, dass „Museen in der Gesellschaft einen hohen Grad an Glaubwürdigkeit (genießen), der darf auf keinen Fall verspielt werden.“ (Anm. 1) Auch in seinem neuesten Leitfaden „Klimaschutz im Museum“ kommt der DMB nicht auf den Gedanken, unsere Museen mit Dienstfahrrädern auszustatten. Die Tipps zur ökologisch-nachhaltigen Gestaltung der Mobilität gelten vor allem den Dienstreisen und Objekttransporten und beschränken sich bezüglich der „An- und Abreise der Besucher:innen oder Mitarbeiter:innen“ auf den Ausbau der Fahrradstellplätze oder auf Kooperationen mit dem öffentlichen Nahverkehr. (Anm. 2) Warum aber tauchen Dienstfahrräder in den Überlegungen zur Einsparung von CO2 nicht auf?
Fahrräder gibt es reichlich …
In Deutschland gibt es fast so viele Fahrräder wie Einwohner. Für das Jahr 2022 wurden 84,4 Millionen Einwohner und 82,8 Millionen Fahrräder gezählt. (Anm. 3) Nie zuvor hat es hier mehr Räder gegeben. Von Bedeutung ist insbesondere der Boom der Elektrofahrräder. 2022 wurden insgesamt rund 2,2 Millionen E-Bikes verkauft, was einem Anstieg um zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Warum immer mehr Deutsche ein Fahrrad haben, kann nur vermutet werden. Der Wegfall von Freizeitmöglichkeiten während der Corona-Epidemie dürfte den Zuwachs beflügelt haben. Darüber hinaus gilt Radfahren als gut für die Gesundheit und – mit Blick auf steigende Spritkosten – auch als gut für den Geldbeutel. Obendrein ist das Rad eine umweltschonende Alternative zum Pkw.
… und das passende steuerrechtliche Modell findet sich
Aber nicht nur das Radfahren selbst boomt, sondern auch das Segment der Dienstfahrräder wachst tüchtig. Das liegt nicht zuletzt daran, dass das Dienstfahrrad dem Dienstauto seit 2012 steuerlich gleichgestellt ist („Dienstwagenprivileg“). Wie bei einem Pkw kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein betriebliches Fahrrad oder E-Bike zur dienstlichen, aber auch explizit zur privaten Nutzung überlassen. Zu den lohnsteuerlichen Besonderheiten für Arbeitgeber heißt es: „Stellt der Arbeitgeber den Arbeitnehmenden ein betriebliches Fahrrad unentgeltlich oder verbilligt zur privaten Nutzung zur Verfügung, handelt es sich grundsätzlich um steuerpflichtigen Arbeitslohn. Unter bestimmten Voraussetzungen bleibt die Überlassung steuerfrei. Für die spätere Übereignung gelten Pauschalierungsvorschriften. Auch für das Aufladen des E-Bikes gelten Erleichterungen. Viele Sonderregelungen gelten aber nicht bei der Umsatzsteuer. Zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn vom Arbeitgeber gewährte Vorteile für die Überlassung eines betrieblichen Fahrrads, das kein Kraftfahrzeug ist, bleiben lohnsteuerfrei (§ 3 Nr. 37 EStG). Die Steuerbefreiung gilt sowohl für E-Bikes als auch für Fahrräder. Eine Aufzeichnungspflicht im Lohnkonto besteht nicht. Die Steuerbefreiung gilt jedoch nicht für die in der Praxis verbreiteten Modelle der Fahrradüberlassung im Wege der Gehaltsumwandlung, insbesondere beim sogenannten E-Bike-Leasing. Die lohnsteuerliche Regelungen zur Fahrradüberlassung gelten für Fahrräder ohne Elektroantrieb und Elektrofahrräder (E-Bikes), wenn diese verkehrsrechtlich als Fahrrad einzuordnen sind. Ist ein Elektrofahrrad hingegen verkehrsrechtlich als Kraftfahrzeug (sogenannte S-Pedelecs; Kennzeichen- beziehungsweise Versicherungspflicht) einzuordnen, sind für die Bewertung des geldwerten Vorteils die allgemeinen Regeln zur Pkw-Besteuerung anzuwenden. Insbesondere gelten Elektrofahrräder, deren Motor auch Geschwindigkeiten über 25 km/h unterstützt, als Kraftfahrzeuge.“ (Anm. 4)
Gesundheitliche Aspekte nicht unterschätzen
Radfahren ist nicht nur gut für die Umwelt und für den Geldbeutel, sondern es dient offenbar auch dem Wohlergehen der Mitarbeiter/innen. Dazu der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC): „Radfahren macht fit und wirkt stimmungsaufhellend. Die Bewegung an der frischen Luft kurbelt den Kreislauf an und fördert die Durchblutung. Radfahrende sind seltener krank – durchschnittlich einen Tag pro Jahr. Fahrradfreundlichkeit rechnet sich also auch für Arbeitgeber:innen. Gut, wenn sie im Gegenzug Umzieh- und Waschgelegenheiten anbieten – und natürlich sichere Abstellplätze für die Fahrräder.“ (Anm. 5) Folgerichtig haben der ADFC und die AOK PLUS im Jahr 2004 die Aktion „Mit dem Rad zur Arbeit“ ins Leben gerufen. „Seitdem haben knapp zwei Millionen Radfahrer mitgemacht. Die Hauptziele der Aktion waren und sind: die Gesundheit zu fördern, Sprit und Abgase zu sparen und damit die Umwelt zu schonen. (…) Und es gibt viele weitere gute Gründe, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren, und für Betriebe, ihre Beschäftigten dafür zu begeistern. (…)
• Radfahren beugt Krankheiten und somit Fehlzeiten vor.
• Radfahren schont Knie und Rücken, kräftigt die Muskulatur und produziert vermehrt Gelenkschmiere. Ein Bonus, der Mitarbeitenden auch bei der Arbeit zugute kommt.
• Radfahren ist gut für die Psyche: Radeln tut nicht nur dem Körper, sondern auch der Seele gut. Wie bei anderen Sportarten schüttet das Gehirn beim Strampeln Endorphine und Serotonin aus. Diese Glückshormone heben die Stimmung und helfen gegen Depressionen, besonders in Kombination mit Sonne und frischer Luft. Das ist auch gut fürs Betriebsklima.“ (Anm. 6)
Warum der Gesundheitsaspekt von Bedeutung ist? Psychische Erkrankungen wie Depressionen, chronische Erschöpfung oder Ängste nehmen zu. Dazu der aktuelle Psychreport der DAK-Gesundheit: „Der Arbeitsausfall aufgrund psychischer Erkrankungen erreichte 2022 einen neuen Höchststand. Mit 301 Fehltagen je 100 Versicherte lagen die Fehlzeiten wegen dieser Erkrankungen um 48 Prozent über dem Niveau von vor zehn Jahren. (…) Über alle Altersgruppen hinweg waren auch 2022 Depressionen der wichtigste Krankschreibungsgrund mit 118 Fehltagen je 100 Versicherte. Auf Platz zwei kamen Belastungs- und Anpassungsstörungen mit 77 Tagen. Sie hatten mit einem Plus von 12,4 Prozent den stärksten Zuwachs.“
Was dabei weniger überrascht: „Wegen psychischer Probleme hatte erneut das Gesundheitswesen die meisten Ausfälle. (…) Beschäftigte, die sich in ihrem beruflichen Alltag um das Wohlbefinden anderer Menschen kümmern, sind psychisch am meisten belastet. Erzieher, Sozialpädagogen und Theologinnen.“ Während der Schnitt je 100 Versicherte bei 301 AU-Tagen (Arbeitsunfähigkeitstag) liegt, kommt das Gesundheitswesen auf 434 AU-Tage, d.h. zwei Drittel mehr Fehltage wegen psychischer Erkrankungen als andere.
Was hingegen sehr überrascht: Die öffentliche Verwaltung liegt mit 362 AU-Tagen auf Platz zwei, gefolgt von der Wirtschaftsgruppe Bildung, Kultur und Medien mit 315 AU-Tagen. (Anm. 7)
Dieser Befund sollte Arbeitgeber in Archiven, Bibliotheken, Museen u.a. kulturbewahrenden Einrichtungen hellhörig werden lassen! Überdurchschnittlich viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst leiden unter psychischen Erkrankungen. Zugleich wird es immer schwieriger, qualifiziertes Personal zu gewinnen – was übrigens nicht so sehr daran liegt, dass die Gehälter im öffentlichen Dienst denen der freien Wirtschaft hinterherhinken.
Kulturbetriebe sollten das Radfahren nicht nur wegen der CO2-Bilanz ihrer Besucher/innen und Nutzer/innen fördern, sondern auch wegen der Gesundheit der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Dr. Berthold Schmitt, Herausgeber der Fachzeitschrift KulturBetrieb.
Anm. 1: Imagegewinn oder Greenwashing? Nachhaltigkeit als Thema der Museumskommunikation, in: Ins Handeln kommen, Bulletin des DMB, Mitgliederzeitschrift 1/23, S. 42.
Anm. 2: Anreize schaffen – nachhaltige Mobilität stärken, in: Klimaschutz und Nachhaltigkeit in Museen, Hrsg.: Deutscher Museumsbund, Berlin, Mai 2023; Abfrage: 24.07.2023
Anm. 3: Vgl. DESTATIS – Statistisches Bundesamt, Bevölkerungsstand: Amtliche Einwohnerzahl Deutschlands 2022 sowie Statista, Anzahl der Fahrräder in Deutschland von 2005 bis 2022; Abfragen: 24.07.2023
Anm. 4: Dienstrad: Leasing, Überlassung, Übereignung und Aufladen von E-Bikes, in: Haufe, 06.07.2023; Quelle: www.haufe.de/personal/entgelt/dienstrad-leasing-ueberlassung-und-uebereignung-aufladen_78_522548.html; Abfrage: 24.07.2023
Anm. 5: Gute Gründe für den Arbeitsweg per Rad, in: ADFC; Quelle: www.adfc.de/artikel/gute-gruende-fuer-den-arbeitsweg-per-rad; Abfrage: 25.07.2023
Anm. 6: AOK-Aktion: Mit dem Rad zur Arbeit; Quelle: www.aok.de/fk/betriebliche-gesundheit/bewegung-am-arbeitsplatz/aok-aktion-mit-dem-rad-zur-arbeit/; Abfrage: 25.07.2023
Anm. 7: DAK-Psychreport für 2022, Erneuter Höchststand bei psychisch bedingten Fehltagen, in: DAK Gesundheit, 23.02.2023; www.dak.de/dak/bundesthemen/erneuter-hoechststand-bei-psychisch-bedingten-fehltagen-2609614.html; Abfrage: 25.07.2023
Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb, zwei 2023, S. 84 f.