Diese Webseite nutzt Cookies

Diese Webseite nutzt Cookies zur Verbesserung des Erlebnisses unserer Besucher. Indem Sie weiterhin auf dieser Webseite navigieren, erklären Sie sich mit unserer Verwendung von Cookies einverstanden.

Belastetes Erbe im Haus? Was nun?

Herkunftsforschung ist das eine. Zukunftsfähige Lösungen das andere.

Seit geraumer Zeit werden bundesweit Archive, Bibliotheken, Museen u.a. kulturbewahrende Einrichtungen auf belastetes Erbe durchsucht. Neben dem sog. NS-Raubgut gilt das Augenmerk der Provenienzforschung hierzulande den Verlusten während der sowjetischen Besatzung und in der DDR sowie Kulturgütern aus Kontexten europäischer Kolonisation. Im Zuge zeit- und personalintensiver Recherchen werden zahllose Objekte ausfindig gemacht und vielfach an die Alteigentümer bzw. deren Erben oder Rechtsnachfolger restituiert. Was aber tun mit jenen Objekten, darunter auch NS-Relikte, die einstweilen oder dauerhaft in den Kulturbetrieben verbleiben bzw. immer noch dorthin gelangen? Alles in den „Giftschrank“?

Zum Diskussionsgegenstand machen …

Unter dem Titel „Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum“ fragt das Haus der Geschichte Österreich (hdgö) nach der gesellschaftlichen Verantwortung im Umgang mit Relikten des Nationalsozialismus und setzt sich damit auseinander, wie diese Dinge das demokratische Bewusstsein in der Gegenwart stärken können. Von Hitler-Büsten über Massenobjekte der NS-Propaganda bis hin zu „belasteten“ Möbeln: Wöchentlich erreichen das hdgö Angebote aus der Öffentlichkeit für mögliche Sammlungszugänge. Oft kommen auf diese Weise auch Objekte aus der Zeit des Nationalsozialismus ins Museum, die jahrzehntelang in privaten Haushalten oder auch in öffentlichen Institutionen aufbewahrt wurden. Sollen solche NS-Überbleibsel entsorgt, verkauft oder zerstört werden? Wie umgehen mit Objekten, die Gefühle zwischen Scham, Abgrenzung und Faszination auslösen? Was ist Erinnerung, was schon Verklärung und was gar Wiederbetätigung? Anhand von 14 ausgewählten Schenkungen macht das hdgö transparent, unter welchen Gesichtspunkten es diese Objekte in die Sammlung übernimmt und somit für zukünftige Generationen aufbewahrt. Die Ausstellung fragt aber auch, was die Besucherinnen und Besucher mit den Überbleibseln tun würden: Aufbewahren? Verkaufen? Zerstören? An drei Stationen stellt das hdgö zur Diskussion, wie Menschen heute mit NS-Objekten umgehen. Was ist angemessen, was fragwürdig? Was ist verboten, wo liegen Graubereiche?

Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum
(Haus der Geschichte Österreich, Wien, 12.12.2021 bis 09.10.2022)
Informationen: https://www.hdgoe.at/hitler_entsorgen

… oder treuhänderisch verwahren?

Gleichsam von der entgegengesetzten Seite her können Museen u.a. kulturbewahrende Einrichtungen es aber auch mit Gegenständen zu tun haben, die einst jüdischen Mitbürgern gehörten, dann in „arischen“ Besitz kamen und nun öffentlichen Sammlungen zum Verbleib angeboten werden. Zahlenmäßig geschieht dies (bislang) nicht oft, aber es kann Häuser vor ein Problem stellen, das gelöst werden will.
Ein Weg ist das sog. Oldenburger Modell. Bereits seit 2011 forscht das Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg nach der Herkunft der hauseigenen Bestände. 2014 hat man gemeinsam mit dem Stadtmuseum Oldenburg und jüngst mit dem Schlossmuseum Jever die treuhänderische „Restitutionssammlung“ gegründet. „Privatpersonen können verdächtige oder bereits als Raubgut identifizierte Stücke als Leihgabe in diese Sammlung geben, in der sie mit dem Ziel der Restitution verwahrt werden. Auf Wunsch kann dies anonym geschehen, so dass Sorgen um den Ruf der Vorfahren keinen Hinderungsgrund darstellen. Damit die belasteten Stücke nicht dauerhaft in den Museen verbleiben, wird ein Leihvertrag aufgesetzt, der die Befristung der Objektübernahme regelt. Darüber hinaus wird schriftlich vereinbart, dass sich der Leihgeber mit der Restitution einverstanden erklärt, sollte sich die Herkunft des betreffenden Werkes oder Objektes klären lassen. Ziel ist es, potentielles NS-Raubgut aus der geschützten Privatsphäre in einen öffentlichen Raum zu überführen, so dass es gezeigt, gesehen und eventuell wiedererkannt werden kann.“ (Anm. 1) Der Umstand, dass Privatpersonen sich von belasteten oder verdächtigen Dingen trennen wollen, ist nicht auf das Oldenburger Land begrenzt. In vielen Regionen arbeiten Menschen ihre eigene Familiengeschichte auf und stoßen dabei auf Gegenstände, die aus ehemaligem jüdischem Besitz stammen oder stammen könnten. Wer sich scheut, diese Funde zu zerstören, zu entsorgen oder zu verkaufen, kann auf den Gedanken kommen, die Stücke einem Museum anzubieten, auch als Schenkung. Wie aber sollen die Häuser damit umgehen?

Leitfaden für professionellen Umgang mit belastetem Erbe

Der größte Teil des zwischen 1933 und 1945 von Juden geraubten Besitzes waren keine hochwertigen Kultur- und Kunstobjekte, sondern Möbel, Hausrat, Kleidungsstücke und andere Gegenstände des Alltags. Noch heute befinden sich viele dieser Dinge in privaten Haushalten, oft mit einer besonderen Erzählung über die Herkunft versehen. „Der Besitz von Objekten mit unklarer oder verdächtiger Provenienz verunsichert viele Privatpersonen, und Museen erscheinen viele als die erste und beste Anlaufstelle, um die Gegenstände dort abzugeben: Manchmal tauchen die Menschen einfach im Foyer auf und versuchen, dem Kassenpersonal der Gegenstände über die Theke zu reichen, um dann zu gehen, ohne ihren Namen und Kontaktdaten zu hinterlassen. Manche schicken Gegenstände mit der Post, nicht immer mit Angabe des Absenders. Vor allem jüdische Museen werden kontaktiert.“ (Anm. 2) Mit Blick auf diese Erfahrungen hat Carolin Lange den Leitfaden „Der Raub der kleinen Dinge. Belastetes Erbe aus Privatbesitz“ verfasst, um Museen bei oftmals schwierigen Entscheidungen eine Hilfestellung zu geben. Die Publikation skizziert zunächst die ungeheure Dimension des Raubs von Alltags- und Gebrauchsgegenständen sowie Wege der sog. Arisierung. Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels steht die Frage „In die Sammlung holen oder nicht?“ Neben dem Für und Wider werden auch rechtliche Aspekte erläutert. Zentrales Thema des dritten Kapitels sind „Recherche und Dokumentation der Objektprovenienz“. Dazu zählt auch die richtige Gesprächsführung mit den heutigen Besitzern, denn vielfach geht es um komplexe familiäre Sachverhalte, die immer noch stark emotional besetzt sein können. Schließlich gibt der Leitfaden Tipps für eine angemessene Vermittlung und Präsentation der in die Sammlung übernommenen Stücke.

Carolin Lang, Der Raub der kleinen Dinge. Belastetes Erbe aus Privatbesitz. Ein Leitfaden für Museen; Landestelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern (MuseumsBausteine; Bd. 22), München 2022, 80 Seiten

Hotel Elefant geht mit Rockstar in die Offensive

Der Umgang mit NS-Erbe ist nicht nur für öffentliche Einrichtungen eine Herausforderung. Auch private Unternehmen können davon betroffen sein, z.B. in Form von Immobilien. Das heutige Gebäude des legendären Hotel Elephant wurde von der NSDAP und 1937/38 neu erbaut. Bald avancierte das Haus zur bevorzugten Herberge von Adolf Hitler, wenn er in Weimar war. Wie aber umgehen mit der Suite des Diktators? Um sich von der dunklen Vergangenheit des Nobelhotels zu distanzieren, wurde Hitlers ehemalige Suite 1997 dem deutscher Rockmusiker, Schriftsteller und Maler Udo Lindenberg (Jg. 1946) gewidmet.

Berthold Schmitt, Herausgeber der Fachzeitschrift KulturBetrieb

Anm. 1: Restitutionssammlung (Oldenburger Land), Quelle: https://www.landesmuseum-ol.de/sammlungen/forschung/provenienzforschung.html ; Abfrage: 22.02.2022
Anm. 2: Der Raub der kleinen Dinge, Prolog, S. 17.

Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb, eins 2022, S. 28 f.