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Vor Corona sind alle gleich. Oder doch nicht?

Lockdown ist Gradmesser für Solidarität und Selbstwahrnehmung der Kulturbetriebe

Auch in Museen, Archiven, Bibliotheken u.a. kulturbewahrenden Einrichtungen werden 2020 und 2021 als die „Corona-Jahre“ in die Chroniken eingehen. Wer aber denkt, dass alle hiesigen Betriebe und Akteure während der Covid-19-Pandemie im selben Boot sitzen, der irrt. Der Lockdown und seine Folgen zeigen nicht nur gravierende Unterschiede hinsichtlich einzelner Berufsgruppen auf, sondern auch einen auffälligen Mangel an Solidarität unter den Sparten. Ausgewählte Beobachtungen.

Rette sich, wer kann!?

Da sind z.B. die Unständigen, die meist an Bühnen arbeiten und nun durch alle Raster der Unterstützung fallen. Um auf ihre eigene und die Situation vieler Kolleginnen und Kollegen aufmerksam zu machen, hat die frei arbeitende Schauspielerin Julischka Eichel im Januar 2021 einen offenen Brief an Kulturstaatsministerin Monika Grütters geschrieben: „Wir sind nirgendwo einzuordnen. Wir sind freischaffend, aber nicht selbständig, weil wir nach sehr alten Definitionen weisungsgebunden sind und keine Rechnungen schreiben dürfen. Man nennt unsere Art von Beschäftigung UNSTÄNDIGE BESCHÄFTIGUNG und sie ist niemals eine NEBENBESCHÄFTIGUNG.“ Neben den daraus resultierenden Konflikten mit Rentenkasse und Arbeitsamt, vermisst Eichel im Besonderen auch die Solidarität der Theater. Unständige werden als „erste nicht weiterbeschäftigt“ oder erhalten für die gleiche Arbeit niedrigere „Coronagagen“. (Anm. 1) Davon ausgehend, beklagt die Sopranistin Anna Prohaska „eine ungerechte Verteilung der Mittel, die jetzt in die Kultur gepumpt würden. Einerseits seien da die Intendanten, die sich zurücklehnen könnten: »Die beantragen Kurzarbeit und sanieren sich ihre Betriebe jetzt gesund.« Denn die Subventionen an die (vorstellungsfreien) Häuser fließen weiter – während die Freiberufler, so Prohaska »abgespeist« würden. Da hat Prohaska einen wunden Punkt berührt – und vielleicht auch erklärt, warum viele Intendanten die kulturelle Dürre so still ertragen. Im Gegensatz zu den Freien und Unständigen.“ (Anm. 2) Was für die Bühne gilt, geschieht ähnlich in Museen und anderen Kulturbetrieben. Weltweit beurlauben sie bis zur Hälfte des Personals und manche Museen verkaufen Sammlungsobjekte, um Rechnungen zu begleichen. Davon ist Deutschland weit entfernt. Bund, Länder und Kommunen haben einen langen Atem. Aber auch in hiesigen Häusern verlieren freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch den Lockdown ihr Einkommen. Im Vergleich zu solchen Schicksalen mutet es bizarr an, wenn Direktoren klagen, man habe so viel Mühe in Ausstellungsprojekte gesteckt, die nun nicht zu sehen seien. Oder, wenn bestens bestallte Intendanten betrübt darüber sind, dass ihre fest angestellten und gut bezahlten Orchestermusiker den Applaus des Publikums vermissen. Etwas verschämt fügt der eine oder andere leitende Kulturmanager hinzu, man wisse durchaus, auf welch´ hohem Niveau man klage. Mit Blick auf die Existenznöte der Unständigen & Co. möchte man mit Greta Thunberg entgegnen „How dare you?!“

Ist das Hemd näher als das Wams?

Wo bleiben die weithin hör- und sichtbaren Solidaritätsbekundungen der öffentlich finanzierten Häuser mit Unständigen, kurzbefristet Beschäftigten, Soloselbstständigen, Hilfskräften, Service- und Aufsichtspersonal u.v.a. Gruppen, die wesentlich zum Funktionieren der Betriebe beitragen? Wer steht ein für die einkommenslosen Honorarkräfte, die z.B. in Volkshochschulen jene Sprachkenntnisse vermitteln, die doch erst die Voraussetzung für eine erfolgreiche Inklusionsarbeit der Kulturbetriebe schaffen? Wie steht es um die Solidarität zwischen öffentlich subventionierten und privat getragenen Häusern oder vielfach ehrenamtlich geführten Kunstvereinen? (Anm. 3) Hier ist wenig zu hören. Man reibt sich die Augen: Noch im Herbst 2018 haben sich bundesweit Hunderte von Kunst- und Kulturinstitutionen der „Erklärung der Vielen“ angeschlossen, um gemeinsam für die künstlerische Freiheit einzustehen. Damals haben Bühnen, Galerien, Akademien, Kunstvereine, Museen, Orchester, Clubs, Musiker usw. ein notwendiges und starkes Zeichen des Miteinanders gesetzt. (Anm. 4) Was ist nun anders? Vor knapp zwei Jahren hat man sich spartenübergreifend gegen politische Einflussnahme von außen verwahrt. Dagegen scheint es in der Corona-Krise eher um das grundsätzliche Behaupten der jeweils spezifischen Relevanz einzelner und um die Verteilung von Geldern zu gehen. Und da ist sich offenbar jeder selbst der Nächste. Hie und da gibt es Ausnahmen: Die Deutsche Orchester-Stiftung sammelt für notleidende freischaffende Musikerinnen und Musiker (mehr als 4,5 Mio Euro) und das Festkomitee Kölner Karneval hat unter dem Motto „Mer looße üch nit allein“ über 800.000 Euro Spenden für in Not geratene Roadies, Tanzgruppen, Fahrer usw. gesammelt.

Merkwürdig die Rolle des Deutschen Kulturrates. In einem Beitrag zur Finanzierung fordert Geschäftsführer Olaf Zimmermann mehr Mittel für die Kultur- und Medienberufe, da es nicht nur um den Erhalt der Institutionen, sondern auch um die dort Beschäftigten gehe. „Den 572.284 abhängig Beschäftigten stehen 300.745 Selbständige in der Kultur- und Kreativwirtschaft gegenüber. Auch wenn statistische Unklarheiten zugestanden werden, kann dennoch festgehalten werden, dass der größere Teil der Beschäftigten in Kultur und Medien abhängig beschäftigt ist. Das heißt, der Beschäftigungssicherung kommt eine große Bedeutung zu.“ (Anm. 5) Der Kulturrat ist für alle da, für manche aber unverhohlen etwas mehr …

Von Bordellen, Sport und Museen

Für Empörung hat auch der Umstand gesorgt, dass Museen u.a. Kulturbetriebe bei den coronabedingten Schließungen auf einem Level mit Kirchen, Spaßbädern, Bordellen und sonstigen Vergnügungseinrichtungen eingestuft sind. Da die Museen sich getroffen fühlen, fordert der Deutsche Museumsbund andere Prioritäten bei der schrittweisen Wiedereröffnung: „Wenn man Kitas und Schulen wieder öffnen kann, muss das mit der Bildungsarbeit der Museen verknüpft und eine Öffnung der Häuser ermöglicht werden. Bei Öffnungen nach dem aktuellen Corona-Lockdown müssen Museen gleich einbezogen werden. Museen sind vor allem auch Bildungseinrichtungen“. (Anm. 6) Dass Museen Bildungsarbeit leisten, die aufgrund ihres Reichtums an Originalen auch nur dort erbracht werden kann, ist unstrittig, wirft aber – konsequent weitergedacht – neue Fragen auf. Wo ist z.B. der konkrete Platz der informellen Bildungseinrichtung Museum innerhalb unseres Bildungssystems? (Anm. 7)

Jenseits des Bildungsaspektes, wähnt der Hamburger Kultursenator Carsten Broda sogar die Demokratie gefährdet: „Wer Kultur mit Unterhaltung und Zerstreuung gleichsetzt, zerstört jene Fundamente, auf die demokratische offene Gesellschaften gegründet sind. (…) Wer diese fundamentale Relevanz als Freizeitverhalten mit Fitnessstudios, Spielbanken und Bordellen in eine Reihe stellt, muss sich vorwerfen lassen, allzu leichtfertig all das zu diskreditieren, was unsere Demokratie ausmacht.“ (Anm. 8) Geht es auch etwas kleiner? Man würde zudem gerne wissen, was Herr Broda, der auch Präsident des Deutschen Bühnenvereins ist, jenen Menschen empfiehlt, deren Reha-Maßnahmen oder medizinisch verordneten Trainings über Monate ausfallen, obwohl viele der geschlossenen Studios nicht der Fitness dienen, sondern der Gesundheit. Bekanntlich ist Bewegung nicht nur gut für Seele und Geist, sondern sie stärkt auch das Immunsystem. Wahrlich keine unwichtige Voraussetzung für den gewinnbringenden Besuch von Kultureinrichtungen, die sich selbst als „Teil des Reflexionssystems dieser Gesellschaft“ (Ulrich Khuon, Deutscher Bühnenverein) verstehen.

Nur wenige umsichtige und selbstkritische Stimmen

Eine der wenigen, die sich öffentlich differenziert zum Lockdown und dem Rennen um einen Siegerplatz im „Öffnungswettbewerb“ äußern, ist Thomas Eser, Leiter der Städtischen Museen Nürnberg. Da er zwischen gesellschaftlicher Relevanz und Systemrelevanz unterscheidet, ist Corona für ihn vor allem eine Lehre über den Stellenwert der Einrichtungen: „Die Schulen blieben auf, die Museen wurden zu gemacht, weil sie als Freizeiteinrichtungen betrachtet worden sind. Eine wichtige, schmerzhafte Lehre. (…) Museen seien im Moment zwar nicht systemrelevant, würden dennoch als Bildungsinstitution eine gesellschaftlich wichtige Rolle einnehmen. Da zu jedem Museumsbesuch auch die Anreise gehöre, seien Museumsbesuche trotz eigens ausgearbeiteter Hygienekonzepte und einer Steuerung der Besucherströme in Pandemiezeiten nicht einfach zu rechtfertigen. (…) Das Bedürfnis, auf sich und die eigenen Belange und Nöte aufmerksam zu machen auf der einen Seite und Rücksicht und Verantwortung gegenüber Politik und Gesamtgesellschaft auf der anderen Seite. Den städtischen und staatlichen Museen gehe es aktuell aber noch vergleichsweise gut – insbesondere im Vergleich zu freischaffenden Künstlern oder Museen in anderen Ländern. Die deutsche Museumslandschaft sei weitestgehend öffentlich finanziert – so dass wohl wenige Häuser in existenzieller Gefahr seien. Auch die Gehälter der Beschäftigten würden weiter überwiesen. Die Frage aber sei, ob die Museen auch in Zukunft den Zuspruch als Mittelempfänger haben. Hier müssten Museen ihre Relevanz immer wieder neu beweisen, so Eser.“ (Anm. 9) Auch NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen weist darauf hin, dass mit Blick auf die nicht mehr nachvollziehbaren Quellen der Corona-Infektionen „gesonderte Lösungen für die Kultur von vielen kritisch gesehen“ werden. Während sie ihre Wortwahl von der „Extrawurst für die Kultur“ zurecht als unglücklich betrachtet, bleibt sie dabei: „Niemand darf sich rausnehmen.“ (Anm. 10) Max Hollein, Direktor des Metropolitan Museums in New York, hat die coronabedingt entstandene soziale Not im Blick. Trotz ausbleibender Zuwendungen reicher Gönner und dem möglichen Zwang, Werke aus dem eigenen Bestand veräußern zu müssen, sagt er: „Richtig ist aber, dass viele Stiftungen oder Unternehmen derzeit andere Prioritäten haben als die Unterstützung von Museen. Das ist auch in Ordnung. Jetzt muss man soziale Einrichtungen unterstützen, kleinere Institutionen. Das MET sollte nicht die Priorität Nummer eins sein. Ich sage das ganz offen.“ (Anm. 11)

Berthold Schmitt, Herausgeber der Fachzeitschrift KulturBetrieb

Anm. 1: Julischka Eichel, Wir sind nicht gerettet!, in: nachtkritik.de, Januar 2021; Quelle: https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=19049:die-situation-freischaffender-schauspieler-innen-in-der-pandemischen-krise-ein-brief-an-monika-gruetters-von-julischka-eichel&catid=101:debatte&Itemid=84 ; Abfrage: 09.02.2021
Anm. 2: Peter Kümmel, Wie unständig von Ihnen! Warum freie Bühnenkünstler jetzt in besonders großer Not sind, in: DIE ZEIT, 04.02.2021. S. 46.
Anm. 3: Vgl. Uwe Ebbinghaus, In doppelter Not. Den Privatmuseen in Deutschland geht es schlecht, in: www.faz.net, 29.01.2021
Anm. 4: Erklärung der Vielen, https://www.dievielen.de/erklaerungen
Anm. 5: Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz, Kulturfinanzierung: Die Erosion beginnt. Bund und Länder müssen sie jetzt gemeinsam aufhalten, in: Deutscher Kulturrat, 29.10.2020; Quelle: https://www.kulturrat.de/themen/texte-zur-kulturpolitik/kulturfinanzierung-die-erosion-beginnt/2/ ; Abfrage: 10.02.2021
Anm. 6: Öffnung der Kultureinrichtungen. Deutscher Museumsbund begrüßt erste Pläne, sieht jedoch Anpassungsbedarf, in: Deutscher Museumsbund, 08.02.2021; Quelle: https://www.museumsbund.de/oeffnung-der-kultureinrichtungen-deutscher-museumsbund-begruesst-erste-plaene-sieht-jedoch-anpassungsbedarf/ ; Abfrage: 09.02.2021
Anm. 7: Vgl. Sind Museen Bildungseinrichtungen? Ja! Aber wo genau ist ihr Platz innerhalb des deutschen Bildungssystems?, in vorliegender Ausgabe von KulturBetrieb.
Anm. 8: Carsten Broda, Hier geht mehr verloren als eine Art der Freizeitgestaltung. Die coronabedingte Schließung von Kulturorten wird deren Bedeutung nicht gerecht. Wer Kultur mit Freizeit gleichsetzt, zerstört die Fundamente der offenen Gesellschaft, in: Die Zeit online, 07.11.2020; Quelle: https://www.zeit.de/kultur/2020-11/kultur-corona-krise-beschluesse-lockdown-kunst-pandemie-beschraenkung ; Abfrage: 09.02.2021
Anm. 9: Nicht systemrelevant: Museen stehen nach Corona vor Neuerfindung, in: BR24, 26.01.2021; Quelle: https://www.br.de/nachrichten/bayern/nicht-systemrelevant-museen-stehen-nach-corona-vor-neuerfindung ,SNCoV0c; Abfrage: 10.02.2021
Anm. 10: „Niemand darf sich rausnehmen“, in: Deutschlandfunk Kultur, 09.11.2020; Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/nrw-kulturministerin-zur-extrawurst-kritik-niemand-darf.1013.de.html?dram:article_id=487248 ; Abfrage: 12.02.2021
Anm. 11: Riesen-Defizit: Muss das Metropolitan Museum Kunst verkaufen?, in: BR24, 08.02.2021; Quelle: https://www.br.de/nachrichten/kultur/riesen-defizit-muss-das-metropolitan-museum-kunst-verkaufen ,SOQWBTZ; Abfrage: 12.02.2021

Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb, eins 2021, S. 54 ff.