Die evangelische und katholische Kirche in Deutschland verfügen schätzungsweise über mehr als 40.000 Sakralbauten, von denen in den kommenden Jahren jeder zehnte abgerissen oder umgenutzt werden könnte. (Anm. 1) Eine Chance für Kulturbetriebe?
Markant, zentral gelegen und geräumig
Kirchen wurden oft dort errichtet, wo die Menschen sind. Wenn sie jedoch ihre Funktion für das religiöse Leben verlieren, bieten sich als Alternative oft nur noch der Abriss oder die Umnutzung. Tatsächlich werden inzwischen viele Sakralbauten als Teil des allgemeinen Immobilienmarktes betrachtet: Während einige ehemalige Gotteshäuser von anderen Religionen genutzt werden (z.B. als Moschee in Hamburg oder als Synagoge in Bielefeld), wurden andere zu Restaurants umgewandelt (z.B. Antwerpen, Bielefeld, Magdeburg) oder zu Hotels (Maastricht). In wieder anderen wird privat gewohnt (Münster / Westfalen), gearbeitet (Aachen) oder mit Büchern gehandelt (Maastricht). In Moers-Meerbeck wird in Kürze die Ev. Johanneskirche zum Archiv umgebaut: „Das 50 Jahre alte Gebäude war als Gotteshaus im Unterhalt zu teuer geworden. Weil das Düsseldorfer Hauptarchiv der evangelischen Kirche im Rheinland zu klein geworden ist, soll die ehemalige Kirche statt Orgel und Kirchenbänken ab Herbst Akten beherbergen. Auf rund acht Kilometern Regalstrecke stehen dann zum Beispiel Unterlagen von Chören oder die Nachlassakten von Kirchenpersönlichkeiten. Äußerlich ändert sich an der Kirche nichts, auch die großen Buntglasscheiben bleiben.“ (Anm. 2) Das ist nicht das erste Beispiel. Die ehemalige Stadtpfarrkirche St. Joseph in Augsburg wird zu einem Archiv umgebaut, das ab 2016 Platz bietet soll für 20.500 laufende Regalmeter. Ein anstelle des alten Pfarrhauses errichteter Neubau beherbergt die Verwaltung und den Öffentlichkeitsbereich.
Nutzung als Depot
Bei den Überlegungen zur Neunutzung von St. Joseph hat man u.a. erwogen, dort ein Kunstdepot unterzubringen. (Anm. 3) Auch das gibt es bereits, z.B. in der seit 2013 profanierten Kirche St. Josef in Attendorn. Dort sind Altäre, Kanzeln, Leichenwagen u.v.a. Objekte aus Kirchen des Erzbistums Paderborn auf Schwerlastregalen und Paletten gelagert. (Anm. 4) Und auch als Museum können Kirchen genutzt werden. Nicht wenige Sakralbauten stehen seit Jahren ausschließlich im Dienst der Kunst, so z.B. Friedrichswerdersche Kirche und Nikolaikirche (beide Berlin), Kunsthalle Dominikanerkirche (Osnabrück), Dominikanerkirche (Augsburg) oder St. Laurentius (Duisburg). Die Umwidmung und Neunutzung von Gotteshäusern ist ein komplexer Prozess, den z.B. die Evangelische Kirche in Westfalen aktiv begleitet, u.a. mit dem Leitfaden »Kirchen umbauen – neu nutzen – umwidmen«. (Anm. 5)
Dr. Berthold Schmitt, Herausgeber der Fachzeitschrift KulturBetrieb
Anm. 1: Vgl. http://de.statista.com/statistik/daten/studie/36948/umfrage/anzahl-der-moscheen-und-kirchen-in-deutschland/; Abfrage: 26.03.2016; sowie EPD – Evangelischer Pressedienst; http://www.epd.de/zentralredaktion/epd-zentralredaktion/fachtagung-jede-zehnte-kirche-steht-vor-umwidmung-oder-abriss; Abfrage: 26.03.2016
Anm. 2: http://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/evangelisch-kirche-moers-meerbeck-umbau-archiv-100.html; Abfrage: 26.03.2016
Anm. 3: Vgl. http://www.bistum-augsburg.de/index.php/bistum/Nachrichten/Stadtpfarrkirche-St.-Joseph-in-Augsburg-wird-umgebaut-und-dem-Dioezesanarchiv-Platz-bieten_id_181469; Abfrage: 26.03.2016
Anm. 4: Vgl. Peter Plugge, Ehemalige Kirche dient als Depot, in: WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 11.08.2015; Quelle: http://www.derwesten.de/staedte/nachrichten-aus-attendorn-und-finnentrop/ehemalige-kirche-dient-als-depot-id10978683.html; Abfrage: 26.03.2016
Anm. 5: Künstleratelier, Restaurant oder Synagoge? Was sagt die Kirche zur Umnutzung von Kirchen?, Quelle: http://www.evangelisch-in-westfalen.de/fileadmin/user_upload/Kirche/Was_sagt_die_Kirche_zu/kirchen_umbauen.pdf; 26.03.2016
Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in "KulturBetrieb. Magazin für innovative und wirtschaftliche Lösungen in Museen, Bibliotheken und Archiven", zwei 2016, S. 43.
