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Gibt es NS-Raubkunst in unseren Beständen?

Projekt „Erstcheck“ unterstützt Kulturbetriebe

In nicht wenigen Archiven, Bibliotheken und Museen kommt Unsicherheit auf: Gibt es Stücke, die unrechtmäßig in die Bestände gelangt und nun zu restituieren sind? Wie soll man vorgehen und worauf ist zu achten? Die gute Absicht ist da, aber vielfach fehlen jedoch Know-how und Personal, um die mitunter komplexen Fälle sachlich und rechtlich angemessen zu klären. Die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (DZK) hat ein Projekt aufgelegt, das insbesondere kleineren Einrichtungen finanzielle Hilfe bietet.

Erstcheck Provenienzforschung

Am 1. Juli 2017 hat das Projekt in fünf Einrichtungen aus Dessau, Magdeburg, Wernigerode, Sangerhausen und Zerbst begonnen. Ziel ist es „in den ausgewählten Bibliotheken festzustellen, ob ein Verdacht auf NS-verfolgungsbedingt entzogene Bücher („NS-Raubgut“) in den jeweiligen Medienbeständen vorliegt. Mit dem „Erstcheck“ kann dann der Bedarf an einer weitergehenden, langfristigen Provenienzforschung ermittelt oder auch ausgeschlossen werden.“ (Anm. 1) Das auf sechs Monate angelegte Vorhaben, das vom Landesverband Sachsen-Anhalt im Deutschen Bibliotheksverband e.V. getragen und aus Mitteln des DZK gefördert wird, ist aus einem Pilotprojekt hervorgegangen, das der Landschaftsverband Südniedersachsen e.V. von Juni bis November 2016 mit folgender Bilanz durchgeführt hat: „Verdächtige Objekte sowie solche mit unklarer Provenienz, besonders aus dem Erwerbungszeitraum 1933 bis 1945, aber auch spätere Zugänge, wurden dokumentiert. Im Fall positiver Befunde wird ein Anschlussprojekt anvisiert, das die Verdachtsfälle möglichst klären bzw. eine angemessene weitere Vorgehensweise ermöglichen soll (Restitution, Veröffentlichung in der Lost Art-Datenbank o.ä.). Die Ergebnisse werden publiziert. In vier der fünf Museen wurden verdächtige Objekte sowohl in den Sammlungen als auch in den Altbeständen der Museumsbibliotheken dokumentiert. In Clausthal-Zellerfeld konnte der Verdacht der Arisierung eines Grundstücks durch das Museum entkräftet werden. In der zum Clausthaler Museum gehörenden Harz-Bibliothek wurden allerdings einige verdächtige Bücher dokumentiert.“ (Anm. 2)
Parallel zu den Bibliotheks-Projekten wurde und wird der Erstcheck auch in Museen durchgeführt, so z.B. von Oktober 2016 bis Februar 2017 in Einrichtungen, die zum Museumsverband Sachsen-Anhalt e.V. gehören. (Anm. 3) Bereits im Jahr 2012 hat der Museumsverband Brandenburg e.V. in ausgewählten Häusern ein erstes Projekt Provenienzforschung durchgeführt. (Anm. 4)

Verschlungene Pfade

Auf den ersten Blick mag es sonderbar anmuten, den „Erstcheck“ ohne konkreten Verdacht durchzuführen. Wie unersetzlich aber das systematische Vorgehen sein kann, zeigt der Fall der Stadtbibliothek Bautzen. Im Jahr 2016 wurden dort rund 500 Bücher gefunden, die einst der jüdischen Familie Tietz gehörten, Mitinhaber des Kaufhauskonzerns HERTIE. Bislang hatte man angenommen, die 1938 enteigneten Bände seien nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion abtransportiert worden. Tatsächlich aber sind die Bücher auf ungeklärten Wegen nach Bautzen gelangt. (Anm. 5) Nun ist die Stadtbibliothek Bautzen Teil eines langfristigen Projektes zur systematischen Prüfung von Sammlungsbeständen. (Anm. 6)

Fördermittel: Wer? Wie?

Das DZK „ist national und international der zentrale Ansprechpartner zu Fragen unrechtmäßiger Entziehungen von Kulturgut in Deutschland im 20. Jahrhundert. (…) Grundsätzlich können alle öffentlich unterhaltenen Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland – vornehmlich Museen, Bibliotheken und Archive – einen Antrag auf Projektförderung (…) stellen. Antragsberechtigt sind auch privat getragene Einrichtungen und Privatpersonen, die bei der eigenen Suche nach NS-Raubgut gerechte und faire Lösungen gemäß den Washingtoner Prinzipien und der Gemeinsamen Erklärung anstreben und an deren Unterstützung im Einzelfall ein öffentliches Interesse besteht. In der Regel sind Verdachtsmomente auf im Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut in den Beständen Voraussetzung für einen Antrag. Mit der Zuwendung soll Forschung ermöglicht werden. Daher können die beantragten Mittel für die Schaffung von befristeten Personalstellen, für Werkverträge, aber auch für Reisekosten oder Sachausgaben eingesetzt werden. (…) Für einzelfallbezogene Rechercheprojekte – etwa bei Auskunfts- oder Rückgabeersuchen – und die Durchführung eines „Erstchecks“ kann eine Vollfinanzierung des Projekts beantragt werden. Der Antragsteller muss in der Regel keinen Eigenanteil leisten. Es kann eine Zuwendung bis maximal 15.000 € beantragt werden. Bestandsprüfungen in kleinerem Umfang sind im Ausnahmefall auch förderfähig. Ein Antrag kann für eine Dauer von bis zu 6 Monaten gestellt werden, eine Verlängerung ist nicht möglich. Ein Antrag für kurzfristigen Forschungsbedarf kann jederzeit eingereicht werden.“ (Anm. 7)

Restitutionsfälle entdeckt! Was nun?

Die Überprüfung der Bestände auf unrechtmäßige Zugänge ist das Eine. Der weitere Umgang mit den betroffenen Objekten das Andere. Mit Unterzeichnung der Washingtoner Erklärung (1998) hat sich Deutschland verpflichtet, NS-bedingt beschlagnahmte Werke ausfindig zu machen und für „gerechte und faire Lösungen“ zu sorgen. (Anm. 8) Dabei können komplexe juristische Sachverhalte vorliegen. Ein verbindliches rechtliches Regelwerk zu Vorhaben bzw. Begehren der Restitution gibt es nicht, d.h. in der Regel ist eine Einzelfallprüfung unumgänglich. Eine Orientierungshilfe für Prüfung und Entscheidung hinsichtlich Restitutionen bietet die „Handreichung zur Umsetzung der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz.“ (Anm. 9)

Redaktion

Anm. 1: Erstmals „Erstcheck“-Projekt zur Suche nach NS-Raubgut auch in Bibliotheken, 04.07.2017, Quelle: https://www.kulturgutverluste.de/Content/02_Aktuelles/DE/Meldungen/2017/Juli/17-07-04_Beginn-Erstcheck-Bibliotheken-Sachsen-Anhalt.html?nn=103256; Abfrage: 05.08.2017
Anm. 2: Erst-Check in fünf Stadt- und Regionalmuseen – ein Pilotprojekt zur Provenienzforschung in Südniedersachsen, März 2017, Quelle: https://www.kulturgutverluste.de/Content/03_Forschungsfoerderung/Projekt/Landschaftsverband-Suedniedersachsen-e-V-Goettingen/Projekt1.html; Abfrage: 05.08.2017
Anm. 3: Pilotprojekt zur Provenienzforschung in Sachsen-Anhalt beginnt – Erst-Check in fünf Museen; 26.07.2016; Quelle: https://www.kulturgutverluste.de/Content/02_Aktuelles/DE/Meldungen/2016/Juli/16-07-26_Pilotprojekt-Erstcheck-Sachsen-Anhalt.html; Abfrage: 05.08.2017
Anm. 4: Vgl. Iris Berndt, Provenienzforschung in Brandenburg. Erstcheck in Stadt- und Regionalmuseen, in: Museumsblätter – Mitteilungen des Museumsverbandes Brandenburg (Hrsg.), 2013, Heft 23, S. 14-17.
Anm. 5: Vgl. Berthold Schmitt, Woher kommen unsere Bestände? Stadtbibliothek Bautzen erforscht die Herkunft ihrer Bücher, in: KulturBetrieb, eins 2017, S. 36-37.
Anm. 6: Suche nach NS-Raubgut in den Beständen der Stadtbibliothek Bautzen, SG Altbestand/Regionalkunde im Zugangszeitraum 1933-1945; Quelle: https://www.kulturgutverluste.de/Content/03_Forschungsfoerderung/Projekt/Stadtbibliothek-Bautzen/Projekt1.html; Abfrage: 05.08.2017
Anm. 7: Aufgaben und Themenbereiche bzw. Förderung der Provenienzforschung im Bereich "NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut" (NS-Raubgut); Quelle: https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Stiftung/Aufgaben/Index.html und https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Forschungsfoerderung/Projektfoerderung-Bereich-NS-Raubgut/Index.html;jsessionid=C514FCF78E7A6DA7737F28A737C53983.m7; Abfrage: 05.08.2017
Anm. 8: Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden (Washington Principles); Quelle: https://www.kulturgutverluste.de/Content/08_Downloads/DE/Washingtoner-Prinzipien.html?nn=102228; Abfrage: 05.08.2017
Anm. 9: Erstmals erstellt 1999, überarbeitet im November 2007; Quelle: https://www.kulturgutverluste.de/Content/08_Downloads/DE/Handreichung.pdf?__blob=publicationFile&v=3; Abfrage: 05.08.2017

Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb, zwei 2017, S. 102-103.

Zum Magazin: http://www.kulturbetrieb-magazin.de/fileadmin/user_upload/kulturbetrieb-magazin/magazin/KulturBetrieb-2017-Ausgabe-2-November.pdf