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Adam und Eva - wieder nackt, wie der Künstler sie schuf

Software macht Übermalungen `unsichtbar´

Wissenschaftler der Universität Cambridge haben eine Software entwickelt, die bei der Restaurierung von Arbeiten auf Papier erstaunliche Optionen bietet: Das Programm rekonstruiert nicht nur fehlende Farbstellen, sondern es kann auch spätere Übermalungen `verschwinden´ lassen.

Digitale Rekonstruktion des Originals

Das Fitzwilliam Museum im englischen Cambridge bewahrt mit der „Fibel der Claude de France“ (Signatur MS 159) ein ausgesprochen seltenes mittelalterliches Kinder- und Lesebuch auf. Die französische Königin Anne de Bretagne ließ um 1505 für ihre Tochter Claude (1499-1524) eine Fibel herstellen, mit der die Prinzessin lesen und beten lernen sollte. Die kostbaren Illustrationen, darunter auch nackte Figuren, sind Werke des italienischen Malers und Bildhauers Guido Mazzoni. (Anm. 1) Ein späterer Eigentümer hat die Darstellungen offenbar als unschicklich empfunden und viele Partien von unbekannter Hand übermalen lassen: „Eva mit einem kaum verhüllenden dünnen Schleier und Adam mit einem wenig schmeichelhaften, grob gemalten Lendenschurz. (…) Die einzig unveränderten Figuren zeigen das Paar nach dem Sündenfall, bedeckt mit Feigenblättern.“ (Anm. 2)

Algorithmen machen es möglich

Im Rahmen einer Ausstellung zum 200. Gründungstag des Fitzwilliam Museums (Anm. 3) ist die Handschrift nun wieder im originalen Zustand zu sehen – als digitale Rekonstruktion. Durch Untersuchungen mit Infrarotstrahlen waren die Übermalungen zwar bekannt, aber dem Museum waren angesichts des fragilen Materials Papier die Hände gebunden, wie Kuratorin Stella Panayotova sagt: „Während bei Gemälden des Öfteren spätere Übermalungen entfernt werden, konnten wir eine gute erhaltene Seite im originalen Zustand nicht anrühren.“ Als Panayotova davon hörte, dass die Abteilung für Angewandte Mathematik und Theoretische Physik der Universität Cambridge ein Programm entwickelt hatte, mit dem fehlende Farbstellen in Gemälden anhand von Resten von Pigmenten wiederhergestellt werden können, fragte sie ob es möglich sei, den Prozess umzukehren und vorhandene Farben abzustreifen. „Das Ergebnis hat unsere Erwartungen weit übertroffen, ohne das Original in die Hände nehmen zu müssen – ausschließlich durch Algorithmen.“ (Anm. 4)

Übermalen, verbergen, verpixeln

Die Kunstgeschichte kennt viele Beispiele, in denen Nacktheit als anstößig empfunden und nachträglich `korrigiert´ wurde. Während in früheren Zeiten Fresken und Gemälde übermalt bzw. antike Statuen mit Feigenblättern versehen wurden, begnügte man sich beim Staatsbesuch des iranischen Präsidenten in Italien im Januar 2016 damit, die nackten Tatsachen in den Kapitolinischen Museen hinter schrankähnlichen Konstruktionen zu verbergen. Für Empörung sorgte im September 2016 die Forderung von Facebook, die Foto-Ikone „Napalm-Mädchen“ (1972) von Nick Út zu verpixeln oder ganz aus dem sozialen Netzwerk zu entfernen. Nach massiver Kritik und dem Vorwurf von „Zensur und Machtmissbrauch“ stellte das Unternehmen das Foto wieder online: „Obwohl auf dem Bild ein unbekleidetes Kind zu sehen sei, erkenne das Online-Netzwerk die historische Bedeutung des Fotos an, erklärte Facebook am Freitag. Das Teilen dieses Bildes habe deshalb einen höheren Stellenwert als der Schutz der Gemeinschaft durch seine Löschung. Die Systeme sollen so angepasst werden, dass das Bild auch in Zukunft beim Teilen nicht gelöscht werde.“ (Anm. 5)

Dr. Berthold Schmitt, Herausgeber der Fachzeitschrift KulturBetrieb

Anm.1: Vgl. http://www.fitzmuseum.cam.ac.uk/gallery/cambridgeilluminations/themes/4; Abfrage: 18.09.2016
Anm. 2: Maev Kennedy, Unveiled: Adam and Eve naked again after centuries-old cover-up (25.07.2016), in: https://www.theguardian.com/artanddesign/2016/jul/25/adam-eve-naked-again-after-centuries-old-cover-up-fitzwilliam-museum; Abfrage: 18.09.2016
Anm. 3: COLOUR: The Art and Science of Illuminated Manuscripts, 30.07.-30.12.2016; http://www.fitzmuseum.cam.ac.uk/colour
Anm. 4: Kennedy, Unveiled, Abfrage: 18.09.2016; Übersetzungen aus dem Englischen: Verfasser.
Anm. 5: Facebook gibt im Streit über „Napalm-Mädchen“ nach (12.09.2016), Quelle: https://www.welt.de/wirtschaft/webwelt/article158040350/Facebook-gibt-im-Streit-ueber-Napalm-Maedchen-nach.html; Abfrage: 18.09.2016

Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in "KulturBetrieb. Magazin für innovative und wirtschaftliche Lösungen in Museen, Bibliotheken und Archiven", vier 2016, S. 48.

Link: http://www.kulturbetrieb-magazin.de/fileadmin/user_upload/kulturbetrieb-magazin/magazin/KulturBetrieb-2016-Ausgabe-4-Oktober.pdf