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Es ist nichts Persönliches. Es geht nur um´s Geschäft!

Bei Diebstahl im Museum geht es oft nicht um Kunst und Kultur

„Stets findet Überraschung statt, da wo man´s nicht erwartet hat.“
(Wilhelm Busch, 1832-1908)

Um sich besser gegen Kriminelle zu schützen, sollten Kulturbetriebe die Aufbewahrung und Präsentation der eigenen Bestände nicht nur aus der Warte des Kunst- und Kulturfreundes sehen, sondern auch mit dem ökonomischen Interesse der Nachfrager und „den Augen des Diebes“. (Anm. 1)

Typisch sind die „kleinen“ Fälle

Kunstdiebstahl ist für viele synonym mit den Fällen „Mona Lisa“ (1911) oder „Der Schrei“ von Edvard Munch (2004). Das verstellt den Blick auf die Realität: August 2014, Castello Sforzesco, Mailand: Drei Gemälde verschwinden aus der ständigen Sammlung; Juni 2015, Galerie Beaux Arts, London: Ein Mann entwendet eine Skulptur von Elisabeth Frink; Juli 2015, Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen: Zwei Männer stehlen eine Bronzebüste von Auguste Rodin. (Anm. 2) Zwölf Monate, drei Diebstähle, ein zufälliger Ausschnitt.
Bereits 2004 meldete das Art Loss Register, dass in Deutschland, Österreich und der Schweiz 35 bis 50 Fälle von Diebstahl und Raub im Mindestwert von 1.000 Euro pro Stück registriert wurden – pro Monat! In der Wahrnehmung hat das Phänomen etwas von einem Eisberg: Während „Spitzenereignisse“ Aufsehen erregen, wird die Masse der Vorkommnisse im besten Fall von den Mitarbeitern bemerkt, an die Einrichtungen gemeldet und untersucht. (Anm. 3) Zu den Gründen dieses `diskreten´ Umgangs zählen u.a. die Scham der Betroffenen oder die Sorge vor Konsequenzen.
Typisch für eine Vielzahl von Delikten ist das Vorgehen von Stéphane Breitwieser. Neben einigen größeren Häusern (z.B. Kunstverein Solothurn) waren kleinere Einrichtungen in Frankreich, Deutschland, Schweiz, Belgien, Dänemark und den Niederlanden seine bevorzugten Ziele. Mangelnde Sicherheitsvorkehrungen sowie Kalkül und Zufall haben es ihm leicht gemacht: Abwesendes oder unachtsames Aufsichtspersonal; routinierte und leicht durchschaubare Kontrollabläufe; offenstehende Fenster; Sicherheitstechnik, die nicht vorhanden ist oder den Namen nicht verdient … Zwischen 1995 und 2001 hat der junge Elsässer bei insgesamt 177 Delikten über 230 Kunstgegenstände entwendet. (Anm. 4)

Der `Endverbraucher´ bestimmt das Vorgehen

Während das vorwiegende Motiv für Einzeltäter oder international agierende Banden Geld sein dürfte, unterscheiden sich die Arbeits- und Verwertungsprozesse: Gemälde werden verkauft, Metallskulpturen eingeschmolzen und das Horn vom Rhinozeros wird zermahlen. (Anm. 5) Eine von heterogenen Interessen geprägte Nachfrage bestimmt über die Beute und ihr Schicksal: Liebhaberei (Kunst und Kultur), wirtschaftliche Entwicklungen (Metallpreis), bizarr Anmutendes (Heilmittel) usw. Da die Bedarfe und Vorlieben der Endverbraucher vielfältig und wechselhaft sind, kann es mit Blick auf die Beschaffungswege potenziell jedes Archiv, jedes Museum und jede Bibliothek treffen. Die reflexhafte Verurteilung als „Barbarei“ oder „Kunstfrevel“ ist verständlich, wird aber wenig Eindruck auf die Täter machen. Vielmehr sollten Kulturbetriebe ein stimmiges Sicherheitskonzept erarbeiten, das mechanischen Schutz, Gefahrenmeldeanlagen, Videoüberwachung und wachsames Aufsichtspersonal umfasst. Unterstützung bei Bestandsanalyse und Umsetzung bieten Berater, Fachunternehmen und Behörden (z.B. Polizei). Zentrale Voraussetzung für einen besseren Schutz ist jedoch, sich intensiv mit dem Phänomen zu befassen und auch die eigene Position in dem Gesamtgefüge kritisch zu hinterfragen, wie Günther Dembski sagt: „Eines sollte man nie vergessen: Man darf nicht betriebsblind werden. Ich empfehle einen, freilich fiktiven, Rollenwechsel: Jeder Verantwortliche in einem Museum sollte versuchen, sein eigenes Haus aus den Augen des Einbrechers, des Diebes oder auch des Versicherungsagenten zu sehen, der die bestehenden Risiken versichern soll. Da werden schnell ganz neue Perspektiven sichtbar. Und das kann für die Sicherheit des Museums und seiner Objekte nur förderlich sein.“ (Anm. 6) Gut beraten sind Kulturbetriebe zudem, wenn sie die bestehenden sicherheitstechnischen Anlagen und Vorkehrungen regelmäßig warten und auf Funktionstüchtigkeit prüfen sowie ihr Service- und Aufsichtspersonal regelmäßig schulen, unterrichten und sensibilisieren – auch für jeweils aktuelle „schwarzmarktgängige Ware“.

Weiterführende Literatur (Auswahl)

Dembski, Günther: Sicherheitsfibel für Galerien, Museen, Ausstellungen, Bibliotheken und Archive: hrsg. vom Österreichischen Museumsbund, Wien 1997

Gall, Günter: Sicherheit – nur ein technisches Problem?, in: Museologie. Neue Wege – Neue Ziele; hrsg. von Hermann Auer, München u.a. 1989, S. 123-128

Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (Hrsg.): Sicherungsrichtlinien für Museen und Ausstellungshäuser (VDS-Richtlinie 3511), München 2008

Hilbert, Günter: Sammlungsgut in Sicherheit. Beleuchtung und Lichtschutz, Klimatisierung, Schadstoffprävention, Schädlingsbekämpfung, Sicherungstechnik, Brandschutz, Gefahrenmanagement; hrsg. von Institut für Museumskunde (Berliner Schriften zur Museumskunde; Bd. 1), Berlin 2002

John, Hartmut und Kopp-Sievers, Susanne: Sicherheit für Kulturgut: Innovative Entwicklungen und Verfahren, neue Konzepte und Strategien (Publikationen der Abteilung Museumsberatung; Nr. 13), Bielefeld 2001

Konferenz Nationaler Kultureinrichtungen (KNK) (Hrsg.): Sicherheit und Katastrophenschutz für Museen, Archive und Bibliotheken. Handlungsleitfaden, Dresden 2007

Konferenz Nationaler Kultureinrichtungen (KNK) (Hrsg.): kultur!gut!schützen!, o. O., 2012 Redaktion

Anmerkungen

Anm. 1: „Mit den Augen des Diebes sehen.“ Gespräch mit Günther Dembski über Naturgewalten, gewiefte Verbrecher, technische Maßnahmen und einen gewagten Rollenwechsel, um die Sicherheit im Museum zu erhöhen, in: Das MuseumsMagazin 2006, Menschen, Schatzkammern, Geschichten, S. 17.
Anm. 2: Zu Mailand vgl. www.italymagazine.com/news/paintings-stolen-milans-castello-sforzesco; zu London vgl. www.standard.co.uk/news/crime/police-hunt-thief-who-stole-40000-elisabeth-frink-sculpture-from-central-london-gallery-10375275.html und zu Kopenhagen vgl. Süddeutsche Zeitung, Mit Tüte rein, mit Kunstwerk wieder raus, in: www.sueddeutsche.de/panorama/gestohlene-rodin-bueste-mit-tuete-rein-mit-kunstwerk-wieder-raus-1.2615299; alle Abfragen: 21.08.2015. Vgl. auch den Beitrag „Alarmanlagen bedürfen der gründlichen Kontrolle“ in vorliegender Ausgabe von KulturBetrieb.
Anm. 3: Vgl. Nora und Stefan Koldehoff, Aktenzeichen Kunst. Die spektakulärsten Kunstdiebstähle der Welt, Köln 2004, S. 167 ff.
Anm. 4: Vgl. ebd., S. 113 ff sowie S. 200 ff.
Anm. 5: 2011 ff ist es europaweit zu Diebstählen von Nashorntrophäen gekommen. Betroffen waren Museen in Portugal, Frankreich, Großbritannien, Tschechien und Schweden. Allein In Deutschland soll es rund zehn Fälle geben, darunter Bamberg, Bonn, Hamburg, Münster und Offenburg. Vgl. dazu u.a. Sybille Möckl, Die erste Spur zur Nashorn-Mafia, in: RP.Online.de, (03.03.2012), in: www.rp-online.de/panorama/deutschland/die-erste-spur-zur-nashorn-mafia-aid-1.2738270; Abfrage: 24.08.2015 oder: Deutsche Jagdzeitung, Wilderei im Museum (21.05.2013), in: www.djz.de/447,2390/; Abfrage: 24.08.2015
Anm. 6: Dembski, Mit den Augen des Diebes sehen, S. 17.

Dieser Text wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb, vier 2015, S. 44 f.