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Wie erreicht man die, die nicht kommen?

Der Nicht-Besucher bleibt ein großes Rätsel

 

„There are known knowns ...
But there are also unknown unknowns.“
Donald Rumsfeld

Wiederholt gibt es Anläufe, den sog. Nicht-Besucher doch noch für einen Besuch im Museum oder in einem Ausstellungshaus zu gewinnen. Entsprechende Studien befassen sich – Stichwort: Kulturelle Teilhabe – mit der Frage, wer dieser Nicht-Besucher ist und weshalb er die vielfältigen und sinnstiftenden Angebote ignoriert. Regelmäßiges Fazit: Freier Eintritt allein genügt nicht! (Anm. 1) Nun hat das Land Berlin sich daran gemacht, den Nicht-Besucher besser zu verstehen.

Menschen bevorzugen Internet, TV und PC

Da Deutschland sich als Bildungsgesellschaft versteht, investiert die öffentliche Hand viel Geld in Bau, Ausstattung und Betrieb von Archiven, Bibliotheken, Museen und anderen kulturbewahrenden Einrichtungen. All diesen Bemühungen zum Trotz, scheinen sich aber immer weniger Menschen für die Einrichtungen und deren Inhalte zu interessieren. Bereits 2017 hat eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach gezeigt, dass die Attraktivität von Kunst und Kultur abnimmt – selbst bei höher Gebildeten mit überdurchschnittlichem Einkommen. Insgesamt geben 40 Prozent aller Befragten an, sich für die Kunst- und Kulturszene zu interessieren, aber nur neun Prozent haben ein besonderes Interesse. (Anm. 2) Für öffentliche Museen ist das ein Problem, denn sie stehen „im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung“ (ICOM)und deshalb als Bildungsorte der besonderen Art wahrgenommen und aufgesucht werden. (Anm. 3). Aber das ist ein mühsames Geschäft: Auch nach über 40 Jahren bleibt Hilmar Hoffmanns Dictum „Kultur für alle!“ eine Utopie. Es gibt zwar mehr Museen und mehr Besuche, aber nicht mehr Besucher. Schätzungen zufolge gehen nur acht bis zehn Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung regelmäßig in Museen und Kulturbetriebe. (Anm. 4) Ob die Corona-Pandemie diese negative Entwicklung beschleunigt hat, bleibt abzuwarten. 2020/21 haben die Menschen ihre freie Zeit vorwiegend zu Hause verbracht und dabei vor allem Medien wie Internet, TV und PC genutzt. Die ersten aushäusigen Aktivitäten, z.B. Spaziergänge oder Aufenthalte in der Natur, landen weit hinten auf den Plätzen 17 und 18. Der Besuch kultureller Einrichtungen taucht in der Statistik gar nicht erst auf. (Anm. 5) Bei den hiesigen Bühnen und Theatern sieht die Entwicklung besonders dramatisch aus. Die Besuchszahlen stagnieren bzw. fallen seit mehr als zehn Jahren. (Anm. 6) Einstweilen bleibt abzuwarten, wie sich die Menschen nach der Corona-Pandemie verhalten.

Studie: Eintrittsfreier Museumssonntag in Berlin 2021/2022

Die kulturelle Teilhabe hat für den (noch) aktuellen Berliner Senat einen besonders herausragenden Stellenwert. Eine zentrale Maßnahme dabei ist der seit Juli 2021 laufende „Eintrittsfreie Museumssonntag in Berliner Museen“. „Die Erwartungen an dessen Wirkung sind hoch: Die Ziele der in dieser Größenordnung in Deutschland einzigartigen Maßnahme liegen darin, `eine kostenfreie Zeitspanne für Berliner*innen für den Besuch öffentlicher Museen in Berlin zu schaffen, `um finanzielle Hürden für den Museumsbesuch zu senken.´ Nicht das klassische Kulturpublikum und / oder Tourist*innen sollen primär gewonnen werden, sondern insbesondere Berliner*innen und hier verstärkt unterrepräsentierte Ziel- und Anspruchsgruppen, wie etwa Familien und junge Besucher*innen, Studierende oder Personen mit Migrationshintergrund respektive Einwanderungsgeschichte.“ Im Vergleich mit regulären Sonntagen ist die Sache ein Erfolg, da die Zahlen um den Faktor 2,5 gesteigert werden konnten. Genaueres dazu, wer das Publikum ausgemacht hat und warum es an diesen Sonntagen ins Museum gegangen ist, erfährt man in den Kernergebnissen, von denen hier eine Auswahl wiedergegeben wird.

Einstellungen zum eintrittsfreien Museumssonntag und zum Museumsbesuch

• Der Aussage „Die Einführung eines eintrittsfreien Sonntags finde ich generell sehr gut“ stimmten neun von zehn Befragten voll und ganz zu.
• Knapp drei Viertel der Befragten bewerten den freien Eintritt als wichtig für ihre Besuchsentscheidung. Dies sagen insbesondere Menschen im Alter von unter 35 Jahren und Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Auch für Menschen, die nach ihrem Lebensstil in der Regel nicht sehr wahrscheinlich Museen besuchen, war der freie Eintritt bei ihrer Besuchsentscheidung wichtig.
• Die überwiegende Mehrheit der Befragten gibt an, dass der eintrittsfreie Sonntag das besuchte Museum für sie sympathischer machen würde.

Besucher*innen nach Soziodemografie und nach Lebensstil

• Der eintrittsfreie Sonntag bewirkt keine spezifische Steigerung von Anteilen statistisch gesehen finanziell vulnerabler Gruppen im Publikum wie beispielsweise Schüler*innen / Studierender / Azubis oder arbeitslos gemeldeter Personen.
• Menschen mit Einwanderungsgeschichte sind im Museumspublikum unterrepräsentiert. Beim eintrittsfreien Sonntag werden sie wie erhofft ganz global stärker erreicht, als es den Museen sonst gelingt.
• `Klassische´ Museumsbesucher*innen sind beim eintrittsfreien Sonntag etwas weniger stark vertreten als im regulären Publikum. Gleichzeitig werden beim eintrittsfreien Sonntag deutlich sichtbar mehr Menschen erreicht, die zu den Gelegenheits- oder Nichtbesucher*innen gehören.
• Das Erreichen von bislang eher wenig an Museen interessierten Besucher*innensegmenten wird begünstigt, wenn die eintrittsfreien Sonntage mit Vermittlungsprogrammen flankiert werden, die ein unterhaltsames und entspanntes Erlebnis versprechen.

Besuchsanreiz Eintrittsfreiheit

• Der freie Eintritt hat für die meisten Besucher*innen anscheinend vor allem das wahrgenommene Preis-Leistungs-Verhältnis des Museums entscheidend verbessert. Er bewirkt somit weniger den Wegfall einer Kostenbarriere, sondern das Angebot wird kostenpflichtig als nicht attraktiv genug für einen Besuch wahrgenommen.

Erst- / Wiederholungsbesucher*innen

• Der eintrittsfreie Sonntag lockt anteilig nur wenig mehr Erstbesucher*innen an als die Museen ansonsten auch.

Auswirkungen des eintrittsfreien Sonntags auf das weitere Besuchsverhalten

• Die Besucher*innen sind aufgrund des freien Eintritts bereit, ihr Zeitbudget für Besuche bei anderen, kostenpflichtigen Museen auszudehnen. Es ist wahrscheinlich, dass eintrittsfreie Tage aber weniger Besuche an kostenpflichtigen Tagen im selben Museum bewirken.
• Etwa jede*r fünfte Befragte gab an, die Ersparnis durch den freien Eintritt außerhalb der Einrichtung ausgeben zu wollen. Ein nicht unerheblicher Anteil von 22 bis 35 Prozent der Besucher*innen ist bereit, die realisierte Kostenersparnis an Tagen des freien Eintritts anderweitig im selben Museum auszugeben – falls sie dort für sie interessante Angebote beispielsweise in Shops oder Cafés vorfinden.

Besuchsverhalten in den Museen

• Spitzenreiter unter den Besuchsanlässen ist klar die Dauerausstellung. Auch die Sonderausstellungen waren außerordentlich zugkräftig. Die besonderen Vermittlungsangebote konnten hingegen zumindest bislang noch nicht ihre volle Wirkung entfalten.

Besuchshindernisse

• Als zwei zentrale Besuchshindernisse nennt knapp die Hälfte der Befragten zu wenig Freizeit und knapp unter einem Drittel finanzielle Gründe. Finanzielle Gründe sind hier bei vielen aber anscheinend eher ein vorgeschobener Grund.
• Ebenfalls gewichtig ist der Einwand, das Museum schon zu kennen, was vier von zehn der Befragten von weiteren Besuchen eher fernhält.

Bewertung des Museumsbesuchs

• Mit fast ausschließlich mindestens guten Bewertungen schneiden die Museen hinsichtlich der Gesamtzufriedenheit recht gut ab. Werden die Ergebnisse mit Fokus auf die Weiterempfehlungsbereitschaft gemessen über den Net Performance Indicator (NPI) – betrachtet, sehen die Resultate etwas kritischer aus. Der NPI liegt bei den Wiederholungsbesucher*innen im üblichen Bereich für Museen, fällt unter den Erstbesucher*innen jedoch deutlich schlechter aus.
• Die These, dass sich durch den eintrittsfreien Sonntag ein eher museumsfernes und kritischeres Publikum einfindet, kann auf dieser differenzierteren Basis bestätigt werden.
• Zugleich lässt sich aus diesen Ergebnissen herauslesen, dass das reguläre Angebot der Museen für ebenjene Besucher*innensegmente noch attraktiver werden müsste. Stichwörter hierfür wären speziell für jüngere Zielgruppen: Diversität, Inklusion und Ko-Kreation.

Preis-Leistungs-Verhältnis ist offenbar entscheidend

Der freie Eintritt lockt die Menschen zwar an, aber er ist offenbar nicht das entscheidende Kriterium für das Verhalten während des Museumsbesuches und für das Verhalten danach. Als ausschlaggebend erscheint das wahrgenommene Preis-Leistungs-Verhältnis: Kostenpflichtige museale Angebote werden offenkundig „als nicht attraktiv genug für einen Besuch wahrgenommen.“ (Anm. 7)

Dieses Fazit der jüngsten Berliner Studie wird durch Beobachtungen an anderen Orten bestätigt. Im Jahr 2018 (vor Corona!) hat man in vier baden-württembergischen Landesmuseen und im ZKM I Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe untersucht, inwieweit der freie Zutritt sich auf die Zahl und die Zusammensetzung der Museumsbesuche auswirkt. Die Studie kommt zu dem Resümee:

• „Neue Gruppen von Besuchern werden nur teilweise durch freien Eintritt erreicht (siehe folgend Veränderung der Besucherstruktur). Eintrittspreise werden in vielen Studien als Besuchsbarrieren genannt, zeigen sich aber gegenüber anderen Barrieren als nachrangig.
• Jüngere Personen werden mit freiem Eintritt in stärkerem Maße erreicht als ohne die Maßnahme. Voraussetzung ist ein Grundinteresse der Besucher an Museen.
• Personen mit formal niedrigeren Bildungsabschlüssen werden durch freien Museumseintritt nicht stärker erreicht. Ebenso ist nicht eindeutig nachweisbar, dass mehr Personen mit geringem Einkommen (die nicht jung sind), durch freien Museumseintritt erreicht werden.
• Personen, die im Allgemeinen selten in Museen gehen, werden durch freien Eintritt nicht mehrheitlich erreicht. Der freie Eintritt als Besuchsgrund hat für die erreichten seltenen Museumsbesucher aber eine höhere Bedeutung als für häufige Museumsbesucher.“ (Anm. 8)

Der freie Eintritt in Museen scheint nur effektiv „in Verbindung mit anderen Maßnahmen, etwa mit besucherorientierten Öffnungszeiten. Denn auch wenn die Eintrittspreise oft als Grund genannt werden, nicht ins Museum zu gehen, sind sie häufig zweitrangig bei der Entscheidung, wie bei der Vorstellung der Studienergebnisse in der letzten Woche deutlich wurde. Für einen Museumsbesuch sind andere Kriterien ausschlaggebend, beispielsweise organisatorische wie besuchergerechte Öffnungszeiten, gute Erreichbarkeit, das persönliche Zeitbudget der Besucher oder inhaltliche Kriterien wie attraktive Ausstellungen und zeitgemäße Vermittlungsangebote. (Anm. 9)

Anm. 1: Vgl. Berthold Schmitt, Freier Eintritt allein genügt nicht. Studie bietet Anregungen für mehr Attraktivität im Museum, in: KulturBetrieb, zwei 2019, S. 46 f.
Anm. 2: Steffen de Sombre, Bildungsbürgertum und Massenkultur; Institut für Demoskopie Allensbach / Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse, AWA 2017; Quelle: https://www.ifd-allensbach.de/fileadmin/AWA/AWA_Praesentationen/2017/AWA_2017_deSombre_Bildung_Kultur.pdf ; Abfrage: 09.02.2023
Anm. 3: Vgl. Berthold Schmitt, Sind Museen Bildungseinrichtungen? Ja! Aber wo genau ist ihr Platz innerhalb unseres Bildungssystems?, in: KulturBetrieb, eins 2021, S. 48 f.
Anm. 4: Vgl. Björn Thümler, Museumspolitik ist Standortpolitik, in: Matthias Dreyer und Rolf Wiese (Hrsg.), Den Museumsstandort entwickeln und stärken. Impulse, Strategien und Instrumente (Schriften des Freilichtmuseums am Kiekeberg; Bd. 100), Ehestorf 2020, S. 14; vgl. Berthold Schmitt, Beim Outreach auch an das Inreach denken!, in: KulturBetrieb, eins 2022, S. 12 f.
Anm. 5: Vgl. Freizeit-Monitor 2022: Die beliebtesten Freizeitaktivitäten der Deutschen, 20.09.2022, in: BAT-Stiftung für Zukunftsfragen; Quelle: https://www.stiftungfuerzukunftsfragen.de/freizeit-monitor-2022/ ; Abfrage: 09.02.2023; vgl. Berthold Schmitt, Interesse an Hochkultur nimmt ab. Was aber machen die Leute in ihrer Freizeit? in vorliegender Ausgabe von KulturBetrieb.
Anm. 6: Vgl. Berthold Schmitt, Muss Corona für alles herhalten? Deutscher Bühnenverein fordert noch mehr finanzielle Förderung. Ist das zielführend?, in: KulturBetrieb, eins 2022, S. 54 f.
Anm. 7: Eintrittsfreier Museumssonntag in Berlin 2021/2022. Ergebnisse repräsentativer Besucher*innenbefragungen in 15 landesgeförderten Museen im Zeitraum Juli 2021 bis Juni 2022, Institut für Kulturelle Teilhabeforschung (IKTf), Berlin 2022; Quelle: https://www.iktf.berlin/wp-content/uploads/2023/02/IKTf_Eintrittsfreier_Museumssonntag_2021_22.pdf ; Abfrage: 09.02.2023
Anm. 8: Vgl. Nora Wegner und Tom Schößler, Evaluation des freien Eintritts in Dauerausstellungen für die baden-württembergischen Landesmuseen und das ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, Juni 2019, S. 11; Quelle: https://mwk.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-mwk/intern/dateien/Anlagen_PM/2019/Evaluationsbericht-freier-Eintritt-Landesmuseen_MWK-BW-2019.pdf ; Abfrage: 09.02.2023
Anm. 9: Museen und der freie Eintritt, in: kulturimweb.net, Newsletter 24/2019, 12.06.2019; Quelle: kulturimweb.net/2019/06/12/newsletter-12-juni-2019/ ; Abfrage: 09.02.2023

Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb, eins 2023, S. 78-80.