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Insekten kompensieren! Geht das?

Für Kulturbetriebe sind es Schädlinge, aber die Natur braucht sie

Eine zentrale Aufgabe von Archiven, Bibliotheken, Museen u.a. kulturellen Einrichtungen ist es, die ihnen anvertrauten Kunst- und Kulturgüter vor Schaden zu bewahren. Eine ständige Gefahr für den Erhalt von Exponaten, Deponaten oder auch Gebäuden sind z.B. Insekten, Nagetiere oder Vögel, die organische Materialien als Nahrungsquelle oder Nistplatz nutzen wollen und dabei den Status erhaltenswerter Artefakte oder Naturschätze „ignorieren“. Um besser gegen solche Risiken gewappnet zu sein, wenden viele Kulturbetriebe das sog. Integrierte Schädlingsmanagement an, international auch Integrated Pest Management – IPM. Obschon das IPM auch darauf zielt, einen möglichen Befall durch Schädlinge vorausschauend zu vermeiden, werden bei der Bekämpfung auch Tiere getötet. Tragen Kulturbetriebe durch IPM und andere Schutzmaßnahmen somit zum Arten- bzw. Insektensterben bei? Können Kulturbetriebe ihre Bestände schützen und gleichzeitig etwas gegen den Verlust der Artenvielfalt unternehmen?

Schutz der Kultur hat seinen Preis und Grenzen

Es steht außer Frage, dass Kulturbetriebe sich möglichst lückenlos vor Schädlingen schützen müssen. Das beginnt beim näheren Umfeld der Gebäude (z.B. Bewuchs, Erdreich, Wasser) und führt über die Zugänge (z.B. Türen, offene Fenster, Rohre, Lüftungsschächte) bis in das Innere, wo die Lebensbedingungen für unerwünschte „Besucher“ u.a. durch Luftfeuchte, Temperatur oder Grad der Reinigungsintensität beeinflusst werden können. Während die Bekämpfung von Mäusen und Ratten meist auf die Tötung der Eindringlinge z.B. mit Giften hinausläuft, kann bei Mardern oder Eichhörnchen der nationale bzw. europäische Artenschutz zu beachten sein, sodass gegebenenfalls mit Lebendfallen zu arbeiten ist. Zu den besonders streng geschützten Arten zählen die Fledermäuse. So heißt es im Bundesnaturschutzgesetz: „Es ist verboten, 1.) wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen (auch Umsiedlung!), zu beschädigen oder zu zerstören (siehe Gefährdung), 2.) wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert, 3.) Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören (siehe Quartiere).“ Wer dagegen verstößt, kann mit Strafen bis zu 50.000 Euro belegt werden. (Anm.1) In vielen Ländern fallen auch Tauben, Spatzen, Stare und andere Vögel unter das Artenschutzrecht. Bevor man diese aktiv bekämpft oder durch Fachunternehmen bekämpfen lässt, sollte man die zuständigen Behörden informieren um zu erfahren, ob die in Frage kommenden Bekämpfungsmethoden nicht gegen geltende Gesetze verstoßen.

Kulturschutz vs. Tierschutz? Alternativlos?

Während manche Wirbeltierschädlinge und Vögel nur lebend gefangen werden dürfen, um sie z.B. umzusiedeln, werden Insekten wie Käfer, Motten, Läuse, Schaben, Silberfischchen, Fliegen, Termiten, Milben oder Asseln meist getötet. In Kulturbetrieben werden unterschiedliche Methoden angewendet, darunter Klebefallen, Ultraviolett-Lichtfallen, Pheromone, Prädatoren (Räuber) oder chemische bzw. insektizide Verfahren. (Anm. 2) Effiziente und wirtschaftliche Alternativen zu dieser letalen Bekämpfung gibt es offenbar nicht. Gleichzeitig wissen wir seit einigen Jahren um den zunehmenden Verlust an Biomasse, die auch als Insektensterben bekannt geworden ist. Im Oktober 2017 ist in der Fachzeitschrift Science eine Studie veröffentlicht worden, die u.a. in Regionen von Nordrhein-Westfalen durchgeführt wurde und seit 1989 einen Rückgang der Fluginsekten-Biomasse von 77 bzw. 80 Prozent festgestellt hat. (Anm. 3) Für Kulturbetriebe, die sich auch vor Insekten schützen müssen, klingt die quantitative Abnahme potenzieller Schädlinge zunächst wie eine gute Nachricht. Bei näherem Zusehen erweist sie sich jedoch nicht nur als zynisch, sondern auch als enorm kurzsichtig, denn das Artensterben endet ja nicht mit dem Verschwinden der Insekten … Um den dramatischen Rückgang der Artenvielfalt zu verlangsamen, hat die Bundesregierung 2019 das Aktionsprogramm Insektenschutz beschlossen. Dieses sieht u.a. den besseren Schutz der Lebensräume von Insekten und die Eindämmung der Lichtverschmutzung vor. Außerdem soll es künftig „auch möglich sein, durch Rechtsverordnung die Verwendung von Insektenfallen außerhalb geschlossener Räume zu beschränken oder zu verbieten.“ (Anm. 4) Von letzterer Option werden Kulturbetriebe wohl nicht betroffen sein, aber gleichwohl können auch sie aktiv zur Verbesserung der Lebenssituation von Insekten beitragen.

Bäume pflanzen oder insektenfreundliche Ausgleichsflächen anlegen

Ein häufig genutzter Weg, um den CO2-Fußabdruck zu kompensieren, sind Zertifikate. Mit ihrem Kauf können Unternehmen dazu beitragen, dass z.B. weniger Bäume gefällt werden. Hierbei sollten Interessenten jedoch genau prüfen, ob die angebotenen Zertifikate auch halten, was sie versprechen. (Anm. 5) Eine andere Option ist es, selbst Bäume zu pflanzen. Diesen Weg geht z.B. das Bachfest Leipzig, das dabei hilft, im Leipziger Umland einen Wald mit ca. 126.000 entstehen zu lassen. Damit will das Bachfest den C02-Ausstoß ausgleichen, der durch das Reisen der Musiker, der Instrumente und vor allem der Gäste aus nah und fern entsteht. (Anm. 6)

Eine weitere Möglichkeit bietet das Projekt „Insect Respect“. Der Kerngedanke: „Ein Produkt tötet Insekten, die anschließend im Ökosystem fehlen. Für diesen Verlust wird ein Ausgleich geschaffen. Der Ausgleich erfolgt mit der Errichtung von insektenfreundlichen extensiven Flachdachbegrünungen im Siedlungs- oder Industrieraum. Dabei werden neue begrünte Flachdächer geschaffen oder bestehende aufgewertet. (…) Um die benötigte Ausgleichsfläche zu berechnen, wurde mit Hilfe der ARNAL – Büro für Natur und Landschaft AG ein ökologisches Modell für den bekämpfungsneutralen Insektenschutz erarbeitet. Die entwickelte Methodik – die weltweit erste dieser Art – basiert auf dem Gewicht der Insekten (Lebend-Biomasse).“ (Anm. 7) Ausgleichsflächen gibt es bislang in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Engagement für die Insektenvielfalt wird mit dem Gütesiegel INSECT RESPECT® gekennzeichnet. Das Bemerkenswerte an „Insect Respect“: Das Projekt wurde im Jahr 2012 von Hans-Dietrich Reckhaus initiiert, dem Geschäftsführer der Firma Reckhaus, die seit 60 Jahren auf die Entwicklung und Herstellung von Insektenbekämpfungsprodukten spezialisiert ist. 2017 hat die Bertelsmann Stiftung das Unternehmen Reckhaus für die „Stärkung des Bewusstseins für Artenvielfalt und die ökologische Bedeutung von Insekten“ ausgezeichnet. Mit Insektensprays, Mottenpapieren oder Fliegenfängern wendet sich die Produktpalette der Reckhaus GmbH & Co. KG zwar in erster Linie an private Haushalte, aber was hindert Kulturbetriebe daran, Ausgleichsflächen für jene Insekten zu fördern, die zum Schutz der Kunst- und Kulturgüter, aber zum Nachteil der Artenvielfalt getötet werden?

Anm. 1: § 44 Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz - BNatSchG), 29.07.2009; Quelle: https://www.gesetze-im-internet.de/bnatschg_2009/BJNR254210009.html ; Abfrage: 06.02.2023
Anm. 2: David Pinninger, Bill Landsberger u.a., Handbuch Integriertes Schädlingsmanagement in Museen, Archiven und historischen Gebäuden, Berlin 2016, S. 92 ff.
Anm. 3: Vgl. Gretchen Vogel, Where have all the insects gone? Surveys in German nature reserves point to a dramatic decline in insect biomass, in: Science, 10.05.2017; Quelle: https://www.science.org/content/article/where-have-all-insects-gone ; Abfrage: 06.02.2023
Anm. 4: Maßnahmen für mehr Insektenschutz, in: Bundesministerium für Umwelt und Naturschutz; Quelle: https://www.bmuv.de/insektenschutz/massnahmen-des-bmu ; Abfrage: 06.02.2023
Anm. 5: Vgl. Tin Fischer und Hannah Knuth, Grün getarnt. Weltweit setzen Unternehmen zum Erreichen ihrer Klimaziele auf Kompensationen. Dabei haben sie sich offenbar über Jahre mit Zertifikaten freigekauft, die viel weniger CO2 einsparen als versprochen. Die Geschichte eines globalen Skandals, in: Die ZEIT, 18.01.2023
Anm. 6: Vgl. Berthold Schmitt, Mehr Kulturpflanzen! Was Kulturbetriebe zum C02-Ausgleich beitragen können, in: KulturBetrieb, eins 2021, S. 46.
Anm. 7: Insect Respect; Quelle: insect-respect.org/respekt/ ; Abfrage: 06.02.2023

Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb, eins 2023, S. 58 f.