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Computerspiel darf Hakenkreuze zeigen

Die Sozialadäquanzklausel macht es möglich

In Deutschland sind Verwendung und Verbreitung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verboten und mit Strafen belegt. Grundlage dafür ist § 86a Strafgesetzbuch – „Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen“. Ähnliche Regelungen gelten auch für Österreich. Im Sommer 2018 hat die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) eine Entscheidung von Tragweite getroffen. „Attentat 1942“ ist das erste vollständige Computerspiel inklusive Hakenkreuzen, das von der USK eine offizielle Altersfreigabe erhalten hat.

„Attentat 1942“ – Serious Game erhält Freigabe

Das Computerspiel „erzählt, wie sich ein junger Mann im Jahr 2001 auf die Spurensuche nach den Verbrechen der Nazis in der besetzten Tschechoslowakei macht. Er will herausfinden, warum sein Großvater damals im Konzentrationslager landete und interviewt ehemalige Freunde und Gefährten. Den Hintergrund bildet das titelgebende Attentat auf SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, der als Leiter des Reichssicherheitshauptamtes maßgeblich für die Planung und Durchführung des Holocaust verantwortlich war. (…) Indem die Macher nicht das Attentat in den Vordergrund rücken, sondern sich behutsam der Aufarbeitung eines Familienschicksals im Nazi-Regime widmen, schaffen sie die seriöse Distanz zum schwierigen Thema. Zusammen mit dem neugierigen Nachfahren decken die Spieler akribisch die Vergangenheit auf. Persönliche Schicksale und Fakten schaffen ein bedrückendes Spielerlebnis, das den historischen Hintergrund respektiert und nicht als spaßiges Abenteuer inszeniert.“ (Anm. 1)
Das 2017 veröffentlichte Spiel wurde im Wesentlichen von Fachleuten der Karls-Universität Prag und der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik entwickelt und finanziell von der Tschechischen Republik gefördert. Das mehrfach ausgezeichnete Spiel durfte in Deutschland zunächst nicht vertrieben werden, da es Hakenkreuze und andere NS-Symbole zeigt. Seit dem 9. August 2018 wendet die für Prüfung zuständige Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) Sozialadäquanzklausel an: „Computer- und Videospiele dürfen künftig – nach Prüfung des Einzelfalls und nach erfolgter USK-Altersfreigabe – Hakenkreuze, SS-Runen oder Hitler-Abbildungen zeigen.“ (Anm. 2)

Ausnahme Forschung, Lehre und Kunst

Rechtliche Grundlage für diese Neuregelung ist die sog. Sozialadäquanzklausel in § 86 StGB: „Absatz 1 gilt nicht, wenn das Propagandamittel oder die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.“ (Anm. 3) Demzufolge „ist auch das Verwenden von Kennzeichen nicht strafbar, aus denen der unbefangene Beobachter eine Ablehnung der NS-Ideologie erkennen kann. Ebenfalls erlaubt ist die Verwendung des Hakenkreuzes in durchgestrichener Form. Der Bundesgerichtshof hat hierzu entschieden, dass der Gebrauch des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation nicht von § 86a StGB erfasst wird, wenn der Inhalt der Darstellung in offenkundiger und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt. Im Übrigen werden satirische Darstellungen von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG (Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft) auch dann geschützt, wenn ihr Gegenstand Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation ist.“ (Anm. 4)

Wichtiger Schritt für Kulturmedium Games

Die Sozialadäquanzklausel „nehmen die Produzenten von Spielfilmen, TV-Serien und TV-Shows seit Jahrzehnten ganz selbstverständlich für sich in Anspruch – etwa für `Das Boot´, `Inglourious Basterds´ oder `Er ist wieder da´. Bei Games war eine vergleichbare Vorgehensweise zumindest mit unverhältnismäßigen Risiken verbunden. Daher wurden Blockbuster wie `Call of Duty WWII´ oder `Wolfenstein 2: The New Colossus´ mit teils erheblichem Aufwand eigens für den deutschen Markt entschärft – manche sagen: zensiert. In Fällen, in denen trotz sorgfältiger Prüfung versehentlich Hakenkreuze durchrutschten, kam es in der Vergangenheit mehrfach zu Rückrufaktionen aus Sorge vor strafrechtlichen Konsequenzen. (…) Ein grundsätzlicher „Freifahrtschein“ für „Hakenkreuze in Games“ ist mit der jüngsten Entscheidung nicht verbunden: Denn die USK ist nur für PC- und Konsolenspiele zuständig – prüft aber üblicherweise keine Browsergames, Steam-Spiele oder Smartphone-Apps. Wer für sein Online-Rollenspiel trotzdem ein USK-Siegel haben will, zahlt mindestens 1.200 Euro. Gleichwohl hat das Votum natürlich Signalwirkung und könnte zu einer kompletten Neubewertung führen.“ „Der Industrieverband Game, der zu den Trägern der USK gehört, plädiert seit jeher für die Gleichbehandlung von Videospielen mit Blick auf die Sozialadäquanz. Aus Sicht von Verbandsgeschäftsführer Felix Falk ist die veränderte Rechtsauffassung daher `ein wichtiger Schritt für das Kulturmedium Games in Deutschland´. `Wir haben uns lange dafür eingesetzt, dass Games endlich gleichberechtigt und ohne Ausnahmen am gesellschaftlichen Diskurs teilnehmen können´, so Falk. `Nachdem Computer- und Videospiele bereits seit vielen Jahren als Kulturmedium anerkannt sind, wird durch die jetzige Entscheidung die Anerkennung auch in diesem Bereich konsequent vollzogen.´“ (Anm. 5)

Zeit für Erinnerungskultur in Videospielen

„Attentat 1942“, freigegeben am 10. September 2018, ist das erste in Deutschland erhältliche Videospiel, das nach der neuen Bewertungspraxis freigegeben wurde. Befürworter einer neuen Form von Erinnerungskultur begrüßen das: „Computerspiele haben sich lange genug dagegen gesträubt, Teil einer Erinnerungskultur zu sein. Das lag in Deutschland an rechtlichen Schranken, aber auch weltweit fühlten sich die Macher wohler, wenn sie das Nazi-Regime nur als klischeehafte Hintergrundkulisse für Call of Duty & Co. benutzten. Da flogen zwar die Körperteile spektakulär durch die Gegend, aber das grausige Phänomen des Nationalsozialismus wurde nie ernsthaft hinterfragt. Das Erinnern an die faschistische Vergangenheit Deutschlands ist aber heute wichtiger denn je. Es ist an der Zeit, dass dieses Erinnern und die Lehre daraus auch im Zentrum unserer popkulturellen Spaßkultur einkehrt – dem Computerspiel. Man kann nur hoffen, dass neben Attentat 1942, dem norwegischen Nachkriegsdrama My Child Lebensborn und dem demnächst erscheinenden Through The Darkest of Times noch weitere Spiele das Dritte Reich als das zeigen, was es war: kein Abenteuerspielplatz und erst recht kein Vogelschiss, sondern das düsterste Kapitel der deutschen Geschichte.“ (Anm. 6)

Anm. 1: Andreas Müller, Unterm Hakenkreuz: „Attentat 1942“ wirft einen ungeschönten Blick auf den Nationalsozialismus, in: heise archiv; Quelle: https://shop.heise.de/katalog/unterm-hakenkreuz ; Abfrage: 13.12.2018
Anm. 2: Hakenkreuze in Games: USK-Altersfreigabe ab sofort möglich, 09.08.2018, in: Games Wirtschaft; Quelle: https://www.gameswirtschaft.de/politik/hakenkreuze-in-games-sozialadaequanz-usk-oljb/ ; Abfrage: 13.12.2018
Anm. 3: Strafgesetzbuch, Besonderer Teil, § 86, Art. 3; Quelle: dejure.org/gesetze/StGB/86.html; Abfrage: 13.12.2018
Anm. 4: Augen auf! Sehen – Erkennen – Handeln. Rechtsextremistische Symbole, Kennzeichen und Organisationen, Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen, 2016; Quelle: http://www.verfassungsschutz.sachsen.de/download/Augen_auf_Okt2016.pdf ; Abfrage: 13.12.2018 Anm. 5: Hakenkreuze in Games
Anm. 6: Andreas Müller, Attentat 1942 durchgespielt: Spielen und erinnern, 22.09.2018, in: heise online; Quelle: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Attentat-1942-durchgespielt-Spielen-und-erinnern-4170036.html ; Abfrage: 13.12.2018

Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in eins 2019 KulturBetrieb, S. 66 f.