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Der Klimakorridor ist erweitert! Und nun?

Museen machen erste Erfahrungen mit der nicht mehr ganz so strengen Klimatisierung

 

Extrem gestiegene Kosten für Energie machen Archiven, Bibliotheken, Museen u.a. kulturbewahrenden Einrichtungen zu schaffen. Um die damit einhergehenden finanziellen Lasten besser zu schultern, hat der Bund den Kulturfonds Energie aufgelegt, der mit einer Milliarde Euro ausgestattet ist. Damit können Kultureinrichtungen und Kulturveranstaltende einen beachtlichen Teil ihrer Mehrbedarfe abfedern. Der Förderzeitraum des Kulturfonds reicht vom 1. Januar 2023 bis zum 30. April 2024. (Anm. 1)

Erweiterter Klimakorridor soll schnell umgesetzt werden, …

Da der Kulturfonds Energie nur einen Teil der Mehrkosten ausgleichen wird, sind Kulturbetriebe weiterhin gehalten, Energie einzusparen. Stellschrauben dafür gibt es einige. Am einfachsten ist es, in den Büros und Sozialräumen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Heizung herunter zu drehen. Kompliziert kann es dagegen in Sammlungen und Ausstellungsräumen werden, wo es aus konservatorischen Gründen auf das korrekte und stabile Verhältnis zwischen Luftfeuchtigkeit und Temperatur ankommt. Aber auch in diesem sensiblen Bereich ist aufgrund der aktuellen Krisenlage nichts mehr in Stein gemeißelt. Mit Blick auf die Einsparung von Energiekosten hat der Deutsche Museumsbund (DMB) im September 2022 „zur schnellen Umsetzung empfohlen“, einen erweiterten Klimakorridor einzuführen – allerdings nur als Notfallmaßnahme und unter bestimmten Bedingungen. Der Verband der Restauratoren (VDR), das Doerner Institut und das Rathgen-Forschungslabor tragen die Empfehlung mit. (Anm. 2)
Für den Umgang mit Sammlungsgut heißt es: „Statt eines einzelnen Sollwerts (single set point) wird ein Klimakorridor im Betrieb mit festen Grenzwerten (dual set point) empfohlen. Das bedeutet, dass alle Werte innerhalb des Korridors als akzeptabel bewertet werden, sofern das Sammlungsgut keinen spezifischen konservatorischen Anforderungen unterliegt. Das dauerhafte Ausreizen der Grenzwerte sollte dabei jedoch vermieden werden. Bei extrem hohen Außentemperaturen sind zur Einhaltung der Grenzwerte ggf. ergänzende organisatorische Maßnahmen zur Reduzierung des Wärmeeintrags notwendig. Konkret bedeutet dies:
• Ausstellungen: Für die Temperatur ist ein Grenzwert zwischen 18°C und 26°C zulässig. Die relative Luftfeuchtigkeit darf zwischen 40% und 60% liegen.
• Depots: Hier darf die Temperatur zwischen 15°C und 26°C schwanken und die relative Luftfeuchte zwischen 40% und 60%.

Dabei ist zu beachten, dass etwaige Schwankungen nicht abrupt eintreten, sondern langsam ablaufen. Bezogen auf eine Zeiteinheit von 24 Stunden bedeutet dies:
• Relative Luftfeuchte: + 5% oder - 5%
• Temperatur: + 2 oder - 2 K

Ferner bleibt zu beachten, dass für Dauerarbeitsplätze (Arbeitsplätze mit ständigem Aufenthalt) die Arbeitsstättenrichtlinie (ASR) uneingeschränkt gilt.

… aber geht das so einfach?

Kenner der Materie wissen, dass es bei der Erweiterung des Klimakorridors nicht damit getan sein wird, eben mal an der Klimaanlage einen neuen Sollwert einzustellen, auf den Startknopf zu drücken und sich dann anderen Aufgaben zu widmen. Woran das liegt? Zum Beispiel daran, dass die Gebäudeleittechnik (GLT) nicht selten eine sehr komplexe Angelegenheit ist, bei der es – Stichwort Gebäudeautomation (GA) – um die Gesamtheit von Überwachungs-, Steuer-, Regel- und Optimierungseinrichtungen eines Gebäudes gehen kann.

• Steuerungsoption: Haben die hauseigene Techniker/innen überhaupt den umfassenden Zugriff auf die GLT oder ist das Facility Management an einen Dienstleister ausgelagert? Wie funktioniert die Zusammenarbeit?
• Verhalten der Anlage: Wie reagieren die technischen Parameter auf eine Veränderung? Macht die neu eingestellte Klimaanlage überhaupt das, was beabsichtigt ist?
• Auswirkungen: Wie wirkt sich der in einem Abschnitt A eingestellte neue Wert auf die Bedingungen in Abschnitt B aus? Wie entwickeln sich z.B. die Feuchtewerte bei niedrigeren Raumtemperaturen?
• Konsequenzen: Wie sind die kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Auswirkungen?
• Monitoring und Evaluierung: Gibt es ausreichend Personal, Gerätschaften und Know-how um die in Gang gesetzten Änderungen zu kontrollieren, auszuwerten, zu dokumentieren und gegebenenfalls zu korrigieren?

Auch solche Fragen bzw. Unwägbarkeiten haben die Empfehlungen des DMB im Blick: „Alle Änderungen an bisher bestehenden Klimaparametern im Umfeld von Sammlungsgut müssen mit einem hinreichenden Monitoring und Evaluierungen begleitet und ausgewertet werden. Die dafür erforderlichen Ressourcen sind bereitzustellen. Langfristig sollte ein holistisches Risikomanagement in die Prozesse des Museumsmanagements eingebettet werden.“ Vor diesem Hintergrund empfehlen Ingenieur/innen den Museen dringend, sich intensiv mit der hauseigenen Technik zu befassen, um diese besser zu kennen und im Bedarfsfalle angemessen und souverän auf unliebsame Überraschungen reagieren zu können. Ob ein solches Monitoring aber von allen Museen und Ausstellungshäusern geleistet werden kann, ist fraglich.

Und was tut sich international?

Mit Blick auf gestiegene Energiekosten reagieren auch weltweit renommierte Museen, darunter das Guggenheim im spanischen Bilbao und Rijksmuseum in Amsterdam, das vom 10. Februar bis zum 4. Juni 2023 Werke von Johannes Vermeer zeigt. Um Geld zu sparen, haben beide Häuser ihre konservatorischen Standards aufgeweicht und erlauben seither einen erweiterten Korridor von Feuchte und Temperatur. „The Guggenheim Bilbao is on track to save 20,000 euros (about $21,800) a month, since it decided to allow a slightly wider range of temperatures and humidity levels, said Daniel Vega, one of the museum’s deputy directors. (…) Some museum organizations and governments are starting to act, too. In December, the British government, which sometimes acts as the insurer for state-funded museums, suspended minimum temperature requirements for works covered by its art insurance program, to help cash-strapped institutions save money during a cold winter. The suspension, which runs until March 31, was “not expected to produce a negative impact on collections and loan items,” a government spokesperson said in a statement.“ (Anm. 3)

Wie ist bei Leihnahmen zu verfahren?

Natürlich legen die Museen größten Wert auf die Mitteilung, dass die veränderten klimatischen Bedingungen in ihren Ausstellungsräumen das Ergebnis sorgfältiger und monatelanger Erprobung seien, sodass für die Kunstwerke keine Gefahr bestehe. Für die ständige Sammlung sowie für Stücke aus eigenen Beständen ist demnach offenbar gut gesorgt. Wie aber verhält es sich mit Leihnahmen? Unter welchen Umständen darf ein Museum die klimatischen Bedingungen ändern, die in dem Leihvertrag vereinbart worden sind? Was sagen die Leihgeber? Was sagen die Versicherer? Da man hierzulande um diese Problematik weiß, ist die DMB-Arbeitsgruppe „Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Museum“ bereits im September 2022 mit Versicherungen in den Austausch gegangen, um zu überlegen, welche Handlungsempfehlungen Museen im Bereich Versicherungsschutz und Objekt-Handling gegeben werden können. Unter anderem wird empfohlen: „Museen sollten verstärkt in den Austausch mit Versicherungen gehen. Beispielsweise wird in vielen Leihverträgen bei der Klimatisierung von Objekten ein enger Klimakorridor gefordert. Durch eine Erweiterung dieses Korridors und die Anpassung der Leihverträge kann viel Energie eingespart werden. Versicherungen sind von der fachlichen Expertise der Museen abhängig und können auf Einzelfälle reagieren und ebenfalls ihren Versicherungsschutz anpassen.“ (Anm. 4)
Das Guggenheim Bilbao zeigt sich auch in der Frage des Umgangs mit Leihnahmen entschlossen: „Since October, the Guggenheim has been celebrating its 25th anniversary with an exhibition of works from its own collection – meaning its galleries are now free from loan items. It took the opportunity to roll out the new standards in every gallery in the museum. Those new standards will remain for future shows, Vega said: Lenders can take them or leave them. All of the lenders for a forthcoming Joan Miró exhibition said they were happy with the changes, Vega said. But one European museum that had been lined up to send an Oskar Kokoschka painting for an upcoming retrospective was insisting on tighter climate controls. If that museum, which Vega declined to name, did not change its position soon, the Guggenheim would leave the work out of the show, he said. `We are not going to go back on this strong statement,´ Vega said.“ (Anm. 5)

Anm. 1: Vgl. Berthold Schmitt, Kulturfonds Energie. Bund unterstützt Kultureinrichtungen bei der Bewältigung steigender Energiekosten in vorliegender Ausgabe von KulturBetrieb.
Anm. 2: Deutscher Museumsbund, Empfehlung zur Energieeinsparung durch die Einführung eines erweiterten Klimakorridors bei der Museumsklimatisierung, September 2022; Quelle: https://www.museumsbund.de/wp-content/uploads/2022/11/klimakorridor-fuer-sammlungsgut.pdf ; Abfrage: 13.02.2023
Anm. 3: Alex Marshall, As energy costs bite, museums rethink a conservation credo, in: The New York Times, 08.02.2023; Quelle: https://www.ekathimerini.com/nytimes/1204189/as-energy-costs-bite-museums-rethink-a-conservation-credo/ ; Abfrage: 17.02.2023
Anm. 4: Art Handling und Leihverkehr – Austausch mit Versicherungen, in: DMB, 20.09.2022; Quelle: https://www.museumsbund.de/art-handling-und-leihverkehr-austausch-mit-versicherungen/ ; Abfrage: 17.02.2023
Anm. 5: A. Marshall, a.a.O.

Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb, eins 2023, S. 48 f.